Krise in Thailand High Noon im Paradies
Bangkok - In Bangkok sind gestern Abend wieder Schüsse gefallen: Diesmal auf Studenten, die vor dem Haus des Premierministers Samak Sundaravej demonstrierten. Ein Pistolenmann feuerte sie von einem Motorrad aus ab. Zwei Demonstranten wurden verletzt. Zum Glück starb diesmal niemand.
Die Lage in Thailand aber bleibt angespannt, die Angst vor einem Blutbad geht um. Es herrscht High Noon in der Hauptstadt des Urlauberparadieses. Der Premierminister Samak Sundaravej hat in einer Radioansprache am Donnerstag erklärt, er werde nicht zurücktreten. Er sei aber bereit, ein Referendum durchzuführen, in dem das Volk darüber abstimmen kann, ob die Politik dieser Regierung fortgesetzt werden soll.
Die Oppositionsbewegung "Peoples Alliance for Democracy", die seit einigen Monaten ihre Anhänger auf die Straßen Bangkoks treibt und seit rund zwei Wochen das Regierungsgebäude "Government House" besetzt hält, wies Samaks Ansinnen umgehend zurück. Er wolle wohl nur auf Zeit spielen, erklärten sie. 30 Tage werden für die Vorbereitung solch eines Plebiszits einkalkuliert. Zeit genug, um die Opposition zu ermüden das könnte das Kalkül des Premierministers sein.
Gleichzeitig hat Samak erklärt, während dieser Zeit dürften die Oppositionellen, die meist in den gelben Farben des Königshauses aufmarschieren, weiterhin das Government House besetzen und für ihre Veranstaltungen nutzen. Das ist schon eine raffinierte Finte: Weil seine Polizei bislang unfähig oder nicht willens war, die Hausbesetzer zu vertreiben, erklärt Samak das Gelände einfach zur Demonstrationszone.
Natürlich ist das paradox, denn Samak selbst hat den Ausnahmezustand über Bangkok verhängt, und der verbietet sogar Versammlungen von mehr als fünf Menschen. Aber was ist in diesen Tagen nicht paradox in diesem Land, das mit 65 Millionen Einwohnern zu den größten Südostasiens gehört und mit 15 Millionen Touristen jährlich zu den wichtigsten Urlaubszielen weltweit?
Samak ist erst im Dezember gewählt worden, und schon ein halbes Jahr darauf begannen die ersten Straßendemonstrationen gegen seine Regierung. Korrupt sei sie und eine Marionette von Samaks schillerndem Vorgänger Thaksin Shinawatra, einem Telekom-Multimillionär, der sich mittlerweile nach Großbritannien abgesetzt hat, um der Strafverfolgung in Thailand zu entgehen so schäumen seitdem die Regierungsgegner. Neu ist dieses Ritual nicht. Als sie sich Thaksin entledigen wollten, machten sie es genauso. Im Herbst 2006 putschte daraufhin das Militär, ein gutes Jahr später entließ es das Land wieder aus seinem Griff.
Ein Riss geht durch die thailändische Gesellschaft: Zwischen der bürgerlichen Stadtbevölkerung Bangkoks wo immerhin fast jeder sechste bis siebente Thailänder lebt, ganz genau weiß man das nicht und der Landbevölkerung des dichtbesiedelten Nordostens. Dort leben arme und einfache Leute, oft Analphabeten, die nicht allzuviel mit dem Klüngel in Bangkok gemein haben, sich aber von Thaksin und Samak verstanden fühlen. Die Opposition sagt, sie seien auch gekauft worden, und die Wahlkommission sieht das ähnlich. Aber das muss erst einmal bewiesen werden, und es ist auch nicht sicher, dass Samak nicht auch eine Neuwahl, die nicht gefälscht wird, gewinnen würde.
Immer mehr Touristen verlassen das Land
Es sind ganz grundsätzliche Fragen nach dem Sinn und Unsinn von Demokratie, die derzeit in Thailand erörtert werden. Die Demonstranten vor dem Government House machen aus ihrer Herablassung gegenüber dem Landvolk keinen Hehl. Dumm seien die und leicht beeinflussbar, zu blöd, Samaks Finten zu durchschauen, bestechlich zudem. Man müsse die Demokratie vielleicht ein wenig einschränken, erklärte einer der Führer der Rebellion Sondhi Limthongkul, ein Medienmogul aus Bangkok: Nur noch 30 Prozent der Volksvertreter sollten direkt gewählt werden.
Nun haben sich weder Thaksin Shinawatra noch Samak Suundaravej, also weder der alte noch der neue Premier, als große Demokraten hervorgetan. Und Dreck am Stecken haben sie ganz bestimmt. Die Frage ist nur, ob man in einer Demokratie unliebsame Führer, die immerhin einmal von einer Mehrheit gewählt wurden, mit undemokratischen Methoden beseitigen darf. Für so etwas sollte man schon die Gerichte bemühen. Das tut die "Peoples Alliance for Democracy" nicht, und deshalb graut auch immer mehr Beobachtern der bizarren Szenerie vor den langfristigen Konsequenzen der aktuellen Ereignisse: Im Moment kannibalisiert sich die Demokratie, bis irgendwann nicht mehr viel von ihr übrig ist.
Schlimm könnte sich das Theater um die Macht auch auf die Wirtschaft des Landes auswirken. Touristen sind schreckhafte Wesen, deren Schlachten allenfalls am Kalten Buffet oder vor der Wasserrutsche stattfinden. Im Moment verlassen immer mehr von ihnen das Land. Schon 14 Länder haben Reisewarnungen ausgesprochen. Derzeit kommen 30 Prozent weniger Gäste in Bangkok an als zu normalen Zeiten. "Die gegenwärtige Lage schadet dem Land mehr als der Putsch im September 2006", meint Kongkrit Hiranyakit vom "Tourism Council of Thailand", "weil die Lage dieses Mal auf das ganze Land ausgedehnt wird."