Tragödie vor Lampedusa Fischer werfen Küstenwache zu späte Rettung vor

Tragödie vor Lampedusa: Fischer werfen Küstenwache zu späte Rettung vor
Foto: Tullio M. Puglia/ Getty ImagesRom - Fischer haben auf der italienischen Insel Lampedusa der Opfer der Flüchtlingstragödie gedacht. Mit zehn Booten fuhren sie aufs Meer an die Stelle, an der am Donnerstag das Schiff mit bis zu 500 Menschen an Bord gesunken war. Dort warfen sie ein Blumengebinde ins Meer, die Aufschrift lautete: "In Erinnerung an jene, die auf dem Meer starben."
Die Behörden gehen davon aus, dass bei dem Unglück rund 300 afrikanische Flüchtlinge ertranken. Zwei Tage nach der Katastrophe sind die Bergungsarbeiten immer noch unterbrochen. Die Suche nach Vermissten musste am Freitag wegen starken Windes und hoher Wellen gestoppt werden. "Die Wetterbedingungen erlauben es uns auch heute nicht, in die Tiefe zu gehen", sagte der Cheftaucher der Feuerwehr der Zeitung "La Repubblica". Er hoffe, am Sonntag weitermachen zu können.
Rund 200 Menschen gelten als vermisst, es besteht jedoch kaum Hoffnung für sie. 111 Tote wurden bislang geborgen, 155 Menschen überlebten. Auch dank der unmittelbaren Hilfe einiger Inselfischer, die nach dem Kentern des Flüchtlingsbootes Dutzende Schiffbrüchige aus dem Wasser gezogen hatten.
Einige hätten sich an Wasserflaschen festgehalten, um nicht unterzugehen, erzählt Vito Fiorini, einer der Retter. Andere wären vom austretenden Öl so glitschig gewesen, dass es schwierig gewesen sei, sie ins Boot zu ziehen. "Wenn jemand in Not ist, musst du ihm helfen", sagt Fiorini. "Das ist ein Gesetz des Meeres."
Schwere Vorwürfe gegen Küstenwache und Hafenamt
Fiorini wirft der Küstenwachte laut dem "Corriere della Sera" vor, dieses Gesetz nicht respektiert zu haben. Als sein Boot mit Überlebenden voll gewesen sei, bat er die Küstenwache, sie auf ihr größeres Schiff zu lassen, damit er weitere Menschen retten könne. Doch die Leute auf dem Schiff weigerten sich laut Fiorini. "Sie sagten, das sei nicht möglich, sie müssten das Protokoll befolgen."
Fiorini sagt außerdem, die Küstenwache habe nicht schnell genug reagiert. Die Behörde weist dies zurück. "Nachdem wir um 7 Uhr den Alarm gehört hatten, sind wir sofort ausgerückt", heißt es in dem Zeitungsbericht. Vom 1. Januar 2013 bis heute habe man mehr als 28.000 Migranten gerettet. Die Staatsanwaltschaft geht den Vorwürfen derzeit laut der "Repubblica" nicht nach.
Doch Fiorini ist nicht der Einzige, der Anschuldigungen erhebt. Marcello Nizza, der früh morgens zum Schleppfischen hinausgefahren war, gibt an, 47 Menschen gegen 6 Uhr das Leben gerettet zu haben - da waren die Migranten nach eigenen Angaben bereits zwei bis drei Stunden im Wasser. "Ich hätte mehr retten können, wenn die Einsatzkräfte rechtzeitig vor Ort gewesen wären", sagte Nizza der "Repubblica".
"Wo waren die Boote des Hafenamtes? Wie kann man Hunderte Menschen so kurz vor der Küste sterben lassen?", fragen er und andere Retter die Kommune von Lampedusa. Sie wollen wissen, warum niemand das Schiff wahrgenommen hat, wo die Küstenwache doch sonst so gut aufpasse und Migranten "oft schon 100 Meilen vor Lampedusa" auflese.
"Herzen, Geldbeutel und Grenzen offen halten"
Das Flüchtlingsdrama hat in Italien eine Debatte über die Einwanderungsgesetze und den Umgang mit Migranten ausgelöst. Staatspräsident Giorgio Napolitano verlangte neue Gesetze zum Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern.
Regierungschef Enrico Letta forderte mehr Unterstützung aus der EU. "Italien muss es schaffen, in Europa Gehör und Verbündete zu finden", sagte er laut Nachrichtenagentur Ansa. Europa müsse sein Aktionsniveau erhöhen, um zu verhindern, dass sich Tragödien wie die vor Lampedusa wiederholten.
Dies forderte auch Kristalina Georgieva, EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe. Sie mahnt nach dem jüngsten Schiffsunglück vor Lampedusa eine Änderung der europäischen Flüchtlingspolitik an. "Wir Europäer müssen nicht nur die Herzen und die Geldbeutel offen halten, sondern auch unsere Grenzen", sagte Georgieva der Tageszeitung "Die Welt".
Deutschland nahm 2013 fast 80.000 Menschen auf
"Wir müssen alles tun, die wirklich Schutzbedürftigen aufzunehmen", sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) der "Welt am Sonntag". Den Vorwurf, Europa schotte sich ab, wies er zurück. "Allein Deutschland hat in diesem Jahr schon annähernd 80.000 Menschen Zuflucht gewährt. Durch die gemeinsamen, europäischen Grenzpolizei-Einsätze konnten in den vergangenen zwei Jahren fast 40.000 Menschen aus Seenot gerettet werden."
Friedrich forderte schärfere Maßnahmen gegen Schlepper. Es sei zudem wichtig, die Situation in den Herkunftsländern der Flüchtlinge zu verbessern. "Die Menschen brauchen stabile politische Verhältnisse und wirtschaftliche Perspektiven in ihrer Heimat. Dabei muss und kann Europa helfen."
Überlebende müssen bis zu 5000 Euro Strafe zahlen
SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht die anderen europäischen Staaten ebenfalls in der Pflicht, deutlich mehr Migranten aus Afrika aufzunehmen. "Was auf Lampedusa passiert, ist eine große Schande für die Europäische Union", sagte er der "Bild am Sonntag". Deutschland müsse sich entschieden dafür einsetzen, das Flüchtlingselend auf Lampedusa zu mildern.
Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, forderte die Europäische Union zum Handeln auf: Es müssten nun "Konsequenzen gezogen werden, über die schon seit Jahr und Tag geredet wird", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Die Menschlichkeit gebiete es, "alles Erforderliche zu tun, um Todesfälle auf dem Meer zu verhindern und ankommende Flüchtlinge mit Würde zu behandeln".
Es klingt in diesem Zusammenhang wie blanker Hohn, dass gegen die 155 Überlebenden des jüngsten Flüchtlingsdramas wegen illegaler Einwanderung ermittelt werden soll. Sobald sie identifiziert seien, geschehe dies zwangsläufig, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft. Dies lasse sich wegen der geltenden Gesetze nicht verhindern, bislang seien aber noch keine Ermittlungen aufgenommen worden. Den Afrikanern droht maximal eine Geldstrafe von 5000 Euro.