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Erdogan: Viele Fragen rund um den Schwiegersohn

Foto: OZAN KOSE/ AFP

"Malta Files" Erdogans Schwiegersohn und die Millionen in Dubai

Der Fall ist ein Lehrstück über das Verhältnis von Politik und Kapital im Staat Erdogan. Der Schwiegersohn des türkischen Präsidenten wollte als Konzernchef Millionen an Steuern sparen. Nach dem Wechsel in die Politik gelang das.

Sie sind aus dem ganzen Land angereist, aus Istanbul und Izmir, vom Schwarzen Meer und aus den Kurdengebieten. Tausende Menschen haben dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ankara zugejubelt, als der am Sonntag nach fast drei Jahren an die Spitze der AKP zurückkehrte.

Neben Erdogan auf der Bühne stand ein Mann, der ebenfalls noch viel vor hat: Berat Albayrak, Energieminister und, noch wichtiger, Ehemann von Erdogans ältester Tochter. Er gilt als Kronprinz, als jener Politiker, der Erdogan eines Tages beerben könnte.

Nun jedoch sind im Zuge der Enthüllung um die "Malta Files" Dokumente aufgetaucht, die Albayrak schwer belasten. Sie dokumentieren, wie der Schwiegersohn des Präsidenten geplant hat, Steuerzahlungen in Millionenhöhe zu umgehen. Der Fall ist ein Lehrstück über das Verhältnis zwischen Politik und Kapital im Staat Erdogan.

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Erdogan: Viele Fragen rund um den Schwiegersohn

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Es beginnt im Jahr 2011. Berat Albayrak ist da bereits einer der mächtigsten Männer der Türkei. Er führt seit vier Jahren die Çalik-Holding, einen der größten Mischkonzerne des Landes, dessen Medien, wie die Tageszeitung "Sabah", ungehemmt Propaganda für die Regierung Erdogan betreiben. Und er ist mit Esra Erdogan verheiratet, der ältesten Tochter des Präsidenten.

Kompliziertes Offshore-Konstrukt

Doch Albayrak, damals 33 Jahre alt, steht vor einem Problem: Sein Unternehmen hat Millionen Euro in Dubai gebunkert. Er will das Geld in die Türkei bringen, ohne dafür, wie es das Gesetz verlangt, 20 Prozent Steuern an den türkischen Staat zu bezahlen. Er beauftragt Safak Karaaslan, der bei Çalik für das Auslandsgeschäft zuständig ist, eine Lösung zu finden.

Karaaslan entwirft ein kompliziertes Offshore-Konstrukt, das sich über mehrere Länder erstreckt und das sich nun mithilfe der "Malta Files", die dem SPIEGEL und seinen Partnern aus dem European Investigative Collaboration-Netzwerk (EIC) vorliegen, erstmals nachvollziehen lässt.

Die Çalik-Gruppe will die Dubai-Millionen demnach zunächst auf Firmenkonten auf Malta verschieben. Die maltesischen Behörden besteuern derartige Transaktionen zwar offiziell mit 35 Prozent, zahlen jedoch 80 Prozent des Betrags zurück, wenn die Eigentümer nicht dauerhaft auf Malta leben und keine Geschäfte auf der Insel betreiben.

Das Geld soll anschließend steuerfrei von Malta nach Schweden transferiert werden - unter dem Vorwand, Çalik habe bereits 35 Prozent Steuern auf Malta bezahlt. Das türkische Finanzamt, so das Kalkül, würde keinen Verdacht schöpfen, wenn die Dubai-Millionen dann im letzten Schritt aus Schweden, einem EU-Musterstaat mit einer strikten Steuerpolitik, in die Türkei geschafft würden.

Das Manöver ist damals selbst innerhalb des Çalik-Konzerns umstritten. Ein Mitarbeiter aus Dubai warnt in einer Mail an Albayrak vor einem "System, das auf Täuschung basiert". Karaaslan eröffnet 2012 trotzdem vier Tarnfirmen in Schweden. Und ein Jahr später acht auf Malta. Heute erklärt die Çalik-Gruppe auf Nachfrage, niemals an illegalen Aktivitäten beteiligt gewesen zu sein. Albayrak selbst will sich nicht zu den Vorwürfen äußern.

Çalik lässt Gesetze schreiben

Dass Albayrak den Steuervermeidungsplan letztlich nicht umsetzt, hat mit seinen politischen Ambitionen zu tun. Denn Ende 2013 verlässt er die Calik-Gruppe, um für die Regierungspartei AKP bei der Parlamentswahl im Juni 2015 als Abgeordneter zu kandidieren. Fünf Monate später wird er Energieminister.

Die Calik-Holding muss nun keine Gesetze mehr umgehen. Sie lässt einfach neue Gesetze schreiben.

Im Frühjahr 2016 wirbt Çalik-Mann Karaaslan in einer E-Mail an Albayrak für ein Gesetz zur Steueramnestie. Die Zeit sei günstig. Die USA hätten sich gerade einem internationalen Anti-Geldwäsche-Abkommen verweigert, schreibt er. Einen Monat später schickt Karaaslan einen fertigen Gesetzentwurf an Albayrak. Auch einen Titel schlägt er vor: "Vermögensfrieden".

Die Reform sieht vor, dass Firmen oder Privatpersonen bis Ende 2016 Geld in beliebig hohen Summen in die Türkei zurückführen können. Kapitaleigner sollen Dritte mit Transfers beauftragen können. Die Behörden dürften weder Fragen stellen noch mögliche Rechtsbrüche ermitteln. Die Çalik-Holding könnte die Dubai-Millionen steuerfrei und ganz legal in die Türkei schaffen.

Der Text ist eine implizite Anleitung zum Steuerbetrug. In einer funktionierenden Demokratie hätte er wenig Chancen, Gesetz zu werden. Doch die Türkei ist zu diesem Zeitpunkt längst keine funktionierende Demokratie mehr. Die Frage, wer wen kennt, und wer wem nützt, ist wichtiger als das Recht.

"Vermögensfrieden" wird durchgewinkt

Albayrak ist von Karaaslans Vorschlag angetan. Er tauscht sich darüber mit dem Finanzminister aus, überarbeitet den Gesetzentwurf geringfügig und schickt ihn zur Abstimmung zurück an seinen ehemaligen Geschäftspartner. "Finale Version. Ist sie okay?", schreibt er in der E-Mail vom 21. Juni.

Premier Binali Yildirim bringt das Gesetz zwei Tage später ins Parlament ein. Die Opposition rebelliert. Sie fürchtet, die Reform würde Geldwäsche faktisch legalisieren, und droht damit, das Gesetz zu blockieren. "Unsere Wirtschaft ist im Niedergang begriffen", sagt Mehmet Bekaroglu, Abgeordneter der Republikanischen Volkspartei (CHP). "Die Regierung versucht überall Geld aufzutreiben."

Die AKP lenkt zunächst ein und zieht die "Vermögensfrieden"-Klausel am 14. Juli zurück. Am nächsten Tag jedoch putschen Teile des Militärs gegen die Regierung. Im Land herrscht Chaos. Tausende Menschen werden verhaftet. Das Parlament ist damit beschäftigt, Notstandsdekrete zu verabschieden. Und so winken die Abgeordneten am 22. Juli die Reform zur Steueramnestie in leicht überarbeiteter Form durch.

Einen Monat später unterschreibt Erdogan das Gesetz. Çaliks "Vermögensfrieden" ist nun gültiges Recht.


Sehen Sie zum Thema "Malta Files" auch einen Beitrag im ZDF-Magazin "Frontal 21", am Dienstag um 21 Uhr.

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