Kritik an Reformtempo EU prangert Ehrenmorde und Folter in Türkei an
Brüssel - In der Türkei gibt es noch immer erhebliche Defizite im Bereich Meinungsfreiheit und bei anderen grundlegenden Bürgerrechten. Dieses Fazit zieht die EU-Kommission in ihrem Jahresbericht zur den Reformfortschritten. Sogenannte Ehrenmorde an Frauen und Folter seien immer noch "schwerwiegende Probleme" und in einigen Regionen weit verbreitet, heißt es in dem Report.
Die Kommission zitiert hierzu eine Studie im Auftrag der türkischen Regierung, derzufolge 39 Prozent der befragten türkischen Frauen im Laufe ihres Lebens Opfer körperlicher Gewalt geworden sind. 15 Prozent gaben an, sie seien sexuell missbraucht worden.
Als Fortschritt wertet die EU-Kommission den Prozess gegen eine Gruppe ranghoher Offiziere, die den Sturz der Regierung geplant haben sollen. Es handele sich um das erste Gerichtsverfahren gegen mutmaßliche Putschisten in der türkischen Geschichte, schreibt die Brüsseler Behörde. Dagegen kämen die Gerichtsverfahren gegen die Mörder des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink kaum voran. Es gebe Hinweise, dass die türkischen Sicherheitskräfte den Mord hätten verhindern können.
Nach Ansicht der Kommission verfügt das türkische Militär weiter über "unangemessenen politischen Einfluss". So hätten sich führende Offiziere wiederholt zu Fragen der Kurdenpolitik oder der Laizität geäußert.
Trotz einzelner Fortschritte würden die Rechte der Kurden sowie religiöser Minderheiten weiterhin eingeschränkt, heißt es weiter. Auch im gespannten Verhältnis zur griechischen Republik Zypern gebe es keinerlei Fortschritte. Die Türkei verhandelt seit vier Jahren mit der Europäischen Union über eine Aufnahme.
Zugleich legte die Kommission Fortschrittsberichte zu sieben Beitrittsanwärtern auf dem Balkan vor, darunter Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn rief die Balkanstaaten zu einem entschiedeneren Kampf gegen die Korruption auf. Kroatien gilt derzeit als aussichtsreichster Beitrittskandidat. Eine Aufnahme in die EU wäre frühestens 2011 möglich. Insgesamt verhandelt die EU mit neun Staaten, darunter auch Island.
CSU-Europaabgeordneter fordert Stopp der Aufnahmeverhandlungen
Der CSU-Europaparlamentarier Manfred Weber hat Union und FDP aufgefordert, im Koalitionsvertrag den Stopp der Aufnahmeverhandlungen mit der Türkei festzuschreiben. Als Grund nannte er in einem Gespräch mit der "Passauer Neuen Presse" den aktuellen Fortschrittsbericht der EU. "Wenn selbst die Kommission die Beitrittsgespräche mit der Türkei skeptisch bewertet, heißt das, dass praktisch Ernüchterung und Stillstand herrscht", sagte Weber.
Der CSU-Politiker sprach von einem Signal aus Brüssel "zur rechten Zeit, um in Berlin die Agenda zu verändern". Die Koalitionsgespräche hätten Symbolcharakter. "Jetzt muss das Signal gesetzt werden: die Beitrittsgespräche stoppen und stattdessen Verhandlungen über eine privilegierte Partnerschaft aufnehmen", sagte Weber, der auch stellvertretender Fraktionschef der konservativen europäischen Volkspartei (EVP) in Brüssel ist.