Logbuch al-Qaida 37.000 Kreditkarten für "Terrorist007"

Der Cyber-Dschihadist "Irhabi007" war eine Legende - bis die Briten ihn 2006 festnahmen, weil er Anschläge in der realen Welt plante. Nun wurde er zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die Details aus den Ermittlungen sind atemberaubend - und geben dem Fall eine neue Dimension.
Von Yassin Musharbash

In den Jahren 2004 und 2005 war es fast unmöglich, "Irhabi007" nicht täglich zu begegnen, wenn man sich auf den Webseiten von al-Qaida & Co. und deren Sympathisanten herumtrieb. Welchem Link man auch folgte, in welches passwortgeschützte Forum man sich auch einloggte, der Cyber-Aktivist, dessen Internet-ID "Terrorist007" bedeutet, war schon da - und publizierte und agitierte in einem fort.

"Irhabi007" verbreitete zum Beispiel Videos von Anschlägen - oft auf Websites, die er zuvor und eigens für diesen Zweck geknackt hatte. Er gab Online-Anleitungen fürs Hacken heraus. Er kommentierte jedes wichtige Kommuniqué der zentralen Qaida-Führer. Zuletzt betrieb er selbst Websites, insbesondere zur Verherrlichung von Abu Musab al-Sarkawi, dem Führer der irakischen Qaida-Filiale.

Entsprechend groß war die Überraschung in der Community der Terrortracker, als der prominenteste aller Cyber-Dschihadisten Ende 2005 plötzlich von der Bildfläche verschwand. Die Überraschung steigerte sich noch, als herauskam, was der Grund war: "Irhabi007" hatte offenbar Anschläge in der realen Welt geplant. Er flog auf, weil islamistische Kämpfer aus Bosnien seine Kontaktdaten bei sich hatten, als sie verhaftet wurden. Die Spur führte nach West-London, und "Irhabi007", Überraschung Nummer drei, war ein 22-jähriger marokkanischstämmiger Student der Informatik.

37.000 Kreditkarten für den Terror

Die Legende war enttarnt - und zugleich gab es erstmals eine Bestätigung für die Sorge etlicher Terror-Analysten: Die Grenzen zwischen Cyber-Dschihad und realem Terror sind durchlässig. "Wenn wir nicht schnell reagiert hätten, wäre in London eine gewaltige Bombe gezündet worden", zitierten britische Zeitungen einen Scotland-Yard-Ermittler.

Das war der Stand der Geschichte von Younis Tsouli a.k.a. "Irhabi007" - bis vorletzte Woche. Denn nun sind Details aus den Ermittlungen an die Öffentlichkeit gelangt, die dem Fall eine völlig neue Dimension geben: Das 22-jährige Computer-Kid war kein Einzeltäter, der mit ein paar Leuten vernetzt war. Er war Kopf einer regelrechten Unterstützerzelle für Dschihadisten in aller Welt, die unter anderem Anschläge in den USA, Europa und im Nahen Osten geplant haben sollen. Er hatte überdies sogar einschlägige Verbindungen bis hin zur irakischen Qaida-Filiale.

Zur Finanzierung ihrer sinistren Zwecke haben Tsouli und seine beiden Mitverschwörer, Waseem Mughal und Tariq al-Daour, laut "Wall Street Journal" unter anderem die gestohlenen Zugangsdaten von 37.000 Kreditkarten besorgt und damit insgesamt 3,5 Millionen US-Dollar erschwindelt.

Mit dem Geld betrieben sie Webseiten, kauften aber auch Hardware - namentlich GPS- und Nachtsichtgeräte, Schlafsäcke, Hunderte Prepaid-Handys, 250 Flugtickets von 46 Airlines, sowie Messer und Zelte. Für wen die Gaben genau bestimmt waren und ob sie auch ausgeliefert wurden, ist noch unklar - aber dass es bei all dem um die Unterstützung dschihadistischer Kämpfer ging, ist verschiedenen Presseberichten zufolge unstrittig.

Nachtclubs und Flugzeugträger als Ziele

Desweiteren wurden auf Tsoulis Rechner Daten gefunden, die Kontakte zu Dschihadisten auf der ganzen Welt belegen - und die auf mögliche Terrorpläne hindeuten. So gab es einen Ordner mit dem Titel "Washington" auf dem Laptop, in dem sich zum Beispiel Videoaufnahmen des Kapitols, der Weltbank und eines Lagers für Treibstofflaster fanden.

In Atlanta und in Kanada soll Tsouli überdies mit weiteren Verschwörern an Plots gearbeitet haben - es gab angeblich Pläne, den US-Flugzeugträger USS "John F. Kennedy" zu versenken und Nachtclubs anzugreifen. Laut "New York Times" berichtete Tsouli eines Tages seinem Kumpel Mughal, er sei von al-Qaida im Irak gebeten worden, deren Online-Magazin "Dhirwat al-Sinam" ("Der höchste Punkt des Höckers eines Kamels") ins Englische zu übersetzen.

Am Ende wurde Tsouli übrigens "nur" für Aufruf zum Mord verurteilt - es war anscheinend zu kompliziert, die übrigen Verbrechen in eine gerichtsfeste Anklage zu überführen, weshalb Ermittler offenbar Details an die Presse gaben, damit der Fall angemessen dargestellt werden konnte.

Die Fülle der Aktivitäten von "Irhabi007" ist indes in jedem Fall atemberaubend - und das nicht nur wegen der kriminellen Energie und Kreativität, die daraus spricht. Sie zeigt vielmehr, wie einfach es für einen intelligenten Aktivisten heute geworden ist, aus dem Nichts zu einem wichtigen Knotenpunkt des internationalen islamistischen Terrorismus aufzusteigen.

Vor zehn Jahren wäre jemand wie Younis Tsouli vielleicht nicht einmal in ein Qaida-Lager eingelassen worden. Heute dagegen kann er das ganze große Rad drehen - mit Hilfe eines Laptops und einer Internet-Verbindung. Weil die neue al-Qaida keine hierarchische Kaderorganisation mehr ist, sondern ein offenes Mitmach-Netzwerk, eine Art Wiki-Qaida hat das alte Modell abgelöst.

Tsouli war auf diesem neuen Spielfeld ein Pionier. Er hat die Verschmelzung von Cyber-Kriminaltität, Internet-Dschihadismus und realem Terror ein gutes Stück vorangetrieben. Dass andere seine Arbeit fortführen werden, ist gewiss.

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