Fotostrecke

Kritik von Castro: Mehr Disziplin für Kuba

Foto: Ismael Francisco/ AP/dpa

Rede vor dem Parlament Raúl Castro prangert Sittenverfall auf Kuba an

Viele Kubaner wünschen sich mehr Freiheit und weniger Mangel - Präsident Castro sieht dringlichere Probleme: die angeblich verfallenden Sitten. Als Beispiele nennt er laute Musik, Steine werfende Kinder, Schimpfen auf der Straße.

Havanna - Die Rede von Raúl Castro begann mit einem nüchternen politischen Vorstoß. Die seit 1994 geltende Doppelwährung soll abgeschafft werden, sie sei "eines der größten Hindernisse für den nationalen Fortschritt", sagte Castro am Sonntag vor dem Parlament.

Die Auflösung der Doppelwährung hätte tiefgreifende Folgen. Neben der offiziellen Landeswährung Peso cubano (CUP) gilt im Zahlungsverkehr auch die Devisenwährung Peso convertible (CUC) - das spaltet die Gesellschaft.

Viele Kubaner erhalten Geld von Verwandten im Ausland, das sie dann in den Wechselstuben in die Devisenwährung CUC tauschen. Wer CUC hat, kann alles kaufen: Shampoo aus Brasilien, Rindersteaks aus Argentinien oder Coca-Cola aus Mexiko. Andere Kubaner aber müssen sich mit den staatlichen Monatsgehältern und Renten begnügen, ausgezahlt in kubanischen Pesos. Für sie sind die Dinge unerschwinglich.

Das will Castro nun ändern: So könnten Gehälter und Preise angeglichen werden. Auch Steuern und Subventionen würden in der Folge überdacht werden. Einen Zeitpunkt für die Reform nannte er nicht.

Ordnung und Disziplin für Kuba

Doch aus Castros Sicht kommen viel größere Herausforderungen auf Kuba zu. Denn glaubt man dem Präsidenten, verfällt in Kuba die Moral. Ehrlichkeit, Anstand, Rechtschaffenheit - all das trete in den Hintergrund und gefährde die Revolution. Raúl zitierte seinen Bruder Fidel: Nicht der Feind, nur die Kubaner selbst könnten die Revolution zerstören.

Castro hat sich nun zum Ziel gesetzt, Ordnung und Disziplin wiederherzustellen. Denn seiner Ansicht nach läuft zu vieles schief auf der Karibikinsel: Teile der Bevölkerung sähen es als normal an, den Staat zu bestehlen, wetterte Castro (lesen Sie die Rede hier  auf Spanisch). Damit meinte er nicht nur die "beschämenden Fälle" von Korruption und das Annehmen von Bestechungsgeldern.

Er schimpfte auch auf illegale Bauten, den Schwarzmarkt, die nicht genehmigte Aufzucht von Tieren, die Zerstörung von Parks und Monumenten, das Abholzen von Wäldern und sogar das zu späte Erscheinen bei der Arbeit.

Das Benehmen der Kubaner in der Öffentlichkeit ärgert den 82 Jahre alten Staatschef offenbar besonders. Er beklagte, dass "unabhängig von Alter oder Bildungsgrad" laut auf den Straßen geschrien werde und wahllos Schimpfwörter verwendet würden.

Revolutionärer Kampfgeist gegen raue Sitten

Doch damit nicht genug. Einige Kubaner würden ihr Geschäft in Straßen und Parks verrichten; andere an "unpassenden öffentlichen Orten" Alkohol konsumieren und betrunken Auto fahren. Außerdem kritisierte er, dass Mauern von Gebäuden bemalt und verschandelt würden - gemeint sind wohl Graffiti. Castro beklagte auch, dass laute Musik gespielt werde, während andere Menschen ihre Ruhe haben wollten. Kinder würden Steine auf Autos und Züge werfen.

Überhaupt, das Verhalten in öffentlichen Transportmitteln: Grundlegende Regeln des Zusammenlebens würden dort ignoriert, die Menschen hätten keinen Respekt mehr vor Älteren, Schwangeren, Müttern mit kleinen Kindern oder Behinderten.

"All dies passiert vor unseren Augen, ohne dass jemand sich öffentlich empört oder einschreitet", kritisierte Castro. Vielleicht sprach er damit auch Menschen in anderen Ländern aus dem Herzen, die ebenfalls Sittenverfall in ihrer Gesellschaft beklagen. Castros Lösung aber war dann wieder ganz im Sinne der Revolution: Alle Kubaner müssten sich jetzt engagieren. Nichts sei schlimmer für einen Revolutionär als die Resignation. "Daher ist es an uns, die Stimmung zu heben und Kampfgeist zu beleben, damit wir uns der gigantischen und langwierigen Aufgabe stellen, die entstandenen Probleme zu beheben."

Das ganze Volk müsse mobilisiert werden. Für viele Menschen dürfte die kritisierte Disziplinlosigkeit allerdings nicht das größte Problem im Land sein. Kuba ist wirtschaftlich angeschlagen. Trotz vorsichtiger Wirtschaftsöffnung klagt die Opposition weiter über mangelnde politische Reformen und willkürliche Festnahmen. Sie glaubt nicht an eine politische Wende - mit Reformen wie der seit Januar gültigen Reisefreiheit wolle das Regime laut Kubanischer Kommission für Menschenrechte und Nationale Versöhnung nur "ihr Image international aufpolieren".

kgp/dpa

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren