Libyen-Konflikt Westen schickt Kampfjets gegen Gaddafi-Regime
Bengasi/Paris - Der Auftritt von Präsident Nicolas Sarkozy dauerte nur wenige Minuten: Am Ende des Libyen-Gipfels in Paris trat er allein vor die versammelte Weltpresse - und verkündete den Beginn des Militärschlags gegen Libyen. "Wir haben beschlossen, dass die Uno-Resolution umgesetzt wird," sagte er. "Die Teilnehmer des Gipfels sind sich einig, dafür alle nötigen Mittel einzusetzen - insbesondere militärische."
Die Luftwaffe werde gegen jegliche Aggression von Gaddafi gegen die Zivilbevölkerung vorgehen. "Gestern haben wir Gaddafi eindringlich davor gewarnt, dass wir zu militärischen Mitteln greifen werden. Er hat die Warnung in den Wind geschlagen."
Da flogen die Kampfjets bereits über Libyen hinweg: französische, britische und kanadische Maschinen. gegen den Abend feuerten sie erstmals auf libysche Einheiten. Die am Donnerstag beschlossene Uno-Resolution erlaubt, in Libyen eine Flugverbotszone und eine Waffenruhe "mit allen nötigen Maßnahmen" durchzusetzen (die aktuellen Ereignisse im Liveticker hier).

Laut Sarkozy sind die westlichen Flugzeuge über Bengasi im Einsatz, um libysche Luftangriffe auf die Stadt zu verhindern. "Weitere französische Flugzeuge stehen bereit, um gegen Panzer zu intervenieren, die Zivilisten bedrohen", sagte Sarkozy in seiner Rede. Es gehe nicht darum, für die Libyer ihre Geschicke zu entscheiden, sondern sie zu verteidigen, damit sie selbst ihr Geschick in die Hand nehmen könnten. Gaddafi könne noch immer "das Schlimmste verhindern", wenn er die Uno-Resolution ohne Einschränkung beachte. "Die Tür der Diplomatie wird sich wieder öffnen, wenn die Angriffe enden."
Der britische Premierminister David Cameron wählte härtere Worte: "Die Zeit zum Handeln ist gekommen", sagte er am Samstag. "Wir müssen den Willen der Vereinten Nationen durchsetzen und können das Abschlachten von Zivilisten nicht weiter zulassen."
Wie das Münchner Magazin "Focus" unter Berufung auf Berliner Sicherheitskreise berichtet, befinden sich bereits seit Wochen britische Sonderkommandos in Libyen, um Kampfeinsätze vorzubereiten. Sie hätten strategische Ziele wie Fliegerhorste, Luftabwehrstellungen und Kommunikationszentralen vermessen und für Bombenangriffe markiert. Es handele sich um Teams der Eliteeinheiten Special Air Service (SAS) und Special Boat Service (SBS).
Nato soll keine "sichtbare Rolle" übernehmen
Bei dem Gipfel in Paris hatten zahlreiche Staats- und Regierungschefs und der Generalsekretär der Vereinten Nationen über das weitere Vorgehen gegen das libysche Regime beraten. Es war erwartet worden, dass die Militäreinsätze noch im Lauf des Tages beginnen würden. Nach einem Bericht der französischen Zeitung "Le Figaro" sollen außer Frankreich auch Großbritannien, Kanada und Norwegen am Nachmittag erste Angriffe fliegen. An späteren Einsätzen würden sich die USA und mehrere arabische Staaten beteiligen, berichtete das Blatt unter Berufung auf Verhandlungskreise.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm an dem Gipfel teil. Deutschland hat eine Beteiligung an Militäreinsätzen zwar ausgeschlossen. Berlin will aber sein Engagement in Afghanistan um Aufklärungsflüge erweitern, um die Nato zu entlasten.
Allerdings will Frankreich nach Angaben aus Brüsseler Diplomatenkreisen die Koordinierung des Einsatzes selbst übernehmen. Die Nato solle nach Pariser Vorstellung keine "sichtbare Rolle" übernehmen, weil sie in der arabischen Welt keinen guten Ruf habe, hieß es. Der Nato-Rat will im Anschluss an den Pariser Gipfel abermals in Brüssel tagen, nachdem eine erste Sitzung am Morgen noch keinen Beschluss zu einem Militäreinsatz gebracht hatte. Die Uno-Resolution erlaubt Luftschläge, aber nicht den Einsatz von Bodentruppen.
Unter den Teilnehmern in Paris waren unter anderem US-Außenministerin Hillary Clinton, der kanadische Premierminister Stephen Harper, EU-Außenpolitikchefin Catherine Ashton, der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon und weitere Regierungschefs und Minister von EU-Staaten und arabischen Ländern. Die Afrikanische Union (AU) war nicht vertreten. Die AU kam am Samstag im mauretanischen Nouakchott zu einem eigenen Dringlichkeitstreffen zusammen.
Barrikaden aus Bettgestellen
Unter dem Druck eines drohenden Uno-Militärschlags hatte Muammar al-Gaddafi am Freitag eine absolute Waffenruhe versprochen - doch daran halten sich die libyschen Regierungstruppen offenbar nicht: Am Samstagmorgen rückten Gaddafi-treue Soldaten nach Bengasi vor. Die Truppe habe bereits die westlichen Vororte der Stadt erreicht, meldete al-Dschasira.
SPIEGEL-ONLINE-Reporter Jonathan Stock beobachtete, wie ein Flugzeug über der Rebellenstadt abstürzte. Es war offenbar eine Maschine der Rebellen. "Die Atmosphäre in der Stadt ist sehr angespannt, die Kämpfer der Rebellen sind immer noch unorganisiert, fahren mit Taxis den Soldaten Gaddafis entgegen", berichtet Stock. In den Straßen Bengasis errichteten die Menschen Barrikaden aus Müllcontainern, Holzpaletten, Steinen und Bettgestellen. Junge Männer bauten Molotow-Cocktails, um sich zu verteidigen.
Auch die von Aufständischen gehaltenen Städte Misurata und Zintan im Westen des Landes seien angegriffen worden, berichteten die Rebellen. Das Regime Gaddafis bestreitet die Offensive. Die Truppen hätten nach Attacken der Rebellen "in Selbstverteidigung" gehandelt, heißt es in einer Erklärung der staatlichen Nachrichtenagentur Jana. Ein Sprecher warf den Rebellen vor, sie wollten eine militärische Intervention von außen provozieren.
Auch in anderen arabischen Ländern flammt die Revolte wieder auf. Der Jemen erlebte den blutigsten Tag seit Beginn des Aufstands. In Bahrain ging die schiitische Mehrheit auf die Straße, die syrische Regierung riegelte nach Protesten eine ganze Stadt ab.