Kuba Von der Revolution zur Prostitution
Vor deftigen Worten hat Fidel Castro nie zurückgeschreckt. Doch dieses Mal war der alte Mann offensichtlich wirklich richtig wütend auf den amerikanischen Präsidenten. Der Vorwurf hatte tief und schwer getroffen.
In seiner Rede zum Jahrestag des gescheiterten Revolutionsversuchs von 1953 knöpfte er sich Bush vor. "Dies sind unbeschreibliche und grobe Verleumdungen", sagte Castro. Er nannte George W. Bush einen Alkoholiker und Analphabeten. Der US-Präsident habe seine früheren Alkoholprobleme nur durch religiösen Fundamentalismus in den Griff bekommen, den er als Verteidigungsmechanismus benutze.
Bush hatte vor zehn Tagen gesagt, dass Kuba eines der Hauptziele des Sextourismus sei und dass die kommunistische Regierung ihn sogar fördere. Aus Kuba hatte es damals schon heftige Kritik gegeben: Bush habe frühere Aussagen Castros aus dem Zusammenhang gerissen, hieß es. So hatte der Staats- und Parteichef vor rund zehn Jahren einmal versichert, dass im sozialistischen Kuba selbst Prostituierte einen Hochschulabschluss hätten.
Es ist ein jahrzehntealtes Ritual, das derzeit zwischen Kuba und den USA abläuft. In den 45 Jahren seit der kubanischen Revolution hat Fidel Castro zehn amerikanische Präsidenten erlebt. Sie alle hatten ein Ziel: das unliebsame Regime vor ihrer Haustür unter ihre Kontrolle zu bekommen. Und die amerikanischen Präsidenten haben ihrerseits jeweils das gleiche erlebt: einen starrköpfigen Diktator. Was sich dagegen dramatisch verändert hat, sind die Lebensbedingungen der Menschen auf Kuba - vor allem seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion.
81 Prozent für Bush
In alter Republikaner-Manier hat Bush kürzlich damit begonnen, die konservativen, Castro-feindlichen Exil-Kubaner in Florida zu umwerben. Er bedankte sich auf seine Weise dafür, dass sie ihm vor vier Jahren mit 81 Prozent ihrer Stimmen bei dem Auszählskandal in Florida einen hauchdünnen Vorsprung und damit das Entrée ins Weiße Haus verschafften: Er verschärfte die Sanktionen gegen den Karibikstaat weiter.
In den USA lebende Kubaner dürfen nur noch alle drei Jahre ihre Verwandten auf der Insel besuchen, bisher durften sie einmal im Jahr dorthin reisen. Pro Tag dürfen sie auf der Reise nur noch 50 Dollar ausgeben; bisher 167. Die monatlichen Geldüberweisungen dürfen 75 Dollar nicht mehr überschreiten; vorher 100. Das Ziel der Aktion: Bush will den Devisenfluss und damit am Ende das Regime zum Zusammenbruch bringen.
Der Dollartransfer auf die Palmeninsel ist mit den Jahren zu einer Art lebensnotwendiger Dauerinfusion für das System geworden. Rund eine Milliarde Dollar reichen die amerikanischen Exil-Kubaner nach Uno-Schätzungen pro Jahr an ihre Verwandten weiter. Allerdings spaltet der Geldstrom die kubanische Gesellschaft in zwei Teile: die Dollar- und die Peso-Klasse. Wer mit US-Geld versorgt wird, kann auf Kuba relativ gut leben. In den über das ganze Land verteilten "Shopping" genannten Dollar-Geschäften, gibt es von der Zahnbürste bis zur Waschmaschine alles zu kaufen.
Wer keine Verwandten hat, hat ein Problem: Er muss Dollars auftreiben. Denn der Anspruch aller Bürger über Lebensmittelkarten auf die notwendigen Grundnahrungsmittel und Hygieneartikel besteht häufig nur in der Theorie. Das marode Wirtschaftssystem kann seine eigenen Leute nicht versorgen - und es verfällt zusehends weiter.
Für viele Kubaner besteht die einzige Chance, Dollars zu ergattern, im Tourismus. 1,7 Millionen Besucher kommen jedes Jahr auf die Palmeninsel. Viele kommen zum Sonnenbaden und Tauchen. Immer mehr kommen wegen Sex.
Begehrtes Gut Dollar
Die Jobs in Hotels und Restaurants sind extrem begehrt. Hier lassen sich oft an einem Tag mehr Trinkgeld-Dollars verdienen als der Peso-Lohn für den ganzen Monat wert ist. Manche vermieten privat Zimmer, andere eröffneten die seit einigen Jahren erlaubten Mini-Restaurants mit höchstens drei Tischen, wieder andere chauffieren nach Feierabend in ihren Autos Touristen durch die Gegend. Und nicht wenige Frauen zwingt die Armut, sich zu prostituieren.
Dass Kuba inzwischen zu den bei Sextouristen begehrten Reisezielen gehört, ist unbestritten. Selbst die kubanische Regierung würde das wohl höchstens der Form halber dementieren. Auf den entsprechenden Internetseiten tauschen sich Männer munter über die Vorzüge der einzelnen Länder aus. Laut Jörg Nowak vom Katholischen Missionswerk Missio, das eine Kampagne gegen Sextourismus gestartet hat, nennen die Männer vor allem die Preise als Vorteil Kubas. "Die letzte Bastion für billige Pussis", zitiert Nowak einen Forumseintrag.
Genaue Details über den Umfang des Sextourismus kennt Missio nicht, denn Hilfsorganisationen und Menschenrechtler sind dort unerwünscht. Auch Amnesty International hat nicht mehr Informationen, als dass Sextourismus auf Kuba ein großes Thema ist. "Seit mehr als zehn Jahren", erklärt Jerôme Cholet, "hat keine ai-Delegation mehr Zutritt nach Kuba bekommen."
Informationen, dass die Regierung die Prostitution aktiv unterstützt, wie Bushs Vorwurf lautet, haben beide Organisationen nicht. Die Vermutung geht eher dahin, dass diese Form der Devisenbeschaffung geduldet wird und staatliche Stellen nichts dagegen unternehmen - manchmal allerdings etwas dafür: Vor fünf Jahren wurden mehrere leitende Mitarbeiter des kubanischen Tourismus-Ministeriums nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft entlassen, weil sie Sextourismus begünstigt haben sollen.
Doch wie viel an Bushs Vorwurf der aktiven Förderung der Prostitution auch dran ist - pikant ist grade dieses Thema allemal. Schließlich hatten der von Washington protegierte Diktator Batista und die Mafia Kuba zum Bordell und Vergnügungsviertel der USA umfunktioniert. Das endete erst mit Castros Revolution 1959. Doch 45 Jahre später ist Kuba offenbar wieder da angekommen, wovon sich die Menschen auf der Insel einmal befreien wollten.