Libyen Gaddafis Söhne planen Friedensangebot im Alleingang

Steht Muammar al-Gaddafi vor der Kapitulation? Offenbar schwindet selbst in der eigenen Familie der Rückhalt für den libyschen Diktator, der gegen seine eigene Bevölkerung kämpft. Laut "New York Times" haben zwei seiner Söhne einen Friedensplan lanciert.
Saif al-Islam Gaddafi (Archivbild): Wechsel ohne den Vater?

Saif al-Islam Gaddafi (Archivbild): Wechsel ohne den Vater?

Foto: epa Sabri Elmhedwi/ dpa

Washington - Gibt Muammar al-Gaddafi auf? Die Spekulationen über einen Rückzug des libyschen Machthabers haben durch einen Zeitungsbericht neue Nahrung bekommen. Nach Informationen der "New York Times" hat der Sohn des Diktators, Saif al-Islam, einen Lösungsvorschlag für den Konflikt mit den Rebellen unterbreitet, der auch den Rückzug seines Vaters vorsieht. Dies habe die Zeitung von einem Diplomaten mit engen Verbindungen zum libyschen Regime erfahren. Laut "New York Times" ist es nicht klar, ob Machthaber Gaddafi die Pläne selbst befürwortet - eine Person aus dem Umfeld der Familie habe allerdings erklärt, der Diktator sei willens abzudanken.

Laut "New York Times" stützt auch Gaddafis Sohn Saadi den Plan seines Bruders. Die beiden Söhne wollten ihr Land auf einen Wechsel ohne ihren Vater vorbereiten, hieß es der Zeitung zufolge. Einer der Gaddafi-Söhne habe bereits mehrmals betont, die Wünsche der Regimegegner seien auch seine eigenen, so die Person aus dem Umfeld der Gaddafis.

Sollte der Plan ohne die Unterstützung Gaddafis lanciert worden sein, würde die Offensive seiner Söhne für den libyschen Machthaber nach Einschätzung der "New York Times" einen enormen Verlust des Rückhalts bedeuten. Nachdem Außenminister Mussa Kussa nach London geflohen ist, sei Gaddafi besonders auf die Unterstützung seiner Söhne angewiesen - gerade mit Saif und Saadi allerdings hatte es in den vergangenen Jahren immer wieder Streit gegeben, denn beide drängen seit längerem auf Reformen.

Die Rebellen im Osten des Landes lehnen einen Macht-Deal der Gaddafi-Söhne ab. Erst am Samstag beim Besuch des Uno-Diplomaten Abdelilah al-Khatib in Bengasi hatten die Vertreter des sogenannten Übergangsrats, einer lose zusammengewürfelten Truppe von Funktionären aus Ostlibyen, klargemacht, dass nur die Ausreise der gesamten Familie Gaddafi inkusive der Söhne als erster Schritt hin zu einer Normalisierung der Verhältnisse betrachtet wird.

Saif al-Islam, der sich in den letzten Jahren als möglicher Reformer des Wüstenstaats präsentierte und gern gesehener Gast auf Konferenzen und VIP-Events in Europa und den USA war, gilt im Osten Libyens als ebenso verhasst wie sein Vater. Viele hier betrachten die Söhne gar als rücksichtsloser als den Vater.

Besonders seit Ausbruch der Proteste, hatte Saif al-Islam, sonst gern in feinem Zwirn und mit gepflegtem britischem Englisch auf dem internationalen Parkett unterwegs, im Fernsehen radikale Kampfaufrufe gegen die Aufständischem im Osten verbreitet, die er wie sein Vater als "Ratten" bezeichnete, die ausgerottet werden müssten. Gleichwohl, so die erste Reaktion aus Bengasi, zeige die Entwicklung in Tripolis, wie sehr das Regime unter Druck stehe. "Wir hören aus unseren Quellen seit Tagen, dass sich Saif al-Islam ins Ausland absetzen will", sagte ein Mitglied des Übergangsrats schon vor Tagen, "er hat Angst, dass er mit seinem Vater untergehen und sterben wird". Der Funktionär behauptete, dass Gaddafi seine Familie mittlerweile streng überwache, um weitere Ausreisen nach Tunesien oder gar in den Westen zu verhindern.

Aus Sicht des Rats aber gibt es nur eine Variante. "Die gesamte Gaddafi-Familie muss vor Gericht", so der Politiker, "sie haben dieses Land in den letzten 42 Jahren ruiniert".

Gaddafi-Emissär in Griechenland

Der Plan der Gaddafi-Söhne ist nicht der einzige Versuch aus dem Umfeld des libyschen Regimes, den Konflikt auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Ein Vertrauter des libyschen Machthabers Gaddafi, Vize-Außenminister Abdul Latif al-Obeidi, reiste am Sonntag zu Gesprächen mit dem griechischen Ministerpräsidenten Georgios Papandreou nach Athen. Das Treffen finde auf Wunsch der libyschen Seite statt. Nach Einschätzung des griechischen Außenministers Dimitris Droutsas ist das Gaddafi-Regime um eine Lösung des Konflikts bemüht.

Papandreou habe dem Gaddafi-Vertrauten gesagt, die Beschlüsse der Vereinten Nationen müssten respektiert und in ihrer Gesamtheit in die Tat umgesetzt werden. Dies bedeute auch eine sofortige Einstellung der Kampfhandlungen und vor allem das Ende der Gewaltanwendung gegen die Zivilbevölkerung. Griechenland werde die Alliierten über den genauen Inhalt der Gespräche informieren.

Der libysche Gesandte werde in die Türkei und auch nach Malta reisen, teilte das griechische Außenministerium weiter mit. Vor dem Treffen mit Obeidi hatte Papandreou mit dem britischen Premier David Cameron, dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und anderen politischen Führern der Region gesprochen.

Cameron entsandte eine kleine Delegation des Außenministeriums nach Bengasi, die mit den Aufständischen über eine Waffenruhe und über eine Regierung für die Zeit nach Gaddafi reden soll, berichteten britische Medien.

Die Kämpfe in Libyen gehen derweil unvermindert weiter: Auch am dritten Tag nach der Kommandoübernahme durch die Nato wurden am Samstag 70 Kampfeinsätze geflogen, das waren in etwa so viele wie in den Vortagen, wie die Nato am Sonntag in Brüssel meldete. Seit dem Beginn der Nato-Mission seien 218 Luftschläge gezählt worden.

Die Nato hatte das Kommando am Donnerstag übernommen - musste aber Washington dennoch um zusätzliche Unterstützung bitten. Das US-Verteidigungsministerium in Washington erklärte am Sonntag, dass die Nato "wegen des schlechten Wetters der vergangenen Tage" die USA gebeten habe, auch am Montag Angriffe zu fliegen. Dieser Bitte werde die US-Armee nachkommen. Ursprünglich hatte Washington am Wochenende mit dem Abzug seiner Kampfflugzeuge und seiner Tomahawk-Marschflugkörper von dem Einsatz beginnen wollen.

Erbitterte Kämpfe um Ölhafen Brega

An dem Einsatz über Libyen nehmen etwa 20 der 28 Nato-Mitglieder sowie mehrere nicht dem Bündnis angehörende Staaten teil. Deutschland und Polen beteiligen sich nicht. Ziel ist es, auf der Basis der Resolution 1973 des Uno-Sicherheitsrates die Flugverbotszone sowie die Einhaltung des Waffenembargos zu überwachen und die Zivilbevölkerung zu schützen.

Bei Brega setzten Aufständischen-Verbände am Sonntag ihre Bemühungen fort, die Gaddafi-Truppen aus dem strategisch wichtigen Ölhafen zu verdrängen. Nach neuen Nato-Angriffen auf die Regime-Streitkräfte konnten weite Teile der Stadt 240 Kilometer südwestlich von Bengasi eingenommen werden. Brega war in den vergangenen Tagen stark umkämpft gewesen.

Die Gaddafi-Truppen griffen am Wochenende weiter die von ihnen belagerten Städte Misurata und Sintan an. Bewohner beschrieben die Lage in den Enklaven als dramatisch und verzweifelt. In Misurata, 210 Kilometer östlich von Tripolis, trafen Granaten ein Krankenhaus. Mehrere Freiwillige wurden verletzt, berichtete die Oppositionsgruppe "Feb17voices" am Sonntag über den Kurzmitteilungsdienst Twitter. In der drittgrößten Stadt des Landes herrsche ein Mangel an medizinischem Bedarf, hieß es weiter.

In Sintan, 120 Kilometer südwestlich von Tripolis, habe der Artillerie-Beschuss durch Gaddafi-Truppen Häuser, Wasserwerke und E-Werke zerstört, sagte ein Sprecher der Regimegegner in der Stadt am Sonntag dem arabischen Fernsehsender Al-Dschasira.

anr/mgb/dpa/AFP/dapd
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