Labour-Wahlkampf in Deutschland Little Britain in Berlin

Schottischer Pub "Das Gift" in Berlin-Neukölln: Hot Spot für Exil-Briten
Foto: imago imagesEine Neuköllner Kneipe am Freitagabend, vielsprachiges Stimmengewirr im Qualm zahlloser Zigaretten: Vier Mitglieder der britischen Labour-Partei sind hier auf Stimmenfang, und zwar im wahrsten Sinne. Offenen Ohres gehen sie zwischen Tischen und Theken umher in der Hoffnung, eine englischsprachige Unterhaltung zu erlauschen. Denn wer Englisch spricht, könnte auch Brite sein - und wer Brite ist, darf aller Wahrscheinlichkeit nach an der Parlamentswahl am 12. Dezember teilnehmen. Diese potenziellen Labour-Wähler wollen die Aktivisten finden.
Rund 16.000 Briten wohnen in Berlin. Labour, die in aktuellen Umfragen mehr als zehn Prozentpunkte hinter den Tories liegt, wird bei der Wahl jede Stimme brauchen. Denn in etlichen Wahlkreisen werden winzige Mehrheiten darüber entschieden, welcher Politiker in Westminster einzieht.
Drei jüngere Männer in der Kneipe erweisen sich tatsächlich als in Berlin lebende Briten - von dem Vorschlag, im Dezember Labour zu wählen, sind sie allerdings nicht sehr angetan. Einem ist nicht einmal klar, wofür die Partei steht. Ob er stattdessen Boris Johnson wählen wolle, fragen die Aktivisten. "Wäre ich in Berlin, wenn ich die Tories wählen würde?", ist die Antwort. Soll heißen: Wer cool genug ist für Berlin, ist in jedem Fall zu hip für die Konservativen.
Noch 15 Jahre nach der Auswanderung dürfen Exil-Briten wählen
Die Zögerlichkeit dieses Kneipenbesuchers ist angeblich die Ausnahme. Offizielle Zahlen zu den Parteipräferenzen der Wahlberliner gibt es nicht, aber Wahlkämpferin Alice Lambert meint: "Alle hier scheinen Labour zu wählen. Ich bin noch niemandem begegnet, der anderer politischer Meinung ist" - abgesehen von der Begegnung gerade eben. Das könnte auch daran liegen, dass die Tory-Wähler unter den Berliner Briten nicht nachts beim Trinken mit Labour-Aktivisten diskutieren möchten - oder in gesetzteren Stadtteilen als Neukölln leben.
Neukölln crew out meeting UK voters in bars last night, spreading the word about proxy voting #VoteLabour #berlin4labour pic.twitter.com/0dDBqOjZVB
— Berlin for Labour (@Berlin4Labour) November 16, 2019
Bei so viel Zustimmung könnten sich die Aktivisten ihre Überzeugungsarbeit für Labour eigentlich sparen. Doch ihr Ziel ist ohnehin, die geneigten Wöhler überhaupt zur Teilnahme an der Wahl zu bewegen. Noch 15 Jahre nach ihrer Auswanderung dürfen Briten in ihrem alten Heimat-Wahlkreis wählen - nur tun die meisten das nicht. Lediglich 20 Prozent aller Auslandsbriten sind im Wahlregister vermerkt.
"Wir haben eine Nische gefunden, in der wir einen Unterschied machen können," sagt Joe Corcoran, der Geschäftsführer des Berliner Labour-Ablegers, den es seit zwei Jahren gibt. "Am Anfang war es wie ein Club für Expats. Mittlerweile ist die Gruppe ein aktiver Teil der Partei."
Aber was tun, wenn man beim Haustürwahlkampf nicht weiß, wo die Berliner Briten wohnen? Ihre Anschriften sind nicht öffentlich einsehbar. Hilfe bekamen die Aktivisten vom Amt für Statistik Berlin Brandenburg. Die Daten zeigen: Die höchste Dichte an Exil-Briten findet man im Reuterkiez in Neukölln, insgesamt 435 wohnen dort oder in den umliegenden Straßenzügen.
Vor allem die Freiheit, überall in der EU leben zu können, steht für viele auf dem Spiel
"Wir haben uns mit unseren Aktionen auf die Top-Bereiche fokussiert," sagt Corcoran. Ein 'Pub Quiz' in "Das Gift" etwa, der Bar des schottischen Musikers Barry Burns in der Neuköllner Donaustraße. Sie ist beliebt bei Auslandsbriten - dort rekrutierten die Aktivisten an einem Abend mehr als zehn neue Wähler, sagen sie.
Bei der Wahl ist der Brexit natürlich ein wesentliches Thema. Vor allem die Freiheit, ohne größere bürokratische Hürden innerhalb der Europäischen Union zu leben und zu arbeiten, steht für viele auf dem Spiel. "Ich profitiere absolut davon," sagt Corcoran. "Ich bin sicher, dass jedes Mitglied von Berlin-Labour genauso fühlt."
Aber der drohende Abschied aus der EU ist nicht das einzige Thema, das die Berliner Labour-Unterstützer bewegt, es geht auch um innenpolitische Missstände. "Ein Grund, warum wir Großbritannien verlassen haben, war der Mangel an erschwinglicher Kinderbetreuung," sagt Anna Southern, 35. "Ich bin froh, hier eine kostenlose Kinderbetreuung zu haben. Und ich will, dass meine Freunde und meine Familie in Großbritannien sie auch bekommen." So wird es auch im Labour-Wahlprogramm stehen, das die sozialdemokratische Partei in den kommenden Tagen veröffentlichen will. Sie fordert 30 Stunden kostenlose Betreuung für alle Zwei- bis Vierjährigen, mehr als 1,3 Millionen Kinder sollen davon profitieren.
Der Blick von außen auf die Heimat sei ein anderer, sagt auch Corcoran, der seit sechs Jahren in Deutschland lebt. "Man sieht Großbritannien von einem nüchterneren Standpunkt." Die Obdachlosigkeit in seiner Heimatstadt Manchester etwa falle ihm nun bei Heimatbesuchen auf, sagt er. "Und ich habe kein Vertrauen, dass die aktuelle Regierung daran etwas verbessern wird." Die kommende Wahl, sagt er, ist seine Chance, von Berlin aus etwas zu ändern.