

Beirut - Der 27. Dezember 2013 ist ein milder Wintertag in Beirut. An diesem sonnigen Morgen ist der 16-jährige Mohammed Schaar im Stadtzentrum unterwegs. Der Junge im roten Pullover posiert mit Freunden für ein Selfie, ein Gruppenbild als Selbstporträt. Im Hintergrund ist ein goldfarbenes Auto zu sehen, das wenige Augenblicke später explodieren wird.
Ohne es zu ahnen, haben die Jungen mit ihrem Bild die letzten Sekunden vor einem Autobombenattentat festgehalten. Der Anschlag richtete sich gegen den Konvoi des libanesischen Ex-Finanzministers Mohammed Schatah. Der Politiker und sieben weitere Personen kamen bei der Explosion ums Leben. Auch Mohammed Schaar wurde von der Wucht der Detonation getroffen und zu Boden gerissen. Einen Tag später erlag er seinen schweren Verletzungen. Seine Freunde kommen mit dem Schrecken davon.
Im offiziellen Sprachgebrauch libanesischer Politiker, Religionsvertreter und Medien ist Mohammed kein gewöhnlicher Toter sondern ein "Schahid", ein Märtyrer. Jedem Anschlags- oder Kriegsopfer im Libanon wird automatisch posthum diese Bezeichnung als Ehrentitel verliehen. Oft wird das Wort auch in den Grabstein des Toten eingraviert.
"Ich möchte mehr sein als eine Nummer"
Doch genau gegen diesen Märtyrerkult regt sich nun Protest. Freunde von Mohammed haben zwei Tage nach seinem Tod die Kampagne "Ich bin kein Märtyrer" initiiert. Sie wehren sich gegen die mit diesem Ehrentitel verbundene Verherrlichung des Todes, weil sie dazu führe, dass die politische und religiöse Gewalt im Libanon als alltäglich angesehen werde.
Nach der islamischen und auch der christlichen Glaubenslehre warten im Himmel ganz besondere Belohnungen auf die Märtyrer. Dagegen richten sich Mohammeds Freunde: "Wir sind Opfer, keine Märtyrer", sagen sie. "Wir können die anhaltende Gewalt nicht für normal erklären. Wir können nicht länger zulassen, dass uns der alltägliche Horror im Libanon abstumpft", schreiben sie auf ihrer Facebook-Seite. Mehrfach haben sie sich am Anschlagsort in Beirut versammelt, um der Toten zu gedenken und gegen die politische Gewalt im Libanon zu protestieren.
Mehr als 7000 Menschen unterstützen die Netz-Kampagne inzwischen. Und viele hundert zumeist junge Leute haben bei Facebook und Twitter mittlerweile eigene Selfies hochgeladen, die unter dem Hashtag #NotAMartyr gesammelt werden. Mit den Bildern verbreiten sie ihre Wünsche für eine friedliche Zukunft des Libanon.
"Ich möchte keine Angst haben, wenn ich in meinem Land umhergehe", wünscht sich jemand. "Ich möchte, dass die Verbrecher zur Verantwortung gezogen werden", ein anderer. Und eine Libanesin fordert: "Ich möchte mehr sein als eine Nummer." Nach jedem Anschlag im Libanon werden zwar die Toten gezählt, die Schicksale, die sich dahinter verbergen, geraten jedoch rasch in Vergessenheit.
Zumindest Mohammed Schaar bleibt in Erinnerung.
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Mohammed Schaar und seine Freunde am 27. Dezember in Beirut. Wenige Sekunden später explodiert das Auto im Hintergrund.
Die Wucht der Explosion trifft den 16-Jährigen. Er wird zu Boden gerissen und schwer verletzt.
Der Anschlag richtete sich gegen den ehemaligen libanesischen Finanzminister Mohammed Schatah. Doch neben dem Politiker werden auch mehrere Passanten bei dem Attentat getötet.
Schnell trifft Hilfe ein. Mohammed Schaar wird ins Krankenhaus gebracht, doch einen Tag später erliegt er seinen Verletzungen.
Am Tag seiner Beerdigung trauern Mohammeds Freunde um den Jungen. Sie haben nun eine Kampagne gestartet, die sich gegen den Märtyrerkult im Libanon richtet.
Mehrfach haben junge Libanesen in den vergangenen Tagen in Beirut gegen die Gewalt im Land protestiert. "Wir sind Opfer, keine Märtyrer", sagen sie. "Wir können nicht länger zulassen, dass uns der alltägliche Horror im Libanon abstumpft."
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