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Venezuelas Ex-Anklägerin Ortega Ende einer Unbeugsamen

Venezuelas Generalstaatsanwältin Luisa Ortega brachte viele Maduro-Gegner ins Gefängnis - bis sie selbst zur Oppositionellen wurde. Für Präsident Maduro war sie eine Bedrohung und musste gehen.

Auf Luisa Ortegas Twitter-Profil steht noch immer: "Generalstaatsanwältin - der Justiz, der Verfassung und den Menschenrechten verpflichtet". Darüber ein Foto, auf dem die Frau mit dem blonden Haar und der randlosen Brille freundlich lächelt.

Am Samstag aber musste sie miterleben, wie Nationalgardisten ihren Dienstsitz in Caracas umstellten, einige ihrer Leibwächter festnahmen - und wie sie kurz danach aus dem Amt geworfen wurde.

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Es war das erwartete Ende einer monatelangen Entfremdung zwischen der Spitzenjuristin und der Regierung, der sie jahrelang verbunden war und für die sie mehrere Regierungskritiker hinter Gitter brachte.

Für Präsident Nicolás Maduro stellte Ortega inzwischen eine Bedrohung dar, weil sie aus einer der wichtigsten Institutionen des Staates heraus sein zunehmend autoritäres Regieren anprangerte und damit die deutlichen Risse im Chavismus aufzeigte.

Ortega ist eben kein Mitglied der "umstürzlerischen und faschistischen" Opposition. So nennen Maduros Leute das knapp 20 Parteien starke Bündnis von rechtsradikal bis gemäßigt links, das seit Monaten gegen seine Amtsführung aufbegehrt. Ortega ist überzeugte Sozialistin, und sie ist Anhängerin von Ex-Präsident Hugo Chávez.

Von der glühenden Sozialistin zur Maduro-Gegnerin

Offiziell heißt es in der Begründung zur Entlassung, Ortega habe die Verantwortlichen für die monatelangen Proteste gegen die Regierung mit mehr als 120 Toten nicht mit der notwendigen Härte verfolgt und "Straflosigkeit" zugelassen. Die Entlassung verfügte die erst am Freitag etablierte Verfassunggebende Versammlung (ANC) in einer ersten Amtshandlung auf Antrag des Obersten Gerichtshofs (TSJ).

Es kann die widerspenstige Chefanklägerin nicht wirklich gewundert haben, dass sie das erste Opfer des angekündigten Staatsumbaus in Venezuela wurde, der die Abschaffung der Gewaltenteilung vorsieht.

Zu laut und zu vehement hatte sie in den vergangenen vier Monaten die antidemokratischen Entscheidungen der Maduro-Regierung kritisiert. Erst am Donnerstag verlangte Ortega vor Gericht, die Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung vor einer Woche wegen Betrugsverdachts zu annullieren und die Einberufung des Gremiums zu stoppen. Wahrscheinlich ahnte sie, dass es ihre letzte Amtshandlung war.

Ortega will "bis zum letzten Atemzug" kämpfen

Ortega jedoch ignoriert offenbar ihre Entlassung. Wenige Stunden nach der Entscheidung veröffentlichte die 59-Jährige mit Briefkopf der Generalstaatsanwaltschaft eine Erklärung, in der sie ihre Entlassung "nicht anerkennt".

Und sie richtete einen emotionalen Aufruf an die Bevölkerung: "Ich gebe nicht auf, Venezuela gibt angesichts der Barbarei, der Illegalität, des Hungers und der Dunkelheit und des Tods nicht auf. Unser Volk muss die Hoffnung und die Einheit beibehalten." Ortega bekräftigte, sie wolle "bis zum letzten Atemzug" weiterkämpfen, "von welchem Ort" auch immer.

Wenn es nach Maduro geht, wird das vermutlich das Gefängnis sein, denn so entledigt sich die Regierung am liebsten ihrer Widersacher. Gegen Ortega wird ermittelt, und die Verfassunggebende Versammlung bekräftigte am Samstag noch einmal, dass die Chefanklägerin das Land nicht verlassen darf und dass ihre Bankkonten gesperrt sind.

Ernannt zur Generalstaatsanwältin wurde Ortega 2007 auf Wunsch von Präsident Chávez. Sie hatte unter ihm stetig Karriere gemacht. Überzeugt von Chavéz linksnationalistischem Modell diente sie ihm erst als Beraterin, half dann als Verfassungsjuristin das Grundgesetz von 1999 mitzuschreiben. Verheiratet ist Ortega mit Germán Ferrer, einem Abgeordneten für Maduros sozialistischer PSUV. Auch er hat dem Staatschef aber inzwischen den Rücken gekehrt.

Ortega: Beraterin für Chavez und Co-Autorin der Verfassung

2014 - ein Jahr nach Chavéz Tod und schon zu Amtszeiten Maduros - wurde Ortega im Amt bestätigt. Im gleichen Jahr erwirkte sie die Festnahme des Oppositionspolitikers Leopoldo López, dem Aufruf zur Gewalt bei Protesten vorgeworfen wurde, in deren Verlauf 43 Menschen getötet worden waren. López wurde zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt, ist aber am späten Samstagabend zum zweiten Mal in einem Monat in den Hausarrest entlassen worden.

Fotostrecke

Venezuela: Wie Maduro in nur sechs Tagen das Parlament kaltstellte

Foto: Ariana Cubillos/ AP

Danach jedoch ging Ortega auf Distanz zur Regierung und sorgte Ende März für weltweites Aufsehen - an dem Tag, als der Oberste Gerichtshof die endgültige Entmachtung des Parlaments beschloss. Der breiten Öffentlichkeit bis dahin unbekannt, geißelte sie im Fernsehen den "Bruch" der verfassungsmäßigen Ordnung. Die Maduro-treuen Richter erschraken angesichts der ungewohnten Kritik aus ihren Reihen so sehr, dass sie ihr Urteil rasch kassierten.

Für Ortega war das der Anfang vom Ende als oberster Anklägerin Venezuelas. Doch sie blieb unbeirrt auf ihrem neuen Kurs. In den vergangenen Monaten prangerte sie jede Entscheidung Maduros heftig an und nannte sein Regierungshandeln "Staatsterrorismus".

Ihr Nachfolger Tarek William Saab hingegen, wird sicher jede politische Entscheidung mittragen. Der Ex-Gouverneur sagte bei seiner Vereidigung am Samstag, Venezuela sei eine "freiheitliche Demokratie, in der die Menschenrechte respektiert werden".

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