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Wladimir Lukin: Putins Mann in Kiew

Foto: Jeff J Mitchell/ Getty Images

Jahrestag des Maidan-Aufstands "Im Palast herrschte Panik"

Es war ein Wendepunkt der Maidan-Revolution vor einem Jahr: Putins Sondergesandter Wladimir Lukin fand in Kiew eine Lösung für die verfahrene Lage - und unterschrieb den Kompromiss dann doch nicht. Jetzt verrät er, warum.

Am Nachmittag des 20. Februar 2014 klingelte bei Wladimir Lukin das Telefon. Am anderen Ende der Leitung: der Kreml. Lukin war damals russischer Menschenrechtsbeauftragter und 76 Jahre alt. Präsident Wladimir Putin persönlich bat ihn, als Sonderbotschafter zu den Verhandlungen nach Kiew zu reisen.

Dort versuchten der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, sein französischer Kollege Laurent Fabius und Radek Sikorski aus Polen, das Blutvergießen auf dem Maidan zu beenden. Sie berieten mit Vertretern von Regierung und Opposition. Mitten in der Nacht stieß Lukin dazu - mit dem Auftrag, den schwankenden ukrainischen Präsidenten Janukowytsch im Amt zu halten.

Zur Person
Foto: © Sergei Karpukhin / Reuters/ REUTERS

Wladimir Lukin, 77, ist ein erfahrener russischer Diplomat, unter anderem diente er als Botschafter in den USA. Er zählte in den Neunzigerjahren zu den Gründern der liberalen Jabloko-Partei. Im Westen genießt er hohes Ansehen, gleichzeitig vertraut ihm Wladimir Putin. Deswegen setzte ihn der russische Präsident in der heiklen Situation auf dem Maidan als Sonderbeauftragten ein.

SPIEGEL ONLINE: Welche Instruktionen hat Ihnen Putin gegeben?

Lukin: Für Russland war wichtig, die Beziehungen zwischen dem legitimen, aus Wahlen hervorgegangenen Präsidenten Wiktor Janukowytsch und der Opposition in Kiew so zu klären, dass das ungesetzliche Chaos auf der Straße aufhört. Als ich in Putins Arbeitszimmer vorgelassen wurde, telefonierte er gerade mit Angela Merkel.

SPIEGEL ONLINE: Worin sehen Sie die Ursache für die blutige Krise in der Ukraine, die zum Sturz von Präsident Janukowytsch führte?

Lukin: In der Ukraine war eine klassische revolutionäre Situation entstanden, die sich vor allem aus der Situation im Land erklärt. Die Menschen dort hatten aufgehört, an ihre Regierung zu glauben. Sie waren unzufrieden mit ihrem Leben und mit der bodenlosen Korruption.

SPIEGEL ONLINE: In Moskau wird oft behauptet, die lange Hand Amerikas stecke hinter dem Umsturz in Kiew, im Westen sehen viele Russland als Verantwortlichen für das Blutbad in Kiew.

Lukin: Ich glaube nicht an billige Verschwörungstheorien und auch nicht daran, dass der wichtigste Grund für den Maidan die geheimdienstlichen Tätigkeiten irgendwelcher westlicher, östlicher, nördlicher oder südlicher Mächte waren, die dann zum Sturz des Präsidenten führten. Natürlich hat man von außen versucht, die Situation für die eigenen Ziele auszunutzen. Die Protestbewegung nach der Absage von Präsident Janukowytsch an das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union ist schnell von radikalen Nationalisten gekapert worden.

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SPIEGEL ONLINE: Wie war die Atmosphäre im ukrainischen Präsidentenpalast, als Sie nach Mitternacht zu den Verhandlungen stießen?

Lukin: Ich würde von nur mühsam verborgener Panik sprechen.

SPIEGEL ONLINE: Warum haben Sie die Abmachung zwischen Präsident Janukowytsch und der Opposition paraphiert, aber dann nicht unterzeichnet?

Lukin: Ich paraphierte sie, weil ich sie in den frühen Morgenstunden des 21. Februar noch für ein gutes Kompromisspapier hielt, das den ukrainischen Präsidenten und die Maidan-Bewegung zu einer friedlichen Lösung verpflichtet, die eines demokratischen Landes würdig gewesen wäre. Schon am nächsten Tag verstand ich, dass Präsident Putin und Außenminister Sergej Lawrow mit ihrer Ablehnung vollkommen recht hatten.

SPIEGEL ONLINE: Weil Moskau über mehr Informationen verfügte als die westlichen Außenminister?

Lukin: Weil es so war, dass Janukowytsch unter dem Eindruck der Gerüchte und Informationen über einen Sturm der gewaltbereiten Maidan-Aktivisten die Koffer packte. Durch seine hastige Flucht und die revolutionären Handlungen der Opposition standen meine westlichen Kollegen im Nachhinein blamiert da. So als hätte man ihnen ins Gesicht gespuckt. Als Resultat haben wir heute einen brutalen, sinnlosen und brudermordenden Bürgerkrieg in der Ukraine.

SPIEGEL ONLINE: Der von Russland durch seine Unterstützung für die Separatisten geschürt wird, oder etwa nicht?

Lukin: Die verhängnisvollste Rolle spielte und spielt leider der Westen. Er versucht, mit EU und Nato die frühere Trennlinie in Europa zu verschieben - und zwar von der Elbe bis vor die Tore von Smolensk an unsere Westgrenze. Gleichzeitig schließt der Westen Russland aus diesem angeblichen Sicherheitssystem aus. Die Doktrin, Russland seiner historischen Einflusszone zu berauben, der Ukraine und am besten noch Weißrusslands, hat sich leider durchgesetzt gegenüber der Pariser Erklärung von 1990. Damals ging es darum, gemeinsam eine dauerhafte Friedensordnung in Europa zu schaffen. Michail Gorbatschow hat darauf jüngst in einem Interview mit dem SPIEGEL  hingewiesen. Vorschläge Moskaus, über ein zeitgemäßes europäisches Sicherheitssystem zu sprechen, wurden zurückgewiesen.

SPIEGEL ONLINE: War nicht ein Nato-Beitritt der Ukraine allenfalls eine ferne Perspektive?

Lukin: Zumindest hieß es auf dem Maidan: Wir wollen nach Europa, wir wollen in das Sicherheitssystem der Nato. Und die Nato hat schon auf ihrem Bukarester Gipfel im April 2008 von einer langfristigen Beitrittsperspektive für die Ukraine geredet. Wie eigentlich hätte Russland darauf reagieren sollen?

SPIEGEL ONLINE: Indem die Ukrainer selbst entscheiden.

Lukin: Ich habe bereits gesagt, dass das Vordringen der Nato, eine Osterweiterung nach der anderen, ein großer Fehler des Westens ist. In Russland hat unser instinktiver Verteidigungsreflex zu einer enormen Zunahme des Chauvinismus und Nationalismus geführt. Als wir in den Neunzigerjahren harte Wirtschaftsreformen durchgeführt haben, und es vielen Russen schlecht ging, hat die Außenpolitik des Westens diese Schwäche ausgenutzt, um Russland zu einer zweitrangigen Macht zu degradieren. Zu meinem großen Bedauern stellen viele in Russland heute unsere klare Zugehörigkeit zur europäischen Zivilisation in Frage.

SPIEGEL ONLINE: Wie ist Ihre Bilanz der Maidan-Revolution?

Lukin: Es war eine Revolution gegen Korruption und gegen Oligarchen. Aber wer ist heute an der Macht? Korrupte Oligarchen. Nationalisten aus dem Osten und Nationalisten aus dem Westen der Ukraine töten sich gegenseitig - und gleichzeitig viele Zivilisten.

SPIEGEL ONLINE: Wer ist schuld am Krieg in der Ostukraine?

Lukin: Alexander Solschenizyn hat Revolution definiert als "Chaos mit einer unsichtbaren Achse aus Stahl". In der Ukraine gab es aber zwei solcher Achsen, eine in Kiew und in der Westukraine sowie eine in der Ostukraine. Hier wie dort hatte man etwas gegen Korruption, aber sonst ganz andere Vorstellungen. Im Stile von Revolutionären haben sich die neuen Machthaber in Kiew beeilt, den ohnehin gegen sie eingestellten Osten mit abenteuerlich dummen Initiativen weiter gegen sich aufzubringen. Indem sie Moskau verteufelten, sind sie bei einem Großteil der Ostukrainer selbst zum Symbol des Bösen geworden. So ist die Ukraine in einen Bürgerkrieg gerutscht, der nur schwer zu beenden sein wird.

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