Wahl im Libanon Das Kartell siegt

Mann vor Hariri-Wahlplakat
Foto: JAMAL SAIDI/ REUTERSDoch die Betriebsamkeit der Funktionäre passte nicht zur Abstimmung an sich. Fünf Jahre lang waren die Parlamentswahlen verschoben worden - die Fraktionen konnten sich auf kein Wahlgesetz einigen. Am Sonntag gaben nun gerade einmal 49,2 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab - etwa fünf Prozent weniger als bei der letzten Wahl 2009.
Das neue, hochkomplizierte Wahlrecht hatte eher die Politiker beflügelt als deren Wähler. Es verbindet ein eisernes konfessionelles Proporzsystem, das vorschreibt, wie viele sunnitische, schiitische Muslime, Drusen oder maronitische Christen ins Parlament einziehen, mit Elementen des Verhältniswahlrechts.
Kandidaten mussten sich erstmals auf Listen registrieren lassen. Über eine erst nachträglich anhand der abgegebenen Stimmen ermittelte Prozenthürde wurde errechnet, welche Listen den Einzug ins Parlament schafften und wie viele Sitze jeder einzelnen zustanden.
Das System ist so kompliziert, dass sich vorab viele verschiedene Kräfte Chancen ausrechneten - darunter auch Bürgerrechtler, Umweltschützer und überkonfessionelle Allianzen.
Kräfteverhältnis verschoben
Nun hat die Wahl zwar nach Stand der vorläufigen Ergebnisse das Kräfteverhältnis zwischen den beiden großen Blöcken etwas verschoben. An der politischen Lähmung des Libanons hat sich aber fast nichts verändert: Das Lager der schiitischen Parteien Hisbollah und Amal sowie der christlichen Freien Patriotischen Bewegung (FPM) des ehemaligen Bürgerkriegsgenerals und heutigen Staatspräsidenten Michel Aoun wurde stärker. Voraussichtlich kann sich die Hisbollah von 11 auf 13 Sitze verbessern, Amal von 13 auf 16 Sitze. Die FPM verlor einen Sitz.
Der Block um Premier Saad Hariri, Sohn des 2005 mutmaßlich von der Hisbollah ermordeten Ex-Premiers Rafiq al-Hariri, verlor neun der bislang 29 Sitze. Die beiden ehemaligen christlichen Bürgerkriegsmilizen Kataib und Forces Libanaises gewannen zwei Mandate hinzu und kommen nun auf 15 Sitze.

Wahlen im Libanon: Es bleibt in der Familie
Die Mehrheit im Parlament stellen fortan Aoun, Hisbollah und ihre Verbündeten, die treu zu Syriens Diktator Baschar al-Assad stehen. Saad Hariri als Premier wird trotzdem bleiben, in seinem Kabinett sitzen heute schon Hisbollah-Minister. Außerdem muss, dem Proporz folgend, der Premier ein Sunnit sein.
Beißender Verwesungsgestank
An den drängenden Problemen des Landes ändert diese Wahl mit größter Wahrscheinlichkeit nichts: Je nach Windlage liegt immer wieder beißender Verwesungsgestank über Teilen Beiruts und anderen Orten, nachdem im Jahr 2015 die schon damals heillos überlastete Zentraldeponie in Naameh geschlossen wurde. Seither wird der Müll auf Behelfskippen abgeladen oder gleich ins Meer geschüttet.
Die Stromversorgung ist katastrophal, das Trinkwassernetz weitgehend aus französischer Mandatszeit und ebenfalls in einem desaströsen Zustand. Die Eisenbahn und kommunale Busnetze sind über die Jahre zugrunde gegangen, die Städte und die einzige Nord-Süd-Autobahn ersticken im Stau. Aber die staatliche Verwaltung ist zu korrupt, irgendein Großprojekt auch nur in Angriff zu nehmen.
Dagegen hätten die Libanesen an den Urnen aufbegehren können. Seit dem Höhepunkt der Müllkrise 2015 haben sich Städteplaner, Technokraten und Bürgerrechtler organisiert, um jenseits des konfessionellen Dauerkonflikts die Infrastruktur des Libanons zu retten. Auch am Sonntag standen mehrere Kandidaten dieser Bewegung auf den Listen.
Urnen übersehen
Doch sie wurden kaum gewählt. Selbst der sicher geglaubte Einzug der prominenten Frauenrechtlerin und Journalistin Joumana Haddad ist fraglich, nachdem das Innenministerium verkündet hat, dass ein paar Urnen bei der Auszählung übersehen worden seien.
Die Kandidaten der etablierten Blöcke hatten noch nicht einmal damit geworben, die echten Probleme des Landes überhaupt lösen zu wollen. Die sündhaft teuren Plakatwände und Fernsehspots enthielten fast durchgängig nur seichte Floskeln: "Deine Stimme für einen starken Libanon", "Wähl mich!", "Eine Stimme für mich ist eine Stimme des Vertrauens!".
Die inhaltliche Leere der Kandidaten und das Fortbleiben der Wähler sind Ausdruck der Krise. Überall im Land hört man immer wieder solche Forderungen: Man müsse das System der sich mal befehdenden, mal kooperierenden konfessionellen Machtblöcke am besten ganz abschaffen. Doch viele Menschen fürchten die Veränderung. Wer schützt sie dann? Wer besorgt ihnen Jobs? Das sind die Fragen, die sie umtreiben.
Das lähmende Kartell erhält sich selbst.