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Gipfel in Cannes: Politiker und Proteste

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Krisentreffen in Cannes Merkel und Sarkozy stoppen Zahlungen an Athen

"Wir lassen uns den Euro nicht kaputtmachen": Harsch sind Angela Merkel und Nicolas Sarkozy den griechischen Premier Papandreou angegangen. Weil der das Volk über das EU-Rettungspaket abstimmen lässt, stoppen sie vorerst die Hilfszahlungen. Selbst ein Euro-Austritt der Griechen ist kein Tabu mehr.

Das Essen war auf Sterne-Niveau, der verbale Abtausch erinnerte an eine Bistro-Querele: Während eines Arbeitsessens im Festival-Palais von Cannes haben die EU-Promis mit Griechenlands Ministerpräsident Georgios Papandreou abgerechnet. Als Angela Merkel und Nicolas Sarkozy gegen 23.30 Uhr vor die Mikrofone traten, war ihnen der Stress der Drei-Stunden-Mahlzeit anzumerken.

"Es war eine ernste Situation, es war nicht einfach", resümierte Merkel. "Wir verteidigen den Euro. Wir wollen das mit Griechenland gemeinsam tun. Aber wir sagen auch, dass wir das große Einigungswerk nicht aufs Spiel setzen. Das sind unsere Prioritäten." Und mit einer klaren Warnung Richtung Athen mahnte die Kanzlerin: "Wir respektieren die Entscheidung des griechischen Volkes, aber wir werden den Euro nicht aufgeben."

Was war passiert? Papandreou hatte am Montagabend angekündigt, sein Volk über die Euro-Rettung abstimmen zu lassen. Merkel und Sarkozy waren vorab nicht informiert worden - was nun für großen Ärger sorgt. Noch gravierender ist jedoch die Frage: Was geschieht, wenn die Griechen mit Nein stimmen? War dann die gesamte Arbeit von zwei Jahren zur Rettung der gemeinsamen europäischen Währung umsonst?

"Wir sind gewappnet"

Entsprechend deutlich haben Merkel und Sarkozy ihren griechischen Kollegen eingenordet. In einem Tonfall, der keine Zweifel offen ließ, sagte der französische Präsident: "Wir sind bereit zu helfen, das ist die Basis der europäischen Solidarität, aber das schließt ein, dass auch Griechenland seine Verpflichtungen erfüllt." Und er fügte hinzu: "Wir lassen uns den Euro nicht kaputtmachen."

Das Tabu ist damit erstmals gebrochen. Die Stabilität und Sicherheit des Euro ist die oberste Richtschnur, an den Beschlüssen von Brüssel wird nicht geschraubt. Sollte Griechenland per Referendum ausscheren, ist auch ein Austritt Athens aus der Euro-Zone denkbar. "Wir haben das Geld unserer Steuerzahler zu schützen", so Sarkozy. Und Merkel ergänzte mit Blick auf ein mögliches Euro-Aus für Griechenland: "Wir sind gewappnet."

Ob die Appelle an die Adresse Papandreous verfangen, blieb zunächst offen. Der Pleite-Premier hatte eigentlich gar nicht auf der exklusiven Gästeliste für den G-20-Gipfel gestanden: Doch nach dem einsamen Überraschungsentscheid in Sachen Referendum, hatten Paris und Berlin rasch beschlossen, den unbotmäßigen Ministerpräsidenten nach Cannes vorzuladen. Und so schwebte der Grieche am Abend an der südfranzösischen Küste ein und brachte nach den Märkten auch das genau abgestimmte Protokoll durcheinander.

Verbittert durch den Alleingang, der die Euro-Beschlüsse der vergangenen Woche zu torpedieren droht, und aufgeschreckt durch einen massiven Verfall der Aktienkurse, wurden Papandreou die Leviten gelesen. "Die Entscheidung des griechischen Premiers ist wahnwitzig", kommentierte ein Berater Sarkozys die Stimmung im Elysée-Palast. "Die europäischen Führer sind aus allen Wolken gefallen."

Die trafen sich in Cannes im intimen Club der "Frankfurter Gruppe": Merkel, Sarkozy und die EU-Spitzen Jean-Claude Juncker, José Manuel Barroso, Herman Van Rompuy nebst IWF-Chefin Christine Lagarde legten gemeinsam die Marschrichtung fest. Beim anschließenden Abendessen im VIP-Saal France, laut deutschen Delegationskreisen "auf die Zeit nach Börsenschluss" terminiert, musste dann Papandreou Rede und Antwort stehen. Zunächst konfrontierten ihn die Kollegen noch einmal mit den Konsequenzen seines Solos: Sollte sich eine Mehrheit der Griechen per Referendum gegen die Brüsseler Beschlüsse stemmen, müsste Athen auch auf die zweite milliardenschwere Überweisung von Hilfsgeldern verzichten. "Dem Volk die Stimme zu geben, ist stets legitim", so Sarkozy, "aber die Solidarität aller Länder der Euro-Zone greift nur dann, wenn jeder zustimmt, die nötigen Anstrengungen zu machen."

"Die psychologische Situation hat sich massiv verändert"

Merkel und Sarkozy verwiesen noch einmal auf die Vorteile des Brüsseler Pakets: Hilfen im Gesamtwert von 100 Milliarden Euro, ein Schuldenschnitt von 50 Prozent und Unterstützung bei der Rekapitalisierung der griechischen Banken. Ohne das Paket, so die eindringliche Warnung an den Premier, drohe dem hochverschuldeten Land nicht nur der sichere Staatsbankrott, auch Athens Mitgliedschaft in der Euro-Zone stünde auf dem Spiel. Vorab wurde schon mal die erste Überweisung von acht Milliarden Euro storniert.

Bis zum 4. oder 5. Dezember soll Papandreou das Referendum über die Bühne bringen. Merkel wie Sarkozy rieten ihm offenbar, die Abstimmung auf den Verbleib in der Euro-Zone zuzuschneiden - dafür ist in Griechenland wohl eine Mehrheit zu finden. Die Griechen aber, so ist aus Athen zu hören, wollen nur das Rettungspaket zur Abstimmung stellen - das allerdings ist in der Bevölkerung wegen der harten Sparauflagen extrem unbeliebt.

Was die Atmosphäre in Cannes so belastete, war vor allem der Alleingang Papandreous. Die Tatsache, dass er die EU-Partner nicht vorab über das geplante Referendum informierte, habe die "psychologische Situation massiv verändert", sagte Merkel. Und Sarkozy stellte unmissverständlich klar: "Wir wünschen lebhaft, dass sie (die Griechen) in der Euro-Zone bleiben, aber die sechste Tranche der EU-Hilfe kann nur ausgezahlt, werden, wenn es keine Zweifel über den Ausgang des Referendums gibt."

Schnell gehen muss es sowieso: Denn ohne EU-Gelder ist Griechenland spätestens Weihnachten finanziell am Boden. Ein Nein des Volkes, das die Brüsseler Beschlüsse laut Umfragen mit einer Mehrheit von fast 60 Prozent ablehnt, käme einem Offenbarungseid gleich. Es würde "nicht nur das Risiko einer beschleunigten Zahlungsunfähigkeit erhöhen", orakelte die Rating-Agentur Fitch über das Katastrophen-Szenario. "Griechenlands Ausscheiden aus dem Euro hätte schwerwiegende Folgen für Stabilität und Existenz der gesamten Zone."

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