Reporter filmen illegale Abschiebung Beamte zwingen Geflüchtete über EU-Grenze

Meldungen über sogenannte Push-Backs gibt es immer wieder. Doch nun wollen Schweizer Reporter eine illegale Abschiebung an der EU-Außengrenze dokumentiert haben. Flüchtlinge schildern, wie brutal sie behandelt wurden.
Von Markus Sehl
Flüchtlinge an der Grenze von Kroatien zu Bosnien-Herzegowina: "Verstoß gegen EU- und Völkerrecht"

Flüchtlinge an der Grenze von Kroatien zu Bosnien-Herzegowina: "Verstoß gegen EU- und Völkerrecht"

Foto: SRF

Sie kommen zwischen den Bäumen hervor, tauchen aus einer Mulde auf. Eine Gruppe von rund 15 Menschen mit Rucksäcken und Decken bepackt, an ihrer Spitze geht ein kroatischer Uniformierter. Als sie am Grenzstein ankommen, der an der EU-Außengrenze Kroatien vom Nachbarland Bosnien-Herzegowina trennt, schickt er sie mit einer Armbewegung auf die andere Seite.

Zum ersten Mal wollen Schweizer "Rundschau"-Reporter sogenannte Push-Backs, also illegale Abschiebungen von Flüchtlingen an der EU-Außengrenze dokumentiert haben - mit versteckter Kamera. Die Reporter konnten auf der bosnischen Seite mit den zurückgeschobenen Flüchtlingen sprechen. Sie stammen vor allem aus Pakistan, Bangladesch und Afghanistan.

Den Reportern berichten sie, dass sie von der kroatischen Polizei ohne Verfahren und an einem inoffiziellen Grenzübergang nach Bosnien abgeschoben wurden. Die Filmaufnahmen entstanden im verlassenen Grenzgebiet, in einem Tal nahe dem bosnischen Dorf Gradina, ganz im Nordwesten des Landes.

Die Reporter legten ihre Aufnahmen Migrationsexperten und Menschenrechtsorganisationen vor. András Léderer vom "Hungarian Helsinki Committee" spricht von massiven Menschenrechtsverletzungen. Vor einer Rückführung brauche es immer ein offizielles Verfahren, jeder Einzelfall müsse zumindest geprüft werden. Die Videoaufnahmen  zeigten aber klar eine kollektive Abschiebung mitten im Wald, was immer illegal sei.

"Es ist ein Verstoß gegen EU-Recht und Völkerrecht", sagt der deutsche Migrationsforscher Marcus Engler. Kroatien sei dabei kein Einzelfall. "Die Praxis wird an der ganzen EU-Außengrenze angewendet."

Gruppe am Grenzstein (TV-Ausschnitt)

Gruppe am Grenzstein (TV-Ausschnitt)

Foto: SRF

Die Vorwürfe gegen Kroatien sind nicht neu, aber zum ersten Mal könnte den Schweizer Reportern mit ihren Aufnahmen der Beweis gelungen sein. Bereits im Dezember 2018 waren heimliche Videoaufnahmen einer Menschenrechtsorganisation bekannt geworden, die zeigen sollen, wie bewaffnete kroatische Polizisten Migranten durch den Wald an die Grenze zu Bosnien führen. Aber damals war der eigentliche Grenzübertritt, der Push-Back, nicht zu sehen. Auch war unklar, wo genau die Aufnahmen entstanden sind, die Betroffenen konnten nicht interviewt werden.

Im Video: Flüchtlingselend an der kroatischen Grenze - Endstation Bihac

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Klares Dementi der Behörden

Ein junger Pakistani, der zu der nun gefilmten Gruppe am Grenzstein gehört, erzählt den "Rundschau"-Reportern: "Sie haben uns alle in einen Van gesteckt und zur Grenze gefahren. Dann haben sie unsere Handys zerstört und uns mit Knüppelhieben Richtung Bosnien geschickt." Das Geld, das einige dabei gehabt hätten, sei ihnen gestohlen worden.

Insgesamt vier Push-Backs an zwei Tagen konnten die Reporter dokumentieren. Betroffen waren insgesamt 70 Menschen. Eine afghanische Familie mit Kleinkindern berichtet, wie sie im Wald von kroatischen Polizisten gestoppt worden sei. "Sie richteten die Pistolen auf uns und sagten Stopp. Wir hatten große Angst und weinten", sagt das älteste der Kinder. Als die Familie um Asyl gebeten habe, hätten die Beamten gelacht - man werde ihnen "bosnisches Asyl" geben.

Polizeifahrzeug im Grenzgebiet (TV-Ausschnitt)

Polizeifahrzeug im Grenzgebiet (TV-Ausschnitt)

Foto: SRF

Das kroatische Innenministerium weist die Vorwürfe zurück. Die Videoaufnahmen zeigten keine illegalen Handlungen der kroatischen Behörden. Polizisten würden Personen von der illegalen Einreise in die EU abhalten. Das sei im Einklang mit dem Schengener Grenzabkommen. Außerdem sei der Grenzabschnitt dort minenverdächtiges Gebiet, die Polizisten hätten die angetroffenen Personen deshalb auf die nächstgelegene Forststraße geleitet.

Migranten würden von den Polizisten weder geschlagen noch bestohlen. Niemand werde daran gehindert, in Kroatien Asyl zu beantragen. "Die Aussagen der Migranten sind falsch", so das Innenministerium.

Die EU-Kommission in Brüssel nimmt zu dem Fall keine Stellung, eine Anfrage an den EU-Kommissar für Migration wurde abgelehnt.

Balkan-Länder werden zu Türstehern Europas

Kroatien ist seit 2013 Mitglied in der EU, aber noch nicht im europäischen Schengenraum, in dem es keine Binnengrenzkontrollen mehr gibt. Die Regierung in Zagreb strebt die Aufnahme für 2019 an. Wichtiges Kriterium für die Aufnahme: Kann Kroatien die EU-Außengrenze seines Territoriums wirksam absichern? Daran scheiterte zuletzt etwa die Aufnahme Bulgariens.

Die EU-Kommission hat ein Interesse am Schutz der Außengrenze, sie fördert den Ausbau des kroatischen Grenzschutzes. So werden Länder wie Kroatien zu Europas Türstehern, Abschiebeszenen wie die im Wald bei Gradina vorverlagert, mehr als 500 Kilometer von der deutschen Grenze bei Passau entfernt.

Seit der weitgehenden Schließung der Balkanroute führt eine alternative Route über Albanien, Montenegro und Bosnien an die EU-Außengrenze in Kroatien. Dass das Land schnell Schengenmitglied wird, fordert auch der deutsche EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber. Kroatien wird von einer konservativen Regierung geführt, die auch der EVP-Gruppe angehört. Am Wochenende wird Bundeskanzlerin Angela Merkel in der kroatischen Hauptstadt Zagreb erwartet.

Sie soll dort EU-Wahlkampf machen.

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