
Libanons Grenze zu Syrien: Krieg in der Nachbarschaft
Syrischer Beschuss im Nordlibanon Nachbar Krieg
Wenn nicht immer wieder das Grollen der Artillerie zu hören wäre, könnte Jusef Nuhredien beinahe im Paradies wohnen. Der junge Mann mit dem kurz geschorenen Haar spaziert zwischen blühenden Oleandersträuchern und Granatapfelbäumen umher. Er zeigt auf die weißen Zelte auf dem Nachbarhügel. "Das ist die syrische Armee", sagt Jusef. Zwischen seinem Heimatdorf Dababije und dem Hügel mit den Zelten liegen ein Tal, ein Kilometer Luftlinie und die libanesisch-syrische Grenze.
Vor Beginn der Aufstände in Syrien war die Grenze praktisch nicht existent. "Ich habe nicht einmal einen Ausweis gebraucht, um nach Halet zu gehen", sagt Jusef über das Nachbardorf auf syrischer Seite. "Wir sind die ganze Zeit hin und her. Auch zum Klamottenkaufen sind wir rüber - für uns liegt Homs näher als Tripoli." Familien wie die Nuhrediens haben Angehörige auf beiden Seiten.
Vor den Aufständen spielte Jusef jedes Wochenende in Halet mit seinen Cousins Fußball. "Ich habe mehr Freunde in Syrien als hier in Dababije", sagt er. Zuletzt hat er seine Cousins vor einem Jahr gesehen. Dass drei von ihnen ums Leben kamen, als ihr Haus unter dem Artilleriebeschuss der syrischen Armee zusammenstürzte, erfuhr Jusef am Telefon.
Nahezu täglich wird Halet vom syrischen Militär bombardiert, weil es angeblich die Aufständischen unterstützt. Jusef bekommt auf Facebook mit, wenn einer seiner Freunde ums Leben kommt. Fünf waren es im vergangenen halben Jahr. Einer davon soll im Nachbardorf erstochen worden sein, als er dort Brot kaufen wollte. Die Nachbardörfer von Halet, das alawitische Hara und Tel Sen sowie das christliche Lajun, stehen auf Seiten des syrischen Regimes.
Kämpfer kommen nachts über die Grenze
Der Krieg macht an der Grenze nicht halt. Je länger die Gewalt in Syrien andauert, desto gefährlicher wird das Leben im Nordlibanon. "Die syrische Armee schießt auf uns, wenn wir uns nähern", erzählt Jusef. "Sie haben im Tal Minen verlegt - und das auf der libanesischen Seite." Ein Bauer aus Dababije habe deswegen ein Bein verloren. Ein anderer sei von syrischen Soldaten gekidnappt worden, als er sich auf seinem Acker in Grenznähe aufhielt.
Kämpfer der Freien Syrischen Armee, wie sich die Rebellen nennen, überqueren die Grenze heimlich nachts, um in den Wäldern auf der libanesischen Seite Schutz zu suchen. Von ihnen bekommt Jusef kaum etwas mit, sagt er selbst. Das syrische Regime mache sich hingegen täglich im Libanon bemerkbar.
Seit ein paar Monaten prasseln nachts regelmäßig syrische Artilleriegeschosse auf die libanesischen Dörfer entlang der Grenze - auf das christliche Mendsches, auf das christlich-sunnitische Dababije, auf das sunnitische Nura. Lediglich im alawitischen Dorf Massaudije sind angeblich keine Bomben eingeschlagen. Dort hängt an der Dorfeinfahrt ein vier Meter großes Plakat von Syriens Präsident Baschar al-Assad - im Libanon.
"Ich renoviere erst, wenn der Krieg vorbei ist"
In Dababije hat es vor zwei Monaten das Haus des 73-jährigen Mohammed Sabha, eines fröhlichen Alten mit weißer Stoppelfrisur, getroffen. Ein Artilleriegeschoss schlug im Garten drei Meter vor seinem Haus ein. Die Splitter rissen Löcher in die Schlaf- und Wohnzimmerwand. "Das Geschoss schlug gegen 22.30 Uhr ein, und die Splitter krachten durch die Wand auf mein Bett. Aber ich war auf der Terrasse, eine rauchen", lacht er. Renovieren will er vorerst nicht. "Erst wenn der Krieg in Syrien vorbei ist. Wer weiß, wann das nächste Geschoss kommt."
Auch Jusef ist skeptisch. "Irgendwann steht vielleicht unser ganzes Dorf nicht mehr." Eigentlich will er sich nicht politisch äußern, er ist Soldat in der libanesischen Armee. Dann sagt er: "Ich bin als Soldat oft im Süden Libanons unterwegs" - wo immer wieder israelische Geschosse einschlagen, weil Bewaffnete vom Südlibanon aus Attacken auf Israel starten. "2006, als Israel in den Südlibanon einmarschierte, flohen Tausende Libanesen zu uns in den Norden", sagt Jusef. "Heute verhält sich Syrien im Norden wie Israel im Süden - wir Libanesen sind eigentlich nur noch in der Mitte unseres Landes sicher."