Kritik an deutscher Libyen-Politik "Westerwelle ist ein Desaster"

Philosoph Lévy (r), libyscher Politiker Zeidan: Deutschland werde "bitter bezahlen"
Foto: Eric Feferberg / AFPHamburg - Das weiße Hemd unter dem dunklen Sakko trug er wie üblich weit aufgeknöpft, als er in Bengasi auf die libyschen Rebellen traf: Der französische Philosoph und Dauer-Kommentator Bernard-Henri Lévy wollte sich als Kriegsreporter für die französische Zeitung "Libération" versuchen, zu deren Aktionären er zählt. Dass seine Reise indirekt zum Ausgangspunkt eines internationalen Militäreinsatzes gegen Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi wurde, hätte er selbst kaum gedacht. Heute wirft er der deutschen Regierung Feigheit vor, da sie sich an dem Einsatz militärisch nicht beteiligen will.
In einem Gespräch mit dem SPIEGEL kritisiert Lévy, der entscheidend zu Frankreichs führender Rolle im Libyen-Konflikt beitrug, massiv das Verhalten der deutschen Regierung in dieser Krise. Er bezeichnet es als "eine Katastrophe, vor allem für die Libyer, aber auch für die Deutschen".
Die Enthaltung der Deutschen im Uno-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über einen militärischen Einsatz gegen den libyschen Machthaber Gaddafi hatte international zu Verstimmungen geführt. Im SPIEGEL prophezeit Lévy nun, Deutschland werde diese Enthaltung "noch bitter bezahlen". Die Bundesrepublik werde "Probleme bekommen bei ihrem Streben nach einem ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat".
Kanzlerin Merkel habe "alle Grundlagen der deutschen Außenpolitik seit Kriegsende über den Haufen geworfen". Dieses sei "ein schwerwiegender Vorgang, keine Kleinigkeit", so Lévy. Angela Merkel habe den schlechtesten Außenminister seit sehr langer Zeit: "Guido Westerwelle ist ein Desaster." Er müsse eigentlich gehen, scheine sich jedoch für seine Entscheidung noch "nicht einmal zu schämen, für dieses Tal der Schande".
"Weg mit Gaddafi"
Dem ARD-Magazin "Titel-Thesen-Temperamente" sagte Lévy, er sei entsetzt. "Die deutschen Bemühungen, den Eingriff herauszuzögern, haben vermutlich viele Libyer das Leben gekostet", fügte er hinzu. Die deutsche Außenpolitik sei über Jahre hinweg von dem Motto geprägt gewesen: Nie wieder Nazis. "Und heute bedeutet dies eben 'Weg mit Gaddafi'", sagte Lévy.
Dass er die scharfe Uno-Resolution und den schnellen Beginn der Libyen-Offensive mit in die Wege geleitet hat, will er nicht für sich in Anspruch nehmen. Aber dass der französische Präsident Nicolas Sarkozy überraschend die Repräsentanten der libyschen Rebellen anerkannte, gehe durchaus auf sein Konto, sagt er. Eingefädelt hatte Lévy das Treffen per Satellitentelefon von Bengasi aus. "Das sind Libyens Mudschaheddin. So ein Treffen hätte große politische Bedeutung", sagte er in Anspielung auf die Widerstandskämpfer gegen die Taliban.

Bei dem folgenreichen Treffen im Elysée wenige Tage später war Lévy auch dabei - im Unterschied zum französischen Außenminister Alain Juppé. Dieser erfuhr von dem geplanten Botschafteraustausch mit den libyschen Rebellen erst, als er in Brüssel aus dem Zug stieg. Juppé dementierte dies später, doch der Eindruck hatte sich längst festgesetzt, dass Sarkozy ihn in seinem Tatendrang schlicht übergangen hatte.
Dabei sind Sarkozy und Lévy alles andere als politische Freunde. "Ich habe mich oft gegen ihn gestellt und werde das auch in Zukunft wieder tun", sagte Lévy und versicherte, dass er Sarkozy keinesfalls wählen werde. "Aber in diesem Fall hat er eine mutige Entscheidung getroffen", fügte er hinzu.
Auch in Deutschland stieß die Haltung der Bundesregierung zum Militäreinsatz in Libyen auf scharfe Kritik, auch in den Reihen der Union. Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) bewertete die Enthaltung Deutschlands im Uno-Sicherheitsrat im SPIEGEL als schweren Fehler von "historischer Dimension mit unvermeidlichen Spätfolgen". Der frühere EU-Sonderbeauftragte für Bosnien, Christian Schwarz-Schilling, warf der Regierung "historischen Zynismus" vor. Bei der Verhängung der Flugverbotszone über Libyen sei es darum gegangen, ein Massaker wie einst im bosnischen Srebrenica zu verhindern. "Da kann man sich nicht einfach zurückziehen."
Die außenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Kerstin Müller, wertete die deutsche Enthaltung als "schwerwiegende Fehlentscheidung". Die Bundesregierung hätte der Militäraktion zustimmen müssen, auch wenn sie sich nicht militärisch an der Operation beteilige, schrieb die Grünen-Politikerin in der "taz". "So hat sie Europa gespalten und dramatisch an Glaubwürdigkeit in der Uno und in der arabischen Welt verloren."