Labour-Plan für Brexit-Referendum Corbyns Trick

Jeremy Corbyn
Foto: PETER NICHOLLS/ REUTERSDie Pressemitteilung verschickte die Labour-Spitze am Montag gegen 18.30 Uhr. Es ging um die nächste Brexit-Abstimmung diese Woche im britischen Parlament, um die üblichen Forderungen der Partei: Zollunion, enge Kooperation mit der EU, diese Sachen. Doch die brisanteste Information, der Kurswechsel, stand im letzten Absatz.
Man werde einen Antrag "für eine Volksabstimmung" unterstützen oder selbst einbringen. Es gehe darum, "zu verhindern, dass ein schädlicher Tory-Brexit dem Land aufgezwungen wird".
Auf diesen Moment haben viele Proeuropäer bei Labour lange gewartet. Laut Umfragen wollen mehr als 70 Prozent der Parteimitglieder, dass noch einmal über den Brexit abgestimmt wird. Die Hoffnung ist bei einigen groß, auf diese Weise den EU-Ausstieg doch noch abwenden zu können.
Und eigentlich hatte sich die Opposition auf ihrem Liverpooler Parteitag im vergangenen September genau diese Option offengehalten. Wenn Neuwahlen nicht möglich seien, hieß es damals, kämen alle denkbaren Strategien auf den Tisch - auch ein zweites Referendum.
Keine Chance auf Neuwahlen
Mittlerweile ist längst klar, dass Labour derzeit keine Chance auf vorgezogene Wahlen hat. Ein dafür notwendiger Misstrauensantrag gegen die Regierung scheiterte im Januar im Parlament. Doch Parteichef Jeremy Corbyn, selbst ein scharfer EU-Kritiker, machte weiter keine Anstalten, sich für die Volksabstimmung einzusetzen. Bis jetzt.
Konkret plant Labour , zunächst am Mittwoch einen eigenen Antrag vorzulegen. Darin wird die Regierung aufgefordert, sich die bisherige Labour-Linie für einen alternativen Brexit-Deal zu eigen zu machen.
Der Vorstoß ist chancenlos, denn die Partei bräuchte dafür Hilfe aus den Reihen der Tories. Es gilt jedoch als praktisch ausgeschlossen, dass selbst kritische Konservative den Plan des linken Hardliners Corbyn mittragen. Entscheidender ist deshalb Plan B: Scheitert die Initiative, will die Parteiführung auf die Volksabstimmung drängen.
Wann genau es so weit sein könnte, lässt Labour zwar offen. Vermutlich aber am 12. März. Dann will Premierministerin Theresa May erneut ihren Brexit-Deal im Unterhaus vorlegen. "So oder so", sagte Corbyn, "wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um No Deal zu verhindern". Ein Sinneswandel an der Labour-Spitze? Vermutlich eher nicht.
Denn es ist kein Geheimnis, dass die Idee einer Volksabstimmung im Unterhaus derzeit wohl keine Mehrheit hat. Der größte Teil der Abgeordneten sieht sich dem Ergebnis des Referendums vom 2016 verpflichtet. Jetzt einfach noch einmal abstimmen zu lassen, in den Augen vieler wäre das undemokratisch.
Mays Deal absegnen - und Volk entscheiden lassen
Am meisten Zuspruch dürfte nach jetzigem Stand wohl ein Vorschlag der Labour-Abgeordneten Peter Kyle und Phil Wilson erhalten. Demnach würde das Parlament Mays Abkommen zustimmen - unter der Bedingung, die finale Entscheidung darüber dem Volk zu überlassen.
Für manche proeuropäische Konservative wäre das eine elegante Lösung: Sie könnten sich für ein zweites Referendum aussprechen - ohne den EU-Deal ihrer eigenen Regierungschefin abzulehnen. Und sie müssten nicht ein Papier unterstützen, das die Unterschrift des verhassten Corbyn trägt.
Doch klar ist auch: 320 Stimmen sind für eine Mehrheit nötig. Selbst wenn Labour geschlossen mit allen Kräften der Opposition für das Referendum votiert, fehlen immer noch vier Stimmen.
Bei den Tories aber gibt es nur vereinzelt Politiker, die für die Volksabstimmung sind. Bei Labour wiederum sind eine ganze Menge dagegen. 25 Fraktionsmitglieder, heißt es, würden sich einem zweiten Referendum auf jeden Fall widersetzen. Was also will Corbyn?
Die Frage auf dem Wahlzettel
Für Misstrauen sorgte, dass aus Labours Erklärung vom Montag nicht hervorgeht, ob der Verbleib in der EU tatsächlich bei einem Volksentscheid auch als Option dem Wahlzettel stehen soll.
Britische Medien zitieren zwar aus einem Schreiben Corbyns an die Abgeordneten. Darin habe er betont, jedes Referendum müsse eine "zuverlässige Leave-Option und Remain" enthalten. Doch das müsse erst noch entschieden werden. Wirklich konkret klingt das nicht.
Nahe liegt, dass Corbyns Vorstoß weniger inhaltlich motiviert ist, sondern vielmehr ein innerparteilicher Befreiungsschlag sein soll.
Denn der Labour-Chef war zuletzt heftig unter Druck geraten. Aus Protest gegen seine linke Politik, gegen seinen Umgang mit Antisemitismus, vor allem aber gegen seinen Schlingerkurs beim Brexit, waren zuletzt acht Labour-Abgeordnete aus der Partei ausgetreten. Gemeinsam mit drei Tory-Rebellen gründeten sie die "Unabhängige Gruppe". Sollte diese bei Wahlen als Partei antreten, könnte sie laut einer YouGov-Umfrage auf 18 Prozent der Stimmen hoffen. Labour würde auf 23 Prozent schrumpfen.
Alle Mitglieder der "Unabhängigen Gruppe" kämpfen für ein zweites Referendum. Indem Corbyn ebenfalls auf deren Kurs einschwenkt, nimmt er ihnen ihr wichtigstes Argument. Es ist der Versuch, selbst wieder in die Offensive zu kommen. Der Versuch, Labours Spaltung zu verhindern.
Bruch an anderer Stelle
Doch es ist auch ein riskantes Manöver. Denn während Corbyn auf der einen Seite die Partei kittet, entstehen am anderen Rand Risse. Vor allem jene, die selbst Wahlkreise mit vielen EU-Gegnern vertreten, wollen den Brexit nicht gefährden. All das werde verhindern, soll ein Abgeordneter Corbyn entgegengeworfen haben, "dass du Ministerpräsident wirst".
Politisch relevanter erscheint bei alldem aber ein anderer Schritt des Labour-Chefs. Corbyn hat angekündigt, am Mittwoch den Antrag von Yvette Cooper zu unterstützen. Dieser soll das Ziel haben, die Regierung zum Brexit-Aufschub zu zwingen - sollte bis zum 13. März keine Einigung stehen.
Auch aus Mays eigener Partei werden die Forderungen immer lauter, die Premierministerin solle sich für einen Aufschub einsetzen, einige Regierungsmitglieder drohen gar mit Rücktritt. Am Dienstag will May vor das Parlament treten. Erwartet wird, dass sie ein Angebot macht: Die Abgeordneten sollten nach der Abstimmung über den Deal im März über eine Verschiebung des Brexit-Termins entscheiden dürfen.
Sie selbst bliebe zwar zunächst neutral - doch es wäre dennoch ein Kurswechsel in ihrer Kommunikation. Zumindest dann hätte May mit Corbyn etwas gemeinsam.