Eskalation in der Ukraine Klitschko bricht Krisentreffen mit Janukowitsch ergebnislos ab

Eskalation in der Ukraine: Klitschko bricht Krisentreffen mit Janukowitsch ergebnislos ab
Foto: Konstantin Chernichkin/REUTERSKiew - Die Ukraine ist am Dienstag vom schwersten Gewaltausbruch seit dem Beginn der Proteste gegen den Präsident erschüttert worden. Doch ein Ende der Gewalt zeichnet sich auch nach einem nächtlichen Krisentreffen nicht ab: Oppositionspolitiker Vitali Klitschko war zu einem Gespräch mit Präsident Wiktor Janukowitsch im Präsidentenpalast, das Treffen ist laut Klitschko jedoch ergebnislos zu Ende gegangen. Janukowitsch wolle die Erstürmung des Protestcamps auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew fortsetzen, sagte Klitschko. Einen Abbruch des Polizeieinsatzes habe er abgelehnt und die Räumung des Platzes gefordert, berichtete Klitschko in der Nacht zum Mittwoch nach dem Treffen dem Fernsehsender Hromazke.
Klitschko erklärte, er habe das Gespräch beendet, nachdem Janukowitsch eine bedingungslose Räumung des zentralen Unabhängigkeitsplatzes durch die Demonstranten gefordert habe.
Janukowitsch sagte der Opposition in der Nacht zum Mittwoch in einer Rede an die Nation den Kampf an: Die Oppositionsführer hätten die "Grenzen überschritten", indem sie im Machtkampf auf den Druck der Straße setzten und "die Leute zu den Waffen rufen". "Die Oppositionsführer haben das Prinzip der Demokratie verletzt, wonach man die Macht durch Wahlen erhält und nicht durch die Straße", sagte Janukowitsch.
Mindestens 18 Tote, Hunderte Demonstranten sind verletzt
Bei den Straßenschlachten in Kiew sind mindestens 18 Menschen getötet worden. Das ukrainische Innenministerium teilte mit, mittlerweile gebe es sieben getötete Polizisten. Zudem bestätigte das Gesundheitsministerium den Tod von elf Demonstranten. Verletzt wurden nach offiziellen Angaben mindestens 500 Menschen, davon etwa 300 Polizisten. Die renommierte ukrainische Ärztin Olga Bogomolez sprach in der Nacht von mehr als tausend verletzten Demonstranten. Die Kliniken seien überfüllt, sagte sie dem oppositionsnahen Fernsehsender 5. Kanal
Am Dienstagabend hatten Polizeieinheiten begonnen, den von Tausenden Regierungsgegnern besetzten Unabhängigkeitsplatz zu räumen. Polizisten und Regierungsgegner lieferten sich schwere Straßenschlachten.
Die Polizei stürmte die Lager der Opposition und setzte Wasserwerfer und Blendgranaten ein. Demonstranten griffen die Polizisten mit Brandsätzen an und zündeten Autoreifen an. Überall brannte es, auch das Protestcamp stand in Flammen. In Fernsehübertragungen waren Explosionen zu hören.
In der Nacht auf Mittwoch geriet auch das Hauptquartier der Regierungsgegner in Brand. Aus Fenstern des mehrstöckigen Gebäudes des von der Protestbewegung zu ihrem Stützpunkt gemachten Gewerkschaftshauses am Maidan loderten Flammen. Menschen wurden auf Tragen aus dem Gebäude gebracht, andere seilten sich aus den Fenstern ab.

Ukraine: Straßenschlachten in Kiew
Die Demonstranten hatten am Dienstag zunächst einen friedlichen Marsch zum Parlament angekündigt, dann aber eskalierte die Lage. "Lassen Sie nicht zu, dass die Ukraine ein Staat wird, der in Blut versinkt", rief Oppositionsführer Jazenjuk am Abend auf dem Unabhängigkeitsplatz. Er appellierte an den Präsidenten: "Ziehen Sie die Polizei zurück und verkünden Sie einen sofortigen Waffenstillstand." Dann sei die Opposition zu Verhandlungen bereit.
Oppositionsführer Klitschko hatte den Westen zur Intervention aufgefordert: Demokratische Staaten dürften nicht tatenlos zusehen, "wie ein blutiger Diktator sein Volk tötet", sagte Klitschko laut einer Mitteilung seiner Partei Udar. "Die Regierung hat bewusst eine Provokation organisiert, um den Unabhängigkeitsplatz mit Blut und Gewalt auseinanderzujagen, und die Proteste und die Aktivisten zu vernichten."
Rund 20.000 Demonstranten hatten sich am Unabhängigkeitsplatz aufgebaut. Unmittelbar vor der Räumung auf dem Maidan hatten proeuropäische Demonstranten erneut das erst am Sonntag geräumte Rathaus der Hauptstadt besetzt.
Auch in anderen ukrainischen Städten gab es Proteste und Berichte über Angriffe auf Regierungsgebäude. In Ternopol, rund 360 Kilometer westlich von Kiew, wurde das Polizeihauptquartier in Brand gesetzt. In Stanislau und Lwiw (Lemberg) besetzten Demonstranten nach Angaben der Polizei mehrere Verwaltungsgebäude der Regionalregierung.
Gewalt und Gegengewalt
Mehrere westliche Politiker, darunter Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und US-Vizepräsident Joe Biden, zeigten sich entsetzt von der Entwicklung in der Ukraine und verlangten ein Ende der Eskalation.
Ähnlich äußerte sich auch Rinat Achmetow. Der Oligarch forderte Janukowitsch auf, die Gewalt einzustellen. "Es gibt keinen Umstand, der den Einsatz von Gewalt rechtfertigen würde. Das muss das Hauptziel für die Regierung, die Opposition und aller Konfliktparteien sein. Der Verlust von Menschenleben und das Leiden derartig vieler Aktivisten und der Sicherheitskräfte während der Unruhen ist kein akzeptabler Preis für politische Fehler", so Achmetow laut Interfax.
Seit Monaten protestieren Zehntausende Regierungsgegner in der Ukraine gegen die prorussische Politik von Präsident Janukowitsch. Sie fordern eine engere Anbindung an die Europäische Union. Nach Wochen relativer Ruhe war es bereits im Laufe des Dienstags zu schweren Straßenschlachten gekommen.
Der Tag ist der blutigste in der Geschichte des Landes: Seit Beginn der Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepublik vor mehr als 20 Jahren sind noch nie so viele Menschen durch Gewalt an einem Tag ums Leben gekommen.