Kritik an Kontroll-Mission in Syrien Blinde Beobachter

Beobachter bei Protesten in Idlib (Bild vom 30. Dezember): Frust über Unfähigkeit wächst
Foto: HANDOUT/ REUTERSHamburg/Damaskus - Es ist ein Bild, das nach Meinung von Opposition und Menschenrechtlern die Mission der Arabischen Liga in Syrien recht gut treffen dürfte: Eine Blinde am Stock läuft durch eine Blutlache. "Khalidalbaih" hat den Cartoon mit der Überschrift "Beobachter der Arabischen Liga in Syrien" via Twitter gepostet, um seine Empörung über den seiner Meinung nach wirkungslosen Einsatz zu zeigen.
Vor einer Woche sind die ersten Vertreter der Arabischen Liga in Syrien eingetroffen. 70 Kontrolleure sind in sechs syrischen Orten tätig. Sie sollen den Rückzug von Assads Truppen aus den Städten und die Freilassung der politischen Gefangenen überwachen. Das Ziel der Beobachter: endlich das Blutvergießen stoppen. Mehr als 5000 Menschen sind nach Uno-Angaben bereits bei den Protesten gegen Präsident Baschar al-Assad getötet worden.
Doch bisher hat sich wenig an der Gewalt im Land geändert - und das, obwohl die Mission nun vor Ort ist. Noch immer schießen Assads Truppen mit scharfer Munition, noch immer sterben Menschen. Auch am Montag eröffneten Sicherheitsleute in der Provinz Hama erneut das Feuer auf Demonstranten, berichteten Aktivisten. Nach Angaben der syrischen Opposition sollen seit dem 26. Dezember mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen sein.
"Wer beobachtet eigentlich die Beobachter?"
Asad Abukhalils Urteil ist eindeutig: "Ich glaube nicht, dass die Beobachter der Arabischen Liga fähig sind, irgendetwas zu tun", sagte der Professor für Politikwissenschaft an der California State University dem TV-Sender al-Dschasira.
Auf Facebook und Twitter machten die Assad-Gegner ihrer Empörung Luft: Weder fähig noch willens sei die arabische Beobachterdelegation, ihr Mandat zu erfüllen und die Zivilbevölkerung zu schützen, so der Tenor. Die Mission verkomme zur Farce. "Sara Assaf" fragte zornig: "Wer beobachtet eigentlich die Beobachter?" "Rezaaslan" schrieb zynisch: "Ich bin durcheinander. Sind die Beobachter der Arabischen Liga in Syrien, um Leichen zu zählen?"
Auch Ahmad Ramadan vom Syrischen Nationalrat übte scharfe Kritik: "Vor der Initiative der Arabischen Liga ist im Schnitt alle 40 Minuten ein Bürger getötet worden, jetzt stirbt alle 15 Minuten einer", sagte er in London. Er sieht die Initiative der Arabischen Liga bereits als gescheitert an. Das syrische Regime ignoriere die Bestimmungen des Abkommens: "Die Beobachter sollten nicht endlos im Land bleiben", forderte Ramadan.
Umstrittener Delegationschef
Bis Ende des Monats ist der Einsatz der Mission terminiert. Doch schon jetzt wächst der Frust über deren Unfähigkeit, der sich auch bei Demonstrationen gegen Assad und seine Schergen zeigte. In Sprechchören forderten die Protestierenden von den Beobachtern, endlich für ein Ende des Tötens zu sorgen.
Die in London erscheinende pan-arabische Tageszeitung "al-Sharq al-Awsat" machte die Wut der syrischen Oppositionellen über die Kontrolleure sogar zu ihrem Titelthema. Die Regimegegner seien außer sich vor Zorn über den Delegationschef Mohammed al-Dabi. Dessen Verhalten sei widersprüchlich und verdächtig, zitierte das Blatt namentlich nicht genannte Vertreter des Syrischen Nationalrats.
Der sudanesische Ex-General steht seit Beginn der Mission unter massiver Kritik. Nach einem ersten Besuch der Protesthochburg Homs geriet er durch lapidare Äußerungen in die Schlagzeilen. Einige Gegenden sähen "ein bisschen verwüstet" aus, ansonsten aber hätten die Beobachter bisher "nichts Beängstigendes" in Homs entdeckt, so Dabi.
Das wirkte für viele Aktivisten wie eine Verharmlosung angesichts der Toten, die durch Heckenschützen ums Leben kamen. Und auch dass Dabi Aussagen anderer Beobachter bestritt, die Heckenschützen auf Dächern bestätigt hatten, wirkte alles andere als professionell.
Vertrauen verloren
Das Vertrauen in den Missionschef und seine Delegation ist seitdem rapide gesunken, zumal Dabis Ernennung von Anfang an umstritten war. Er gilt als Vertrauter des sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir, der wegen Kriegsverbrechen in Darfur mit internationalem Haftbefehl gesucht wird.
Zudem berichtete die Opposition mehrfach, dass sich Beobachter der Arabischen Liga von Assads Regime täuschen ließen. So sollen die Sicherheitskräfte die Gesandten in falsche Ortschaften führen, um sie in die Irre zu führen. Eine Befürchtung, die die Aktivisten von Beginn an hatten, da die Regierung für die Sicherheit der Mission zuständig ist und für deren Transport sorgt.
Die staatliche syrische Presse zeichnete derweil ein völlig anderes Bild der Mission: Die Delegation der Arabischen Liga habe in den vergangenen Tagen mehrere Orte besucht, die als Hochburgen der Anti-Regime-Proteste gelten, unter anderem Homs, Hama, Idlib und Daraa. Die Beobachter hätten in diesen Orten mit vielen Bürgern gesprochen, schrieb die Parteizeitung "al-Baath". Diese hätten die Forderung zum Ausdruck gebracht, "dass die Delegation die Fakten unverfälscht übermittelt", und "ihre Furcht vor Terror und bewaffneten Banden" geäußert. Außerdem hätten die Bürger ihre Unterstützung für das "Reformprogramm" der syrischen Führung bekundet.
"Menschenverachtendes Vorgehen"
Das alles sorgt nicht gerade für Vertrauen in die Beobachter. Selbst das Arabische Parlament, ein Beratergremium, das an die Arabische Liga angeschlossen ist, forderte den sofortigen Abzug der eigenen Mission "angesichts der andauernden Tötung unschuldiger Zivilisten". Die Kontrolleure böten dem Assad-Regime lediglich einen Deckmantel, hinter dem es sein "menschenverachtendes Vorgehen" fortsetze, sagte der kuwaitische Parlamentssprecher Ali Salem al-Dekbasi.
Am Montag versuchte der Generalsekretär der Liga, Nabil al-Arabi, gegenzusteuern. Er stellte sich ausdrücklich hinter den in die Kritik geratenen Chef der Beobachterdelegation Dabi. "Ja, es wird noch geschossen, und ja, es gibt Heckenschützen", sagte er in Kairo. Welche Konsequenzen die Arabische Liga daraus ziehen werde, ließ Arabi allerdings offen.
Der Generalsekretär betonte lieber, dass die Mission seiner Meinung nicht gänzlich erfolglos sei: Trotz der Schüsse gebe es "keine militärische Präsenz mehr in den Städten und Wohnvierteln". Man habe erreicht, dass 3484 Gefangene freigelassen worden seien. Und in Homs seien die Menschen mit Lebensmitteln versorgt und Leichen geborgen worden.