
Mali: Gefährlicher Militäreinsatz im Krisenland
Militäreinsatz in Westafrika Was Frankreich in Mali wirklich will
Berlin/Hamburg - Die Kämpfe im Norden Malis werden heftiger, die französischen Streitkräfte haben zuletzt neue Angriffe gegen islamistische Rebellen geflogen. Auch die Truppenpräsenz am Boden wird ausgebaut, derzeit sind französische Soldaten auf dem Weg in den Norden Malis. Noch ist völlig unklar, wie lange der Einsatz dauern wird. Mali wirkt derzeit wie ein völlig zerrüttetes Land ohne jegliche Ordnung. Ein Überblick zu den wichtigsten Fakten:
- Wie kam es zum Konflikt in Mali?
Mali galt jahrelang als Vorzeigedemokratie in Afrika, aber seit dem Putsch im März 2012 driftete das Land immer weiter ins Chaos: Soldaten stürzten damals Präsident Amadou Toumani Touré - sie rechtfertigten ihren Putsch damit, dass Touré dem Aufstand der Tuareg im Norden des Landes machtlos zugeschaut habe. Anfang April 2012 erklärten die Tuareg nach einer Reihe militärischer Erfolge ihr erobertes Gebiet für unabhängig. Die Tuareg, die jegliche staatliche Ordnung ablehnen, stießen mit diesem Plan aber auf Widerstand bei der früheren Kolonialmacht Frankreich sowie bei den Nachbarländern Malis. Ihre vorübergehend starke Rolle haben die Tuareg inzwischen eingebüßt, längst haben im Norden Malis islamistische Rebellen das Sagen. Zuletzt boten sich die Tuareg nun sogar als Verbündete Frankreichs im Kampf gegen die Islamisten an.
- Warum hat Frankreich so schnell in den Konflikt eingegriffen?
Frankreichs Alleingang in Mali hat eine lange Vorgeschichte. Seit Monaten schon drängt Paris auf dem internationalen Parkett erfolglos um eine multinationale Intervention in Mali, doch bisher konnte die Regierung von François Hollande dieses Ziel nicht erreichen - von rhetorischer Unterstützung durch EU und USA abgesehen. Als ehemalige Kolonialmacht fürchtet Paris nicht nur eine Gefahr für die rund 7000 in Mali lebenden Franzosen. Auch in Frankreich selber lebt eine große malische Gemeinde. Fiele nun der Norden Malis komplett an die Islamisten und entwickelte sich das Gebiet zu einem neuen Trainingslager von al-Qaida, müsste Frankreich auch im eigenen Land Anschläge und neue Terrorzellen fürchten. Die Regierung in Paris hat zuletzt die Sicherheitsvorkehrungen im eigenen Land erhöht. Man müsse angesichts der terroristischen Bedrohung alle "notwendigen Vorkehrungen" treffen, erklärte Hollande. Entsprechend wurden Schutz und Überwachung von Regierungsgebäuden verstärkt, auch der öffentliche Nahverkehr wird stärker überwacht.
- Welche Rolle spielen Bodenschätze?
Daneben verfolgt Paris aber auch wirtschaftliche Interessen. So liegen rund um Nordmali viele der von Frankreich ausgebeuteten Uranminen, die das Land dringend für seine Atomkraftwerke braucht. Der staatliche französische Atomkonzern Areva fördert Uran in Malis Nachbarland Niger, das inzwischen der größte Uranproduzent des Kontinents ist. Auch in Mali selbst wurde Uran gefunden. Die atomare Unabhängigkeit ist in Frankreich mehr oder minder eine Frage der Staatsräson und ganz oben auf der Agenda jeder Regierung. Entsprechend kam in den vergangenen Tagen bei Kritikern der französischen Intervention schnell der Verdacht auf, es gehe Paris nicht allein um die Bekämpfung von Terroristen. Das militärische Engagement Frankreichs diene "auch der Sicherung seiner eigenen Energieversorgung mit preiswertem Uran aus Malis Nachbarland Niger", erklärte etwa die Gesellschaft für bedrohte Völker.
- Wer sind die Rebellen?
Die selbsternannten Rebellen haben in den vergangenen Monaten einen regelrechten Siegeszug hingelegt, sie nutzten das Machtvakuum in dem westafrikanischen Staat geschickt aus. Zunächst zettelten Tuareg-Milizen gemeinsam mit einigen islamistischen Gruppen eine Revolution an. Dabei halfen ihnen Waffen aus den Depots des gestürzten libyschen Despoten Muammar al-Gaddafi, die schwache malische Armee war binnen weniger Tage aus den drei nordmalischen Zentren Timbuktu, Gao und Kidal vertrieben.
Die Allianz zwischen den Tuareg und den Islamisten der Gruppe Ansar al-Din ("Verteidiger des Glaubens") sowie der eng mit dem Terrornetz al-Qaida verbundenen Gruppe Mujao ("Bewegung für Einheit und den Dschihad in Westafrika") hielt nicht lange. Durch ihre Kampferfahrungen übernahmen die Islamisten kurz nach der Revolution in Nordmali das Kommando, verjagten ihre einstigen Tuareg-Verbündeten aus den Städten und etablierten einen fundamentalistischen Gottesstaat nach dem Vorbild der afghanischen Taliban. Statt Richter fällen nun Geistliche vor Standgerichten Todesurteile gegen vermeintliche Gotteslästerer, amputieren Dieben die Hände und verfolgen Frauen, die sich gegen Zwangsheiraten wehren wollen.
Derzeit boomt in dem Land der Waffenmarkt, in keiner anderen Region der Welt sind moderne Boden-Luft-Raketen oder Sturmgewehre so günstig zu haben wie im Norden Malis. Nachrichtendienste gaben die Zahl der Kämpfer der Islamisten zuletzt meist mit etwa 2000 an, allerdings zieht der Gottesstaat seit Monaten Dschihad-Rekruten aus aller Welt an. Nach der Intervention der Franzosen dürften Reisen von Terror-Touristen in die Krisenzone noch attraktiver werden. Zu militärischen Großoperationen sind die Kämpfer zwar wohl nicht in der Lage, doch gegen die mit ihren Pick-ups sehr mobile Kleinarmee ist ein Krieg mehr als schwierig.
- Wie steht es um die Wirtschaft in Mali?
Mali gilt als eines der ärmsten Länder der Erde, für den Anbau etwa von Reis und Gemüse ist der Boden häufig zu trocken, ein Großteil der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Mali verfügt aber über zahlreiche Bodenschätze, die meisten von ihnen sind noch nicht erschlossen. So soll es in dem Land neben Uran unter anderem auch Erdöl, Erdgas, Gold, Diamanten und Kupfer geben. Internationale Unternehmen sind schon seit längerem in Mali aktiv, um die begehrten Rohstoffe zu finden.
- Warum ist das malische Militär so schwach?
Das malische Militär, da sind sich die westlichen Regierungen und Geheimdienste einig, ist in einem desolaten Zustand. Seit Jahren schon wurde die Ausbildung und die Ausrüstung der Streitkräfte völlig vernachlässigt. Zwar betätigen sich die hohen Generäle kräftig am Machtpoker in der Hauptstadt Bamako, die Soldaten jedoch desertierten in den vergangenen Jahren massiv, auch wegen einer geringen Bezahlung von umgerechnet fünf Dollar pro Monat für die unteren Dienstränge.
Militärisch besitzt die Armee fast gar keine Schlagkraft und verfügt laut dem amtierenden Verteidigungsminister nur über 200 geländefähige Fahrzeuge, einige altersschwache Panzer aus DDR-Beständen und kaum schwere Waffen. Die Luftwaffe ist völlig auseinandergefallen, von vier noch vorhandenen Hubschraubern sind nur zwei einsatzfähig, Lufttransportfähigkeiten sind gar nicht vorhanden.
Am Beispiel Mali zeigt sich auch, dass die Militärhilfe aus dem Ausland inklusive der Ausbildung von Offizieren in den USA oder Europa wenig gebracht hat. Ziel solcher Missionen ist es, besonders aufstrebende Offiziere an demokratische Werte heranzuführen. Im Fall von Mali jedoch war es vor allem der in den USA ausgebildete Hauptmann Sanogo, der im März 2012 ein politisches Vakuum für einen Militärputsch ausnutzte und sich selbst kurzzeitig als Präsident krönte.
- Wie sehen die militärischen Pläne aus?
Am vergangenen Freitag startete Frankreich überraschend seinen militärischen Alleingang in seiner früheren Kolonie und erhält dafür inzwischen logistische Unterstützung von mehreren Ländern, unter anderem von Großbritannien und den USA. Die Regierung in Paris strebt ein rasches Ende des Einsatzes an - doch ob dies gelingt, darf bezweifelt werden: Das französische Verteidigungsministerium plant mehreren Berichten zufolge die Entsendung von bis zu 2500 Soldaten, Präsident François Hollande hatte zuvor von 750 Soldaten gesprochen. Zudem verlegte Frankreich zuletzt rund 30 Panzer aus der Elfenbeinküste nach Mali. Ein Indiz dafür, dass die Angriffe mit Kampfflugzeugen allein nicht ausreichen, um die gut ausgerüsteten Rebellen zurückzudrängen.
Noch ist Frankreich allein an der Front, geplant ist allerdings ein vom Uno-Sicherheitsrat genehmigter Einsatz von 3300 Soldaten der westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas. Die EU will den Einsatz mit einer militärischen Ausbildungstruppe unterstützen. Experten rechnen allerdings damit, dass die Operation in dem Krisenland nicht vor dem Herbst beginnen kann, möglicherweise sogar erst später.
- Welche Rolle spielt Deutschland?
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat mehrfach betont, dass Deutschland keine Kampftruppen nach Mali schicken wird. Man werde aber mit Frankreich besprechen, "welche Unterstützung politisch, logistisch, medizinisch und humanitär sinnvoll ist". In Berlin kündigten Westerwelle und Verteidigungsminister Thomas de Maiziére mittlerweile an, dass zwei Transall-Maschinen der Bundeswehr Ecowas-Soldaten nach Mali transportieren sollen.