Logbuch al-Qaida Sarkawis Erben nehmen den neuen Irak ins Visier

Anschlagserie in Bagdad: Wieder ist es Terroristen gelungen, mitten im Regierungsviertel der irakischen Hauptstadt Bomben zu zünden. Noch gibt es kein Bekennerschreiben, aber alles spricht für al-Qaida - mit Blick auf den US-Abzug und die kommenden Wahlen eine gefährliche Entwicklung.
Von Yassin Musharbash
Sicherheitskräfte nahe des irakischen Finanzministeriums: War es wieder al-Qaida?

Sicherheitskräfte nahe des irakischen Finanzministeriums: War es wieder al-Qaida?

Foto: Khalid Mohammed/ AP

Viele Analysten, Geheimdienstler und US-Militärs haben in den vergangenen zwei Jahren die Ansicht vertreten, dass al-Qaidas Irak-Filiale (sie nennt sich "Islamischer Staat Irak") stetig schwächer geworden ist, nur noch begrenzte Ressourcen hat und kaum noch Rückzugsräume.

Diese Schlussfolgerungen sind in ihren Grundzügen vermutlich richtig. Aber angesichts der jüngsten Explosionsserie mitten im Bagdader Regierungsviertel, bei der die Urheberschaft al-Qaidas wahrscheinlich ist, drängt sich die Frage auf, ob diese Analyse nicht modifiziert werden muss.

Wieder gab es mehr als hundert Tote und mindestens genauso viele Verletzte, wieder gelang es den Terroristen offenbar, vier oder gar fünf mit Sprengstoff beladene Fahrzeuge in kurzem Abstand zu sprengen, wieder zählen zu den Zielen hochrangige und theoretisch entsprechend geschützte Gebäudekomplexe.

Noch gibt es kein Bekennerschreiben

Noch sind die Meldungen nicht eindeutig, aber es scheint, als seien das Innen- und das Arbeitsministerium sowie ein Universitätsinstitut und Polizisten ins Visier genommen worden. Qaida-Unterstützer aus dem Irak schreiben online, es sei das Finanzministerium getroffen worden.

Erst im Oktober und davor im August hatte es in unmittelbarer Umgebung Terroranschläge nach ähnlichem Muster gegeben, zu beiden Serien hatte sich al-Qaida bekannt und weitere Anschläge angekündigt. Es wäre verwunderlich, wenn nicht heute, morgen oder spätestens übermorgen ein Bekennerschreiben veröffentlicht wird, in dem der "Islamische Staat Irak" auch dieses Massaker für sich reklamiert.

al-Qaida

Drei Frontalangriffe gegen symbolträchtige Einrichtungen des neuen irakischen Staates: Das Muster spricht für sich. Egal wie viel Kapazitäten im Irak noch hat, offenbar haben die Strategen des Terrornetzwerks sich entschlossen, diese maßgeblich gegen die Regierung und die schleichende Stabilisierung des Staates zu richten.

Selbes Ziel, neue Strategie?

Abu Mussab al-Sarkawi

Es fällt nicht schwer, sich den Grund auszumalen. Seit ihrer Gründung hatte die Qaida-Filiale im Zweistromland ein dominierendes Ziel: Instabilität zwischen Euphrat und Tigris. Denn nur in einem chaotischem Umfeld, so die Vorstellung des 2006 getöteten Anführers , könne das Netzwerk sich festsetzen - und eines Tages genügend Strukturen aufbauen, um auch außerhalb des Irak zuzuschlagen.

Lange Zeit wollte al-Sarkawi dieses Ziel erreichen, indem er versuchte, die Schiiten des Landes in einen Bürgerkrieg zu bomben. Das misslang - knapp.

Seine Nachfolger, von denen nur Phantasienamen bekannt sind, haben sich nun offenbar darauf verlegt, dasselbe Ziel zu erreichen, indem sie regelmäßig qua Massaker vorführen, wie verletzlich und damit wenig verlässlich der neue Staat ist, in den viele Iraker ihre Hoffnungen setzen. Diese mutmaßliche neue Strategie spiegelt sich auch in den Reden der Qaida-Führer und den Propagandavideos ihrer Medienabteilung.

Dies ist umso Besorgnis erregender, als dem Irak zwei Schlüsseldaten bevorstehen. Im März 2010 soll gewählt, im Spätsommer 2010 sollen die US-Soldaten bis auf 50.000 Mann abgezogen werden.

Beides wären hoffnungsfrohere Entwicklungen, wenn al-Qaida wirklich geschwächt wäre. Den Irakern ist zu wünschen, dass die Anschlagsserien ein letztes Aufbäumen der Terroristen sind. Aber das ist eher Hoffnung als Vermutung.

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