Palmöl, Kautschuk, Soja Brutaler Krieg um Boden

Zwei Bäuerinnen bei der Kartoffelernte in den bolivianischen Anden
Foto: Ute Grabowsky / photothek / imago images
In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für globale Probleme.
Die meisten Morde in Brasilien werden nicht in Ballungsräumen wie São Paulo oder Rio de Janeiro verübt, sondern im Amazonasgebiet. Dort kämpfen Großgrundbesitzer und Investoren einen brutalen Kampf um Land, wertvolles Land: Grundstücke mit Edelhölzern, die abgeholzt werden sollen, oder Flächen für Rinderfarmen. Sie kämpfen gegen Kleinbauern und Indigene, die jenes Land oft seit Generationen bestellen, deren Überleben von den Böden abhängt. Die aber der Macht der Großgrundbesitzer wenig entgegenzusetzen haben.
Wer sich den Großfarmern widersetzt, wird nicht selten erschossen. Viele von ihnen beschäftigen sogenannte Pistoleros, die die Kleinbauern mit Gewalt von ihren Parzellen vertreiben. Landraub nennt man das.

Monokultur extrem: eine Sojaplantage in Brasilien
Foto: Paulo Whitaker / REUTERSNach einer aktuellen internationalen Studie der Welthungerhilfe, Oxfam und der International Land Coalition sind die Böden dieser Welt sogar noch viel ungerechter verteilt als bisher angenommen. Die Wissenschaftler haben Berichte und Umfragen zu Land- und genereller Ungleichheit sowie Volkszählungen neu ausgewertet. Das Ergebnis:
70 Prozent der Ackerflächen weltweit werden von Größtbetrieben kontrolliert, zu denen laut Studie nur ein Prozent der Landwirtschaften zählt. Den Kleinstbauern bleiben gerade einmal drei Prozent der weltweiten Flächen, um sie zu bewirtschaften.
2,5 Milliarden Kleinbauern gibt es weltweit, das heißt: Fast ein Drittel der Weltbevölkerung ist abhängig von Kleinstflächen, die das Überleben sichern müssen.
Wie sind Kleinbauern rechtlich abgesichert?
In vielen Weltregionen bestellen die Kleinbauern Land, für das sie keine Besitztitel haben, so wie es in westlichen Ländern üblich ist. In Deutschland etwa erhält man einen Grundbucheintrag, der nachweist, dass man Besitzer eines bestimmten Grundstücks ist. Entsprechend kann man auch nicht oder nur unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen enteignet werden.
In vielen Regionen weltweit aber ist Boden gemeinschaftlicher Besitz, seine Nutzung kann eher mit dem Gewohnheitsrecht umschrieben werden, das zwar häufig über Generationen gewachsen, aber nirgends verbrieft ist. Die Kleinbauern dort haben rechtlich nur wenig in der Hand, wenn große Investoren aus dem Ausland kommen, um jenes Land zu bewirtschaften, das seit Jahrzehnten de facto ihres war.

Ein Bauer mit seinem Esel am Titicacasee
Foto: David Mercado / REUTERSGleichzeitig ist Boden eine endliche Ressource. Fruchtbarer Boden, gerade durch die Klimakrise, erst recht. Und der Zugang zu diesen fruchtbaren Böden ist immer ungleicher verteilt: Heute liegt ein Großteil dieser Grundstücke in der Kontrolle von Agrarkonzernen.
»Das ist ein riesiges Problem«, sagt Marion Aberle von der Welthungerhilfe. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Land Grabbing. »Viele Kleinbauern sind dringend auf die Felderträge angewiesen – für ihr eigenes Überleben.« Plötzlich seien dort, wo Frauen Wasser holten, wo Äcker oder Wälder waren, Monokulturen, auf denen nun Palmöl oder Zuckerrohr angebaut wird. »Für die Menschen der Umgebung ist das existenzbedrohend«, so Aberle.
Brasilien, Bolivien, Sierra Leone: Wo geschieht Landraub?
In Bolivien werden große Flächen Regenwald abgeholzt, um Soja anzubauen. Die Gebiete sind eigentlich Schutzgebiete von Indigenen. Diese Ländereien sind zwar durch das Völkerrecht besser geschützt als die anderer Kleinbauern, doch die Rechte werden de facto häufig trotzdem missachtet.
Noch einmal das Amazonasgebiet: Im brasilianischen Bundesstaat Rondônia liegt das Indigenen-Schutzgebiet der Karipuna. Gleich dahinter beginnt der Urwald. Diese Schutzgebiete, die wie Inseln im Amazonas sind, weil hier der Wald noch weitgehend intakt ist, geraten zunehmend ins Visier von Landräubern und Rinderfarmern.
Auch in afrikanischen Ländern verlieren viele Kleinbauern ihre Böden. Etwa in Sierra Leone. Laut Welthungerhilfe übernahm dort der europäische Agrarkonzern Socfin die Kontrolle über Nutzflächen, die vorher die Dorfbewohner bewirtschafteten. Nun wurden dort Palmölplantagen hochgezogen. Die Ärmsten haben demnach den Zugang zu ihrem Land verloren, sie können dort nichts mehr anbauen, keine Produkte mehr verkaufen. Die Proteste der Bevölkerung seien immer wieder von der Regierung gewaltsam unterdrückt worden, es habe Tote und Gefängnisstrafen gegeben.
Die Insel Sumatra in Indonesien ist seit Jahren Brennpunkt blutiger Landkonflikte. Es geht um Palmöl. Ein Billigrohstoff, der als »pflanzliches Öl« in jedem zweiten Supermarktprodukt steckt, in Shampoos, Margarine, Fertigpizza, Eiscreme, Lippenstift. Der Wald dort ernährte früher die Menschen, dann fiel er in den Achtzigerjahren einer riesigen Palmölplantage zum Opfer. Bulldozer rissen 20.000 Hektar Regenwald ein, so groß wie die Hälfte Berlins.

Früher war hier auf Sumatra Wald, der die lokale Bevölkerung ernährte. Heute: Palmölplantagen, so weit das Auge reicht
Foto: Antara Foto Agency / REUTERSFrauen leiden zuerst: Welche Folgen hat Landraub?
Wer in seiner Heimat nicht überleben kann, muss gehen. Oder anders: Wer kein Land mehr hat, muss sich neues suchen. Die Wissenschaftler der Studie sehen Vertreibungen und Fluchtbewegungen in vielen Weltregionen als direkte Folge von ungleich verteiltem Land. Damit zusammen hängen auch soziale Unruhen in Ländern, etwa wenn Betroffene aufbegehren gegen die Regierung, die sie, so der Vorwurf, nicht ausreichend schützt.
Die Landrechte von Frauen sind in der Regel noch schlechter gesichert als die von Männern, ihre Einkommensquellen noch eingeschränkter. In vielen Fällen nutzen sie Land, das ihnen nicht gehört, etwa Wälder, um dort Feuerholz zu sammeln oder zu ernten, was dort eben wächst. Wird ein Stück Wald gerodet, müssen sie viel weitere Wegstrecken gehen, um Brennmaterial zu finden, mit dem sie für ihre Familien kochen. Oder um sich mit dem Verkauf von Feuerholz ein Zubrot zu verdienen.
Auf diesen weiten Märschen sind die Frauen der Gefahr von Vergewaltigungen und Überfällen ausgesetzt. »Wenn man auf die Gruppe der Armen und Hungernden schaut, sind Frauen immer besonders betroffen«, sagt Marion Aberle.

Eine Bäuerin auf dem Land nahe La Paz in Bolivien erntet Kartoffeln
Foto:DAVID MERCADO / REUTERS
Monokulturen und Plantagenwirtschaft wirken sich zudem direkt auf Ökosysteme in der Region aus, verschärfen die Klimakrise, so die Wissenschaftler. Land trocknet aus, Wasser wird knapp, Böden werden ausgelaugt, die Biodiversität der Region nimmt ab. Auch das hat Folgen für die Bewohner vor Ort.
Große Plantagen und neue Investoren, so die Studienmacher, bedeuteten auch nicht automatisch die Schaffung von Arbeitsplätzen. Im Gegenteil: Hochmoderne landwirtschaftliche Anlagen bräuchten weniger Personal, und dieses Personal werde tendenziell eher ausgebeutet, die Gehälter würden gedrückt. Dies sei gerade in Afrika, wo besonders viele Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, ein Problem. Auch mit Blick auf die ohnehin hohe Jugendarbeitslosigkeit.
Was sich ändern muss
»Das schlimmste Unternehmen der Welt« – dieses Urteil fällte im vergangenen Jahr die Umweltschutzorganisation Mighty Earth über den US-Agrarkonzern Cargill. Demnach habe Cargill zu dem Zeitpunkt auch deutsche Supermärkte und Schnellrestaurants, Aldi, Edeka, Nestlé oder McDonald's beliefert. Dem Konzern wird unter anderem vorgeworfen, unrechtmäßig Land erworben zu haben.

Im Süden von Sierra Leone kämpfen Bauern gegen einen europäischen Agrarkonzern – dessen Macht haben sie jedoch wenig entgegenzusetzen
Foto: Alison Wright / ZUMA Press / imago imagesWie groß ist die Chance, dass sich in Zukunft überhaupt etwas an den Verhältnissen ändert – angesichts solcher weltumspannenden mächtigen Konzerne, die systematisch Menschen- und Landrechte missachten?
Die Prognose ist gar nicht so düster, wenn man Marion Aberle von der Welthungerhilfe fragt. Sie sagt, dass Unternehmen durchaus aus der öffentlichen Kritik und Debatte über Landraub lernen. Dass sie glaubwürdig bereit seien, Verantwortung zu übernehmen. Dass sie überprüfen, was ganz am Anfang der Lieferketten passiert und unter welchen Bedingungen produziert wird. Immer mehr Unternehmen, große wie kleine, lassen sich zertifizieren. Aberle sagt, das seien keine reinen Lippenbekenntnisse. Es finde ganz langsam ein Umdenken statt.
Grundsätzlich sei es nichts Schlechtes, wenn Weltkonzerne in Schwellenländer investieren. Die Menschen vor Ort wünschten sich, so Aberle, dass ihre Wirtschaften vorankommen. Dass es neue Möglichkeiten gibt. Jedoch appelliert Aberle an diese Investoren, die Landrechtssituation in diesen Staaten genau zu prüfen, gerade, wenn es keinen starken Rechtsstaat gibt. Investments, so Aberle, müssten immer mit den Menschen geschehen – nicht gegen die Menschen.
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