Oligarchen in England Die Milliardärsgasse von Londongrad

Whitehall Court in London
Foto: Shutterstock/ Barsan ATTILAWhitehall Court in London gehört zu den feinsten Adressen der britischen Hauptstadt. Wer sich in dem geschichtsträchtigen Gebäude, in dem unter anderem George Bernard Shaw und H.G. Wells lebten, ein Appartement leisten kann, wird mit einem weiten Blick über die Themse belohnt. Das London Eye, das Hochhaus The Shard, die Westminster Bridge, alles zum Greifen nahe. Und man muss sich nicht einmal weit aus dem Fenster lehnen, um einen exklusiven Blick aufs britische Parlament zu erhaschen.
Der Mann, der dem Vernehmen nach die Luxuswohnungen 138A und 138B besitzt, hat von dem Panorama allerdings nicht viel. Er ist, wenn überhaupt, nur selten in London. Igor Schuwalow hat Besseres zu tun: Als stellvertretender Premierminister muss er beruflich Russland mitregieren. "Es ist allerdings erstaunlich, dass sich ein Mann, der offiziell nicht viel mehr als 100.000 Pfund im Jahr verdient, zwei millionenschwere Wohnungen in London leisten kann", sagt Rachel Davies.
Die junge Frau von Transparency International steht am Donnerstagnachmittag, umringt von mehreren Dutzend Journalisten, vor Whitehall Court. Gleich wird sich die Gruppe in einen Reisebus zwängen, um eine sehr ungewöhnliche Sightseeingtour durch London zu unternehmen. Organisiert wurde sie von ClampK , einer NGO, die gegen Geldwäsche von "Kleptokraten" kämpft und dabei insbesondere deren sündteure Domizile ins Visier nimmt. Und da ein großer Teil davon russischen Milliardären gehört, ist ClampK in diesen Tagen sehr gefragt.
Der rätselhafte Giftanschlag auf den Doppelspion Sergej Skripal vor drei Wochen hat die schillernde russische Oligarchenszene Großbritanniens einmal mehr in den Blickpunkt gerückt. Etliche Weggefährten und Vertraute von Russlands Präsident Wladimir Putin haben in den vergangenen Jahren London mit Milliarden geflutet. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass ein Großteil des Geldes aus trüben Quellen stammt. Die britische Regierung, die sich sicher ist, dass der Kreml hinter dem Anschlag auf Skripal steht, hat angekündigt, den Geldfluss aus Russland künftig besser zu kontrollieren.
Milliarden Pfund, deren Herkunft virtuos verschleiert wird
Rachel Davies hat daran jedoch Zweifel. Großbritannien habe ein nahezu perfektes Geldwäschesystem geschaffen, erklärt sie, als der Bus durch die Reichenviertel Südlondons rollt. Nach Recherchen von Transparency International stecken in britischen Immobilien mindestens 4,4 Milliarden Pfund an Geld, dessen Herkunft virtuos verschleiert wurde. Ein Fünftel davon gehöre Russen, die damit, nach Personen aus den Arabischen Emiraten, die zweitgrößte Gruppe stellen. Und über viele Jahre, so Davies, habe niemand wirklich wissen wollen, woher das investierte Geld eigentlich stammt.
Zwischen 2008 und 2015, einer "Ära der Blauäugigkeit", hätten die britischen Behörden rund 3000 "Investoren-Visa" vergeben, etwa ein Viertel davon an russische Staatsbürger. Auf Nachfrage habe das Innenministerium erklärt, für die Überprüfung seien die Banken zuständig, während die Banken ans Innenministerium verwiesen.
So kam es, dass ein Vorstandmitglied des Energieriesen Gazprom das Haus Nummer 102 am Eton Square für 15 Millionen Pfund erwerben konnte. Außerdem leistete sich der Mann binnen vier Jahren drei weitere Filetgrundstücke für insgesamt 250 Millionen Pfund, manche davon heillos überteuert. Aber um den Preis gehe es auch gar nicht, sagt Mark Hollingsworth, Autor des Buches "Londongrad": "Es geht darum, das Geld nach London zu bringen, es zu verstecken und zu schützen." Der Weg sei fast immer derselbe: Das Geld werde durch Korruption oder andere kriminelle Machenschaften in Russland erlangt und anschließend über Zypern und Offshore-Zentren wie die Virgin-Islands in London geparkt.
Und da es die britische Regierung erlaubt, dass Eigentümer von Immobilien, die sich hinter Briefkastenfirmen verstecken, anonym bleiben dürfen, ist das schmutzige Geld in Großbritannien sicher. Im Fall des Hauses Eton Square konnten die Anti-Korruptions-Aktivisten die Herkunft des Geldes zurückverfolgen zum steinreichen Oligarchen Arkadi Rotenberg, einem engen Weggefährten Putins.
Ergaunertes Geld aus Russland für Propaganda im Westen
Und das Ganze sei nicht einfach nur ein großes Monopolyspiel in einer echten Stadt, sagt der im Londoner Exil lebende Oppositionspolitiker Wladimir Aschurkow. Die Abermilliarden, die Russlands Mächtige auf diesem Weg zur Seite schafften, seien für Putin und seine Vertrauten das Schmiermittel, um im Westen durch Propaganda, Cyper-Operationen oder Schlimmeres immer mehr Chaos zu schüren. "Russlands immer aggressiveres Vorgehen in den vergangenen Jahren wurde ermöglicht durch das korrupte Geld, das ungehindert vor allem nach Großbritannien fließt."
Nach eineinhalb Stunden hält der Bus mit den Kleptokraten-Watchern schließlich vor einer kleinen Straße in Kensington, Schranken und bewaffnete Polizisten sichern die Einfahrt. "Milliardärsgasse", nennt ClampK-Gründer Roman Borisowitsch das Sträßchen, weil dort unter anderem der FC-Chelsea-Besitzer Roman Abramowitsch und der Investor Leonard Blavatnik Villen besitzen. Auch die Russische Botschaft hat hier in Kensington Palace Gardens ihren Sitz.
Als die Gruppe von Journalisten die öffentlich zugängliche Straße betreten will, stellen sich Sicherheitsbeamte in den Weg, ein paar Minuten später fährt die Polizei vor. Mit Kameras, so deren Verdikt, dürfe hier niemand rein. Wer oder was in diesen Minuten geschützt werden soll, ist nicht wirklich zu sagen. Es könnten die Milliardäre sein. Oder auch der Thronfolger Prinz William und seine Katherine. Die sind praktisch Nachbarn von Roman Abramowitsch.