
Frustbilanz: Afghanistan-Sonderbeauftragter Koenigs
Kritik an Afghanistan-Politik Herr Ohnmächtig aus Deutschland
Die Reise von Kabul nach New York ist weit, auch für einen Sondergesandten der Vereinten Nationen. Mit dem kleinen Learjet der Uno braucht man vier Stunden bis Dubai, aber immerhin spart man dort beim Umstieg eine Übernachtung. Dann dauert es 14 Stunden per Linie an den Hauptsitz der Weltgemeinschaft am East River.
Als höchster Vertreter der Uno im Krisenland Afghanistan musste Tom Koenigs diese Reise alle drei Monate antreten und dem Weltsicherheitsrat Bericht erstatten. Doch in New York bekam er oft den Eindruck, dass er sich die weite Reise hätte sparen können. Koenigs wurde von wichtigen Uno-Botschaftern vertröstet und versetzt. "Der Krieg im Libanon und Gaza nimmt die Uno-Spitze in Beschlag. Nicht Afghanistan", schrieb Koenigs im August 2007. Ein anderes Mal beschäftigte die Wahl des neuen Generalsekretärs die Zentrale: "In New York war alles wichtiger als dieses Thema", notierte er frustriert.
Vielleicht wäre der Weltgemeinschaft in Afghanistan manches erspart geblieben, wenn sie ein bisschen mehr auf den "Sondergesandten des Generalsekretärs" der Vereinten Nationen gehört hätte. Seine zwei Amtsjahre 2006 und 2007 fielen in eine Schlüsselphase, als der Westen die Lust an dem Projekt verloren hatte und die Taliban wieder an Einfluss gewannen.
Koenigs hat während dieser zwei Jahre abends und an freien Tagen Briefe an seine Freunde und Verwandte geschrieben; eine Auswahl erscheint jetzt als Buch bei Wagenbach. Koenigs versteht etwas vom Schreiben, er hat früher Texte des Nobelpreisträgers Gabriel García Márquez ins Deutsche übersetzt. In seinen Briefen finden sich witzige Skizzen seiner eigenen Überforderung, Schilderungen des absurden Alltags in Afghanistan, aber auch spannende Erzählungen, etwa über die heimliche Rettung eines zum Christentum konvertierten Muslims, dem in Afghanistan der Galgen drohte.
Zielloses Handeln des Westens
Vor allem aber hat Koenigs mit spitzer Feder dokumentiert, wie die Weltgemeinschaft in Afghanistan zu lange das Falsche tat - und zu langsam ihre Fehler korrigierte. Koenigs, heute grüner Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses, ist nicht im Nachhinein schlauer. Er hat damals schon die Ziellosigkeit des westlichen Handelns analysiert, er hat den Erfolg der Taliban erklärt und die Vergeblichkeit des Brunnenbohrens. Wer das Buch liest, versteht besser, warum in Afghanistan so viel so schiefgelaufen ist.
New York, im Oktober 2006. Koenigs redet mit dem einflussreichen Botschafter Pakistans in der "Delegates' Lounge" der Uno-Zentrale. Eine "äußerst unerquickliche Sitzung", schreibt Koenigs. Er will die Rolle Pakistans als Zufluchtsort für al-Qaida und Taliban im Sicherheitsrat thematisieren. Der Pakistaner, "Ramadan zum Trotz trinkend und rauchend", droht ihm. Wenn Koenigs das wage, werde er in der Sitzung aufstehen und dagegenreden - nach der strengen Etikette des Sicherheitsrates ein Eklat. Koenigs zuckt zurück, er spricht nur in allgemeiner Form über Pakistan.
Heute, nachdem Qaida-Chef Osama Bin Laden mitten in einer pakistanischen Kleinstadt erschossen wurde, muten solche politischen Rücksichtnahmen komisch an. Doch jahrelang blockierte das Tabu Pakistan die Wahrnehmung, und es war nicht das einzige.
Als Koenigs das Amt übernimmt, stellt er überrascht fest, dass die Internationalen in Kabul das Problem der erstarkenden Taliban unterschätzen. "Wir kennen die Taliban nicht. Wir haben keinen Kontakt", notiert er und beginnt die Recherche. Der afghanische Verteidigungsminister Abdul Rahim Wardak ("kein Populist und auch kein Politiker") erklärt ihm den Taliban-Aufstand mit Hilfe des Vietcong. Er zitiert den vietnamesischen Strategen Vo Nguyen Giap und dessen "Theorie des Aufstands".
"Täglich schlagen Anti-Terror-Gruppen zu"
Koenigs staunt, denn mit General Giap kennt er sich aus. Der Spross einer Kölner Bankiersfamilie, Teil der Sponti-Clique um Joschka Fischer, verschenkte in den siebziger Jahren sein Erbe an den Vietcong. So finanzierte er den antiimperialistischen Kampf der Nordvietnamesen gegen die Amerikaner.
Dass der Afghane sich jetzt auf seinen "legendären Helden" Giap bezieht, klingt Koenigs "schrill in den Ohren". Umso genauer hört er hin, forscht und analysiert. Die Unterscheidung zwischen Terroristen und Aufständischen wird für ihn zur zentralen Frage. "Wenn es eine politische Bewegung ist, dann muss man, wenn man was dagegen hat, sie nicht nur, aber auch politisch bekämpfen", schreibt er. "Und damit tun wir uns schwer."
Innerhalb der Uno-Maschine wirbt er monatelang für diese Sicht. "Ich werde versuchen, das im Sicherheitsrat auch so zu sagen", schreibt er am 30. Juni 2006, "wenn mir das Headquarter es nicht wieder aus dem Bericht streicht."
"Nur Islam und Frieden"
Koenigs sucht die Öffentlichkeit, im Sommer 2006 sagt er im SPIEGEL: "Inzwischen wissen wir, dass wir es mit einer richtigen Aufstandsbewegung zu tun haben, und je schneller alle das einsehen, desto besser." Er fordert mehr afghanische Polizisten und Soldaten, die anständig ausgebildet und bezahlt werden.
Doch es soll noch lange dauern, bis sich dieser Gedanke durchsetzt. Zu lange glaubt der Westen, dass Entwicklung Sicherheit produziere - und vernachlässigt den Aufbau der lokalen Sicherheitskräfte.
Stattdessen konzentriert sich die Staatengemeinschaft zu Koenigs' Erstaunen auf eine unproduktive Mischung von Militärschlägen und Entwicklungshilfe: "Immer mehr drängen Soldaten in Bereiche vor, wo sie glauben, dass ihnen Erfolg zuwachsen könne." Dabei übernähmen sie "gerne Funktionen, von denen sie keine Ahnung haben - Straßenbau, Aufbau der Verwaltung und sogar Ausbildung von Richtern. Das kann nicht gutgehen".
Koenigs' Zweifel an der Aufbauhilfe wachsen, je mehr er sich damit beschäftigt: "Ohnehin scheint mir, dass die Entwicklungshilfe der Regierung kaum Loyalitäten einbringt", schreibt er. "Die Taliban versprechen den Leuten nichts, keine Schule, keine Straße, keine Brunnen. Nur Islam und Frieden."
Was Koenigs am meisten schockiert, ist das Vorgehen der amerikanischen Sicherheitskräfte. Einmal trifft er einen Mann, der versehentlich mehrere Jahre in Guantanamo eingekerkert war. Koenigs erzählt sein Schicksal und staunt, dass der Mann "immer noch an die Demokratie glaubt. Ich würde mindestens zu den Taliban gegangen sein".
In der täglichen Arbeit ärgert sich Koenigs über die US-Militärs, die in seinen Berichten wie schießwütige Banden daherkommen: "Täglich schlagen irgendwo im Land die Anti-Terror-Gruppen zu", notiert er. Deren Informationen seien manchmal falsch, ihre Bomben schlecht gezielt: "Das empört. Das schafft den Taliban Stoff zur Agitation, das verärgert ganze Dörfer, Stämme und Familien."
Formal ist Koenigs nicht machtlos. Jeden Donnerstag kommt der Kommandeur der Isaf-Stabilisierungstruppe zum Frühstück in Koenigs' Palast. Doch zu den Aktionen von CIA und Special Forces mag der auch nichts sagen.
In der Uno-Mission wächst der Frust
So bleibt den Uno-Leuten nichts anderes, als "einigermaßen hilflos" jeden Zwischenfall zu dokumentieren und bei den Militärs zu protestieren: "Selten erzielen wir einen Erfolg."
Bei seinen Vorgesetzten machen solche Proteste Koenigs nicht beliebter. Er beginnt sich zu sorgen, dass ihm jemand vor die Nase gesetzt werden könnte, "der Einspruch erhebt, wenn ich zu viel über die zivilen Opfer rede".
In der Uno-Mission wächst der Frust. Im Laufe des Buches erinnert der Briefeschreiber Koenigs zusehends an den Fälscher der Hitler-Tagebücher im Film "Schtonk", dessen persönliche Wehwehchen zu denen des Führers werden. Koenigs ist oft müde, er wird "fett", er klagt über seinen "illoyalen Stellvertreter". Es geht ihm ein bisschen, wie es Afghanistan geht.
Einmal beauftragt er seinen Stab, eine Prognose über die wahrscheinliche Entwicklung der Sicherheitslage abzugeben. Das Ergebnis der Expertise ist so negativ, dass Koenigs, sonst ein freundlicher Herr von feinem Witz, die Beherrschung verliert: "Ich habe sie gefragt, warum sie immer noch in Afghanistan sind", schreibt er, und "warum sie sich immer noch nicht die Kugel gegeben haben".
Der Ausbruch geht wieder vorbei, Koenigs Amtszeit auch. Im September 2007 bittet Koenigs den Uno-Generalsekretär, ihn zum Jahresende aus dem Vertrag zu entlassen. In der Uno sind sie einen wie Koenigs offenbar auch mittlerweile leid. In den Hauptstädten wird diskutiert, ob man nicht einen renommierten Staatsmann vom Kaliber Tony Blairs zum Afghanistan-Beauftragten ernennen solle - einen "ganz Großen", einen "Superman", wie Koenigs bitter notiert. Die Debatte sei "ein bisschen gegen mich gerichtet", glaubt er.
Koenigs hatte sich meist dagegen gewehrt, mehr in der Welt herumzureisen und bei den Regierungen der großen Uno-Nationen gut Wetter zu machen. Er bevorzugte Visiten in der Provinz, um besser zu verstehen, was schiefläuft im Land.
Deshalb hat er auch den Learjet der Uno verkauft und für das Geld zwei ukrainische Hubschrauber angeschafft. Damit konnte er zuverlässiger im Land herumreisen. Die Reise nach New York wurde natürlich beschwerlicher. Aber da ließ sich ohnehin wenig ausrichten.