Bündnis der Rechtspopulisten Matteo, Marine und Viktor für Europa

Italiens Vizepremier Matteo Salvini wird zum neuen Stern der europäischen Nationalisten, gefeiert von Marine Le Pen und Viktor Orbán. Sie wollen nicht mehr "raus aus Europa", sie wollen es übernehmen.
Treffen Europäischer Rechter im Januar 2017 in Koblenz

Treffen Europäischer Rechter im Januar 2017 in Koblenz

Foto: Wolfgang Rattay/ REUTERS

Matteo Salvinis Albtraum könnte man sich etwa so vorstellen: Ein Tag vergeht, eine Woche, noch eine - und es kommen einfach keine Flüchtlinge mehr übers Meer nach Italien. Natürlich, das ist sein Ziel, hat er ja immer gesagt. Aber doch nicht wirklich gemeint. Ohne die Flüchtlinge wäre sein zentrales politisches Thema futsch. Wem sollte er dann martialisch drohen? Vor welcher Invasion von Fremden sollte er sein Land retten?

Noch ist es nicht soweit: 184 Flüchtlinge kamen vergangenen Freitag aus Tunesien auf der italienischen Insel Lampedusa an.

Falscher Albtraum-Alarm für Salvini. Er kann sich weiterhin gemeinsam mit all den Rechtsradikalen, Nationalisten und Populisten in Europa gegen die vermeintliche "Flut" der Migranten stemmen und dabei immer populärer werden. Nicht nur in Italien.

Beim Jubel-Sonntag des französischen Rassemblement National in Fréjus - wie der Front National nun heißt - war der italienische Rechtsausleger jüngst zwar gar nicht persönlich dabei, gleichwohl war er jedoch omnipräsent. Er strahlte gemeinsam mit der Parteichefin Marine Le Pen auf den Plakaten (Text: "Marine Le Pen & Matteo Salvini - überall in Europa - unsere Ideen") und kam in fast jeder Rede vor. Der habe es geschafft, begeisterte sich Le Pen unter großem Beifall im Saal, in seinem Land "die Zahl der Asylanten um 60 Prozent zu reduzieren".

Dass die Zahl der Flüchtlinge, die von Afrika übers Meer nach Italien kommen, seit Längerem drastisch zurückgeht und einen Tiefststand erreicht hatte, lange bevor Salvini die Hafenpforten theatralisch geschlossen hat, blieb unerwähnt.

Daheim glaubt ihm, unbeirrt von den Fakten, eine immer größere Zahl seiner Landsleute, es kämen immer mehr Migranten. Mehr als die Hälfte der Italiener findet, es seien zu viele Fremde im Land. So viel Ablehnung ist europäischer Rekord.

Diese Stimmung ist wichtig, denn nur so kann Salvini vertuschen, dass nahezu alles, was er und seine Regierungspartner von der 5-Sterne-Bewegung vor den Wahlen im Frühjahr versprochen hatten, einstweilen unerfüllt bleiben wird. Die verheißene Niedrigsteuer von nur 15 Prozent wird es - auf absehbare Zeit jedenfalls - wohl nicht geben. Es fehlt das Geld dafür.

Das gilt genauso für die Zusage, "in den ersten hundert Tagen der Regierung" werde man die Rentenreform der Vorgänger-Regierung rückgängig machen, damit die Italiener wieder früher in Rente gehen dürfen. Die hundert Tage sind vorbei, am Rentengesetz wurde nichts geändert. Allenfalls kleine Korrekturen für wenige sind - wenn überhaupt - zu erwarten. Wir müssen ja sparen, tobt Salvini, weil "Europa" das so befehle.

Auf dem Weg zu einem rechten Europa

Matteo Salvini

Matteo Salvini

Foto: Ronald Zak/ dpa

Der absehbare Streit mit der EU kommt Salvini gerade recht. Damit hätte er ein weiteres ergiebiges Thema, mit dem man die Italiener genauso in Rage bringen kann wie mit dem Migranten-Bashing: "Die da in Brüssel" tanzen nach deutsch-französischen Pfeifen und wollen Italien klein halten, das "böse Europa" wolle nicht, dass es den Italienern besser gehe. Das "Macron- und Merkel-Europa" blockiere ein Mindesteinkommen genauso wie niedrige Steuern für alle - so oder so ähnlich klingen die Sprüche.

Und die Verfasser, von Salvini in Italien bis Le Pen in Frankreich, glauben, dass Europas extreme Rechte erstmals eine Chance hat, die Europawahlen im nächsten Mai zu gewinnen und die EU-Kommission zu übernehmen. "Wir stehen vor einer historischen Wende am Anfang des Weges zu einem anderen Europa", sagt Salvini.

Le Pen will sogar "Europa retten". Natürlich nicht das hässliche Europa, das Technokraten in den vergangenen sechzig Jahren entwickelt haben. Sondern eines mit dem Glanz des alten Rom und Athen, mit jahrhundertealten christlichen Wurzeln. Ein "Europa der Nationen" will Le Pen bauen, gemeinsam mit Viktor Orbán aus Ungarn, mit den christlich-nationalistischen Regenten in Polen, mit Österreichs Heinz-Christian-Strache-Truppe und all den anderen am rechten Rand, und allen voran mit Matteo Salvini. Die einstigen Europagegner wollen nicht mehr "raus aus Europa", sie wollen rein. Als Befehlshaber.

Auch die AfD ist gefragt. Deshalb hat Salvini dem bayerischen CSU-Wahlkämpfer in Bayern, Innenminister Horst Seehofer, übermitteln lassen, er werde ihm nicht durch nettes Entgegenkommen in der Flüchtlingsfrage im Wahlkampf helfen. Denn "Ihr seid die Verbündeten meiner Feinde". Darum stehe ich in Deutschland "zu meinen Freunden von der AfD".

Italiens Regierung: Popularität auf Rekordhoch

Ob die rechte Rechnung europaweit aufgeht, weiß heute niemand. Immerhin dürfte Salvinis Lega nach heutigem Stand klarer Sieger der Europawahlen werden - und damit viele Abgeordnete ins EU-Parlament schicken. Auch bei Neuwahlen in Italien würde Salvinis Truppe ihr Wahlergebnis vom 4. März dieses Jahres (17,4 Prozent) mit nunmehr gut 30 Prozent fast verdoppeln.

Das reicht nicht, um ohne Koalitionspartner zu regieren. Deshalb will der Lega-Vormann demnächst bei drei eher unwichtigen Regionalwahlen etwas ausprobieren: Statt wie bisher im Bündnis mit der Forza-Italia-Partei von Silvio Berlusconi anzutreten, versucht es die Lega allein. Salvini will sehen, wie viele Berlusconi-Wähler zu ihm überlaufen. Verläuft das Experiment verheißungsvoll, wird der Bruch mit dem alten Partner komplett vollzogen.

Salvinis Kalkül: Bei den nächsten Parlamentswahlen auf 40 Prozent der Stimmen kommen und damit die Regierung übernehmen. Wann diese Wahlen stattfinden, liegt in seiner Hand. Er kann die Koalition jederzeit mit einem großen Krach beenden.

Wie die Kameraden in Polen

Angesichts dieses Szenarios suchen auch die bisherigen Partner der 5-Sterne ein neues Thema, mit dem sie bei den Wählern punkten können. Die Migranten sind besetzt, auch bei Europa war Salvini schneller. Bleibt die Presse. "Die Zeitungen hassen uns", sagt Sterne-Chef Luigi Di Maio, "jeden Tag vergiften sie die öffentliche Debatte". Zunächst wollten seine Aktivisten den Zeitungen die staatlichen Zuschüsse streichen. Dann merkten sie, dass es die schon lange nicht mehr gibt. Nun wollen sie den Verlagen per Gesetz Anzeigen von Ministerien und Staatsbetrieben entziehen. Genauso haben es die rechten Politiker in Polen vorgemacht. Die haben zum Schluss auch noch das Kommando beim Obersten Gericht übernommen.

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