
Libyen: Das Land der Menschenhändler
Libyens Sklavenmärkte Das Erbe des arabischen Rassismus
Die Auktion im Umland von Tripolis dauert nur wenige Minuten. "Al-Badija", auf Deutsch: die Ware, wird in einen schummrigen Hinterhof geführt - es sind Menschen, afrikanische Männer, zwölf Nigerianer. "400", "500", "600", "700" ruft eine Stimme, dann werden sie für ein paar Hundert libysche Dinar pro Person verkauft. Mit dabei: Ein verdeckt filmendes Team des US-Fernsehsenders "CNN ".
Es sind zutiefst verstörende Aufnahmen. Zugleich führen sie nur klar wie nie vor Augen, was Menschenrechtsorganisationen seit Langem beklagen. Schmuggler verkaufen afrikanische Migranten in Libyen als Arbeitssklaven. Ein Mensch kostet in der Wüste des Bürgerkriegslandes umgerechnet rund 400 Dollar - der Preis schwankt je nach Muskelkraft. Landesweit sollen gegenwärtig bis zu einer Million Männer, Frauen und Kinder in Dutzenden Lagern festgehalten werden.
Internationale Politiker geben sich mittlerweile alarmiert. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte unlängst: "Ich kann nicht ruhig schlafen bei dem Gedanken, was jenen Menschen in Libyen passiert, die ein besseres Leben gesucht und in Libyen die Hölle gefunden haben." Die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich am Rande des Afrika-Gipfels in der Elfenbeinküste empört, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von "barbarischen Szenen".

Libyen: Das Land der Menschenhändler
Am Donnerstag empfängt Merkel den Premierminister der international anerkannten Regierung, Fayez Sarraj, der aber nur über einen Teil des Landes regiert. Bei dem Gespräch im Kanzleramt werden die Sklavenmärkte und die Bekämpfung des Menschenhandels eine wichtige Rolle spielen.
Sogar über Massenevakuierungen und eine multinationale Task Force wird laut nachgedacht, in der Polizeibehörden und Geheimdienste zusammenarbeiten sollen, um die Schleusernetzwerke der Menschenhändler und Folterknechte zu zerschlagen. Menschenrechtler halten solche Äußerungen für Heuchelei - eben weil die Sklavenmärkte ein offenes Geheimnis sind und die EU durch ihre Kooperation mit der libyschen Küstenwache dafür sorgt, dass die Menschen keine Chance mehr haben, nach Europa zu gelangen.
Doch warum blüht der Sklavenhandel in keinem Land so wie in Libyen?
Das liegt zum einen an der politischen Lage: Sechs Jahre nach dem Sturz von Langzeitdiktator Muammar al-Gaddafi gibt es noch immer keine funktionierende Zentralregierung, die über ein geeintes Staatswesen herrscht und im gesamten Land die Kontrolle hat. Stattdessen haben rivalisierende Warlords und Milizen, die sich gegenseitig bekriegen, Libyen in verschiedene Herrschaftsgebiete aufgeteilt. Was sie alle gemeinsam haben, ist, dass sie schwerste Menschenrechtsverletzungen begehen.

Hinzu kommt ein in der libyschen Gesellschaft tief verwurzelter Rassismus. Die Ursprünge reichen zurück bis in den arabischen Sklavenhandel, der im 7. Jahrhundert begann. Schon damals wurden Menschen aus Westafrika verschleppt, durch die Sahara getrieben, auf Märkten in Nordafrika verkauft und anschließend in alle Teile des islamischen Reichs gebracht. Der Sklavenhandel war über Jahrhunderte eine der wichtigsten Einnahmequellen für Libyen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts schaffte der osmanische Sultan die Sklaverei ab.
Aus dieser historischen Erfahrung heraus hat sich bei der arabischstämmigen Bevölkerung in Libyen ein Überlegenheitsgefühl gegenüber dunkelhäutigen Afrikanern festgesetzt. Bis heute ist es in dem Land üblich, einen schwarzen Mann als "Abid", Sklave, zu bezeichnen.
Selbst Diktator Gaddafi, der Libyen 40 Jahre lang mit harter Hand regierte, gelang es nicht, den Hass seiner Landsleute auf schwarze Menschen im Zaum zu halten. Er hatte bis zu zwei Millionen afrikanische Gastarbeiter ins Land geholt. Um die Jahrtausendwende kam es in Libyen mehrfach zu rassistischen Ausschreitungen, bei denen Migranten aus Ghana, Kamerun, Nigeria und anderen Staaten getötet wurden.
"Brigade zur Säuberung der schwarzen Haut"
Im Zuge des Aufstands gegen Gaddafi 2011 eskalierte die Situation: Aufständische beschuldigten den Diktator, er lasse Söldner aus Mali, Niger und dem Tschad für sich kämpfen. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch fanden keinerlei Beweise für diese Behauptung. Aber allein das Gerücht reichte aus, um den Hass zu entfesseln. In zahlreichen Städten machten Milizen regelrecht Jagd auf schwarze Migranten und töteten Hunderte.
Auch dunkelhäutige Libyer wurden Opfer: Milizionäre aus der Stadt Misurata eroberten im August 2011 die 40 Kilometer entfernt gelegene Stadt Tawurga, die hauptsächlich von schwarzen Nachfahren der Sklaven bewohnt wurde. Die Milizionäre vertrieben die rund 25.000 Einwohner aus dem Ort, Tawurga ist seither eine Geisterstadt. Ihre Bewohner leben heute in Flüchtlingslagern in der Umgebung von Tripolis. Sie berichten von Vergewaltigungen und Misshandlungen durch die Milizionäre.
In den Ruinen von Tawurga blieben Graffiti zurück - unterschrieben von einer "Brigade zur Säuberung der schwarzen Haut".