
Unabhängigkeitsreferendum: Der Traum von der Freiheit
Kurden im Irak Sehnsucht nach dem eigenen Staat
Die Ortschaften in Irakisch-Kurdistan sind in diesen Tagen ein rot-weiß-grünes Fahnenmeer. Allein am Wochenende demonstrierten in Dohuk, Zaxo und anderen Städten Zehntausende Menschen für ein unabhängiges Kurdistan. Am kommenden Montag wollen sie diesem Ziel einen großen Schritt näherkommen.
Am 25. September hält die kurdische Regionalregierung ein Referendum ab. Das hat keine bindende Wirkung, soll aber die Verhandlungsposition von Masoud Barzani, dem Präsidenten der Autonomen Region Kurdistan, stärken.
Auf dem Wahlzettel steht in vier verschiedenen Sprachen - Kurdisch, Arabisch, Turkmenisch und Syrisch, einer Sprache, die von einer christlichen Minderheit im Nordirak gesprochen wird - eine Frage: "Möchten Sie, dass die Region Kurdistan und kurdische Gebiete, die außerhalb der Regionalverwaltung liegen, ein unabhängiger Staat werden?"
Das Ergebnis dürfte eindeutig sein
Schon die Fragestellung lässt erkennen, wie kompliziert die Kurdistan-Frage im Irak ist. Es geht nämlich nicht nur um die kurdischen Autonomiegebiete, sondern auch um Kirkuk und Umgebung. Diese Gegend war einst mehrheitlich kurdisch. Dann ließ das Regime von Saddam Hussein dort arabische Iraker siedeln und Kurden vertreiben.

Eigentlich sollte schon vor Jahren ein Referendum den Status von Kirkuk klären - es wurde jedoch nie abgehalten. Stattdessen stellt nun Barzani die Welt vor vollendete Tatsachen und will das Gebiet in seinen zukünftigen kurdischen Staat eingliedern.
Das Ergebnis dürfte eindeutig sein: Die Mehrheit der Wahlberechtigten wird am kommenden Montag für die Unabhängigkeit Kurdistans stimmen.
Der "Kurxit" hat viele Gegner
Doch damit stehen die Kurden ziemlich allein dar: Nicht nur die irakische Zentralregierung ist gegen den "Kurxit". Das Oberste Gericht in Bagdad erklärte das Referendum am Montag für ungültig. Auch die USA, die EU und selbst die Uno lehnen die Abstimmung ab. Sie fürchten, das Referendum könne den Irak destabilisieren - ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, da die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) besiegt scheint.
Die Kurden hingegen wollen nicht länger warten. Barzani betrachtet die Unabhängigkeit als verdiente Belohnung dafür, dass die Kurden den weiteren Vormarsch des IS im Nordirak stoppten und die Dschihadisten seit 2015 zurückdrängten.
Pro #KurdistanReferendum rallies across Badinan: Akre, Amedi, Dohuk and Zakho pic.twitter.com/jYzQVw7CnA
— Masoud Barzani (@masoud_barzani) September 17, 2017
Großer Widerstand gegen ein Referendum über die Unabhängigkeit Kurdistans kommt vor allem aus den Nachbarstaaten. Eine solche Abstimmung wäre ein "historischer Fehler", sagte der türkische Vizepremier Bekir Bozdag. Die Türkei verfolge eine Politik, die die "Integrität des Irak als Basis" habe. "Das Referendum im Nordirak muss abgesagt werden. Wenn nicht, wird es Kosten und Vergeltungsmaßnahmen zur Folge haben", erklärte Bozdag. Die Abstimmung berge "große Sicherheitsrisiken" und gefährde den "Frieden in der Region".
Die Türkei fürchtet Rückenwind für die PKK
Die Türkei befürchtet, ein Ja beim Referendum im nordirakischen Kurdistan könnte die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden im eigenen Land anfachen. Das türkische Militär kämpft seit Sommer 2015 in den überwiegend kurdisch besiedelten Regionen im Südosten der Türkei - offiziell gegen die PKK, tatsächlich aber auch gegen die Zivilbevölkerung. Diese unterstützt nach Ansicht mancher Regierungspolitiker die PKK oder hegt zumindest Sympathien für sie - und macht sich damit der Terrorunterstützung schuldig. Auch in Syrien, entlang der Grenze zur Türkei, haben sich türkische Truppen an Schlägen gegen kurdische Milizen beteiligt, um zu verhindern, dass ein zusammenhängender Streifen unter kurdische Kontrolle kommt.
Mit der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak pflegt die Türkei hingegen gute Beziehungen, bezieht Öl von ihr, betreibt Handel und investiert großzügig. Sie akzeptiert, dass diese Region eine eigene Regierung und mit den Peschmerga eigene Streitkräfte hat. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sieht in Barzani und seiner konservativen Partei PDK ein Gegengewicht zur linken Ideologie der PKK. Umgekehrt nimmt Barzani hin, dass die Türkei in der irakischen Kurdenregion Luftangriffe gegen die PKK fliegt. Die Unabhängigkeitsbestrebungen Barzanis haben das Verhältnis zur Türkei allerdings stark abgekühlt.
Auch Iran befürchtet, das Referendum könnte separatistische Tendenzen der Kurden im eigenen Land verstärken. Ali Schamchani, Sekretär des nationalen Sicherheitsrats, sagte laut iranischer Nachrichtenagentur Isna, man habe die Kurden im Nordirak bislang als "Brüder und Verbündete" gesehen und sie "auch in schweren Zeiten unterstützt". Aber das Referendum sei illegal und "nicht vorteilhaft für die Sicherheit des Irak und der Region". Iran würde im Falle einer solchen Abstimmung schärfere Grenzkontrollen einführen und in keiner Weise mit einem unabhängigen Kurdenstaat zusammenarbeiten.
Aus iranischen Regierungskreisen hieß es, man bemühe sich, Barzani davon zu überzeugen, das Referendum doch noch abzusagen. Ein hochrangiger Vertreter der iranischen Revolutionsgarden sei nach Erbil gereist, um den iranischen Standpunkt deutlich zu machen und vor einem Zerfall des Irak zu warnen.

Unabhängigkeitsreferendum: Der Traum von der Freiheit
Unterstützung erhält Barzani allein aus Israel - und das nicht erst, seit er das Referendum angekündigt hat. Der jüdische Staat verfolgt seit Jahrzehnten eine sogenannte Peripherie-Strategie und schmiedet fernab der Weltöffentlichkeit Allianzen mit Minderheiten - die christlichen Maroniten im Libanon gehörten einst dazu, die südsudanesische Unabhängigkeitsbewegung und eben die Kurden des Irak. Bereits seit den Sechzigerjahren gibt es immer wieder Berichte darüber, dass Israel ihnen Waffen und Ausbilder schickt.
Netanyahu unterstützt Barzanis Pläne
Zwar verbindet Juden und Kurden auch eine gemeinsame jahrhundertelange Geschichte der Verfolgung und Staatenlosigkeit, es sind aber vor allem die gemeinsamen Feinde, die zu dieser Politik geführt haben - früher war es Iraks Despot Saddam Hussein, seit dessen Sturz mehr und mehr die Islamische Republik Iran.
Israel betrachtet ein unabhängiges Kurdistan im Irak als Bollwerk gegen den wachsenden Einfluss Teherans in der Region. Außerdem liefern die Kurden in Kirkuk den Israelis Öl. Vor diesem Hintergrund intensiviert die Regierung in Jerusalem in diesen Wochen ihre seit 2014 immer wieder öffentlich vorgetragene rhetorische Unterstützung für Barzanis Plan. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu nannte Iraks Kurden vor wenigen Tagen ein "mutiges, prowestliches Volk, das unsere Werte teilt."
Barzani hat die Pläne für die kurdische Unabhängigkeit so weit vorangetrieben, dass er kaum noch zurück kann. Der einzige gesichtswahrende Kompromiss könnte in einer weiteren Ausweitung der Autonomie liegen - verbunden mit der Zusage für ein Referendum zu einem späteren Zeitpunkt.