Luftschlag auf gekaperte Tanklaster Guttenberg gibt den Anti-Jung
Berlin/Kabul - Sein Auftritt soll eine Demonstration des neuen Stils sein. Ein "Höchstmaß an Transparenz" verspricht er; und dass er "die Konsequenzen ziehen" werde. , der neue Verteidigungsminister, wirkt so ganz anders als sein Vorgänger, der Südhesse Franz Josef Jung, der die Silben vernuschelte - und nach dem umstrittenen Nato-Bombardement zweier Tanklaster in an jenem 4. September ein Kommunikationsdesaster anrichtete.
Keine zivilen Opfer habe es gegeben, versicherte Jung anfangs. Der britische "Guardian" schrieb da bereits von der "tödlichsten Militäroperation Deutschlands seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs". Nun heißt es in einem als geheim eingestuften Nato-Bericht: Der Angriff soll zwischen 17 und 142 Opfer gefordert haben.
Offenbar handelte es sich dabei nicht allein um Taliban.
Das macht Guttenberg an diesem Freitag im Berliner Bendlerblock klar. In bisher nicht gekannter Offenheit spricht er über unschuldige Opfer: "Ich persönlich gehe davon aus, dass es zivile Opfer gab." Dies bedauere er "von Herzen und zutiefst". Zum Vergleich: Als Vorgänger Jung nicht mehr umhinkam, zumindest die Möglichkeit toter Zivilisten anzuerkennen, formulierte er verschwurbelt: Sollte es zivile Opfer gegeben haben, fordere dies "unser Mitgefühl und Anteilnahme heraus".
Der Minister nimmt Oberst Klein in Schutz
Guttenberg nun macht zweierlei: Im Stil grenzt er sich von Jungs Erbe ab, doch auch er stellt sich vor die Truppe.
So erläutert er am Mittag den Fraktionsspitzen von Union, SPD, FDP, Grünen und Linken eine gute Stunde den geheimen Nato-Bericht, der den Angriff auf die beiden Tanklaster minutiös ausleuchtet: Wie Oberst Georg Klein, der deutsche Kommandeur des Wiederaufbauteams im nordafghanischen , zwei US-amerikanische F-15-Jagdbomber anwies, die beiden von Taliban gekaperten und in einem Flussbett nahe des Bundeswehrfeldlagers steckengebliebenen Tanklastwagen zu bombardieren. Guttenberg gibt sich erkennbar Mühe, die Abgeordneten gänzlich anders zu behandeln, als dies sein Vorgänger und dessen Staatssekretäre über Jahre hin betrieben hatten. Diese waren bei Unterrichtungen oft wolkig geblieben und hatten auf Detailfragen keine Antwort gegeben. Dagegen hat sich der neue Minister sehr genau in die Materie eingelesen.
Guttenberg räumt Verfahrensfehler ein - verteidigt aber zugleich rigoros den Luftangriff. Vor dem Hintergrund der "Gesamtbedrohung" seien die "militärischen Schläge als angemessen zu betrachten". Oder expliziter: "Selbst wenn es keine Verfahrensfehler gegeben hätte, hätte es zum Luftschlag kommen müssen."
Damit stellt sich Guttenberg nicht nur vor Oberst Klein, sondern auch vor Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan, der vor wenigen Tagen betont hatte, die Bundeswehr sehe sich durch die Nato-Untersuchung entlastet. Einerseits. Andererseits setzt sich Guttenberg vom lamentierenden Schneiderhan ab, wenn er von "Verfahrensmängeln" spricht. Der Generalinspekteur hatte gesagt, der Bericht bestätige nicht, "dass durch den Luftschlag unbeteiligte Personen getötet wurden".
Damit meint er unter anderem die "Rules of Engagement" (ROE), im Nato-Jargon jene klaren Regeln, die vor einem Luftangriff eingehalten werden müssen. Oberst Klein hat eben diese ROE nach Einschätzung der Nato am 4. September nicht eingehalten: Er habe die Luftunterstützung mit der Begründung angefordert, seine Truppen hätten Feindberührung, obwohl sich keine -Soldaten in der Nähe der Lastwagen aufhielten; er habe es abgelehnt, als niedrigere Eskalationsstufe die F-15-Jagdbomber zunächst im Tiefflug über die Lkw fliegen zu lassen; zudem wird bezweifelt, dass die Auskünfte eines lokalen Informanten ausreichten, um einen so schweren Angriff zu rechtfertigen.
Guttenberg führt all dies nicht öffentlich aus, doch vor den Abgeordneten erwähnt er jedes dieser Details. Sein Spagat zwischen Verteidigung des Angriffs und Kritik an den Abläufen ist heikel. Denn faktisch sind die ROE bewusst dazu aufgestellt und erst kürzlich vom neuen Befehlshaber Stanley McChrystal noch einmal verschärft worden, um gerade jene fatalen Angriffe auf Zivilpersonen oder auch Bombardements, die aus einer unklaren Informationslage resultieren, schlicht zu verhindern. Deshalb, sagen Nato-Militärs in Kabul, sei McChrystal außer sich gewesen, als er erfuhr, dass Oberst Klein mit diesen Regeln kurz nach Antritt des US-Generals eher lässig umgegangen sei.
Der neue Verteidigungsminister erntet deshalb nach der Unterrichtung der Fraktionsspitzen Kritik für seine Sicht der Dinge. Der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour lobt zwar die Offenheit des Ministers. Doch sei dessen Sicht falsch: "Durch die Rechtfertigung des Angriffs trotz vieler Fehler verniedlicht Guttenberg die Regeln der Nato, die es genau zur Verhinderung solcher Angriffe gibt", sagt Nouripour SPIEGEL ONLINE: "Das ist unakzeptabel." Ebenso kritisiert er, dass das Parlament den Nato-Bericht nicht diskutieren könne, da dieser geheim bleibe. Allerdings hatte Guttenberg selbst die Nato um Offenheit gebeten, wurde aber abschlägig beschieden.
"Kriegsähnliche Zustände"
Ein disziplinarisches Vorgehen gegen Oberst Klein beabsichtige er nicht, versichert Guttenberg. "Gespannt" warte er allerdings auf die Prüfung der Karlsruher Bundesanwaltschaft. Denn am Freitagmorgen hatte die für Klein zuständige Dresdner Generalstaatsanwaltschaft ihre Ermittlungsakten an die Bundesanwälte übergeben. Die müssen nun prüfen, ob der Fall Klein statt unters allgemeine Strafrecht unters Völkerstrafrecht fällt - und damit ein Thema für Karlsruhe wäre.
Das hätte weitreichende Konsequenzen. Stellt Karlsruhe fest, dass es sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs handelt, müssten sich Bundeswehrsoldaten in ähnlichen Fällen wohl nicht mehr wegen fahrlässiger Tötung vor deutschen Gerichten verantworten - sondern es würde eine Art Kriegsrecht gelten. Konsequenz: Die Tötung von Zivilisten wäre nur in Extremfällen strafbar - etwa, wenn ein Kommandeur "als sicher erwartet", dass es Tote unter der Zivilbevölkerung gibt, und diese Toten "außer Verhältnis" zum militärischen Vorteil stehen. Damit würde sich die strafrechtliche Situation für Oberst Klein wesentlich günstiger darstellen.
Guttenberg scheint nicht unglücklich über die anstehende Prüfung durch Karlsruhe, er erhoffe sich "Rechtssicherheit für unsere Soldaten". Und auch unter einem anderen Gesichtspunkt könnten dem Verteidigungsminister die Bundesanwälte helfen: Wenden sie das Völkerstrafrecht an, betrachten sie Afghanistan demnach als "nicht-internationalen bewaffneten Konflikt" - und das bedeutet Bürgerkrieg. Die Kriegsvokabel aber ist jene, die deutsche Politiker bisher mieden, lieber sprachen sie vom "robusten Mandat".
Nur Guttenberg nicht.
Mancherorts in Afghanistan würden "kriegsähnliche Zustände" herrschen, stellte er jüngst fest. An diesem Freitag betont er in diesem Sinne noch einmal seine "persönliche Einschätzung". Im "juristischen Sinne" gehe er davon aus, dass es sich in Teilen Afghanistans um einen "nicht-internationalen bewaffneten Konflikt" handele.
Das heißt: Krieg.