
Von Kurden erobertes Manbidsch Der IS ist geflohen, die Angst bleibt

Monzer al-Sallal
Foto: Mohannad al-Najjar
Hassan al-Naifi
Foto: Mohannad al-Najjar

Schirwan Derwisch
Foto: YPGAller Jubel war echt. Die Bilder begeisterter Frauen, die bewaffneten Männern in die Arme fielen, die Jubelschreie, als die nordsyrische Stadt Manbidsch vor einer Woche vom Terrorregime des "Islamischen Staates" (IS) befreit wurde. Es wurden Bärte abrasiert, Zigaretten geraucht und Schleier verbrannt.
Nur ein kleines Detail war auffällig: In mehreren der Videos sprachen sowohl Befreier wie Befreite kurdisch. Manbidsch aber, wo einst 150.000 Menschen lebten, war stets zu etwa 80 Prozent arabisch, mit kleinen kurdischen, turkmenischen und tscherkessischen Minderheiten gewesen.
Doch die Befreier von Manbidsch waren kurdische Milizionäre der "Syrian Democratic Forces" (SDF), die mit massiver amerikanischer Luftunterstützung nach mehreren Wochen heftiger Kämpfe die Stadt einnahmen. Es gibt ein paar arabische Gruppen in der SDF. Aber die überwiegende Mehrheit der Kämpfer und die gesamte Kommandoebene sind Kurden. Sie gehören zur selben straff organisierten Kadertruppe, die in Syrien als YPG und in der Türkei als PKK firmiert. Sie agieren stets unter dem Porträt ihres kultisch verehrten Führers Abdullah Öcalan.
Die Fotos und Videos aus Manbidsch, der Zugang, wer überhaupt dorthin kommen konnte - alles wird von der neuen Macht kontrolliert. Plötzlich gibt es einen neuen kurdischen Militärrat und Stadtrat, obwohl Manbidsch vor der IS-Schreckenszeit anderthalb Jahre lang von einem gewählten Stadtrat verwaltet wurde. Auf vielen zentralen Gebäuden steht nun "YPG" gesprüht. Das Image von der Befreiung, es ist nur das halbe Bild der Wirklichkeit.
Video: Jubel in Manbidsch
'Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!'
"Wir wollten zurück nach Hause", erzählt Monzer al-Sallal, die führende Figur des alten Stadtrats, "unser Haus zurückhaben, das der IS beschlagnahmt hatte nach der Eroberung der Stadt im Januar 2014. Aber als Verwandte von uns jetzt dorthin fuhren, hatte die SDF es schon requiriert. 'Das gehört den Sallals? Die sind gegen uns, also gehört uns das jetzt', war deren Auskunft."
Monzer al-Sallal
Foto: Mohannad al-NajjarAuch der prominente Anwalt und Schriftsteller Hassan al-Naifi, der unter Assad 15 Jahre im Gefängnis verbracht hatte, kann nicht zurückkommen: "Mein Bruder und dessen Familie waren in Manbidsch geblieben. Als der IS abzog, nahm er sie als Geiseln mit, ließ sie frei in einem Dorf nahe ihrer letzten Hochburg Jarablus. Jetzt wollen sie zurück, aber die SDF lässt sie nicht. Sie sagt, die Strecke sei vermint."
Hassan al-Naifi
Foto: Mohannad al-NajjarMit den anderen Mitgliedern des Stadtrats habe er der SDF angeboten, zu kooperieren. Aber das sei abgelehnt worden. "Die wollen alleine herrschen nach dem Motto: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns! Manbidsch gehöre zu ihrem kurdischen Staat, sagen sie. Wir haben die Amerikaner um Hilfe gebeten, aber die haben abgewunken. Sie bräuchten die SDF, um den IS zu bekämpfen und könnten im Moment keinerlei Druck ausüben."
Es ist die topographische Tücke Nordsyriens, die auch nach der Vertreibung des IS dort keine Ruhe einkehren lassen wird - völlig unabhängig vom Krieg zwischen Assads Regime und Rebellen. Seit jeher hat es an der türkischen Grenze drei getrennte kurdische Gebiete gegeben: Afrin ganz im Westen, Kobane in der Mitte, Kamischli im Osten. Dazwischen liegen arabisch-sunnitische Städte und Dörfer.
Seit Beginn des syrischen Aufstands 2011 hat die YPG/PKK im Zickzackkurs mal mit Assad-Regime, mal mit den Rebellen kooperiert, sich sowohl den USA wie Russland als Verbündeten empfohlen. Mit Erfolg: Mittlerweile hat sie im Nordwesten Assads Truppen geholfen, mit russischer Luftunterstützung den Belagerungsring um Aleppo zu schließen. Im Nordosten leisten amerikanische Bombardements entscheidende Hilfe beim Vormarsch gegen den IS.
Alles gilt dem einem Ziel: aus ihren drei getrennten kurdischen "Kantonen" ein zusammenhängendes Areal zu machen, "Rojava", Westkurdistan, möglichst als eigenen Staat. Nur müssen dafür die bisherigen arabischen Nachbarn überzeugt, unterworfen oder vertrieben werden.
Rabiater Machtanspruch
Schon im vergangenen Herbst berichtete die Menschenrechtsorganisation Amnesty International von systematische Vertreibungen und der Zerstörung arabischer Dörfer in den von kurdischen Milizen eroberten Gebieten. Tage vor der Befreiung von Manbidsch zwangen kurdische Einheiten die Bewohner acht umliegender Dörfer, diese zu verlassen. Würden sie dem Befehl nicht gehorchen, drohten die Milizionäre, dann kämen die Jets der Koalition, das Dorf einzuäschern, berichten geflohene Bewohner.
Auch nach innen wird die Partei rabiater in ihrem Machtanspruch. Nach dem Sieg in Manbidsch begann in anderen Orten eine Verhaftungswelle unter syrisch-kurdischen Politikern und Journalisten, die sich dem Monopolanspruch der YPG bislang widersetzten. In Hassaka und Kamischli wurden Dutzende Männer von Asaisch, dem YPG-Geheimdienst, festgenommen. Der prominenteste unter ihnen, Ibrahim Biro, wurde nach mehreren Stunden in den Irak deportiert. Käme er je nach Syrien zurück, so die Drohung der Geheimdienstler, würden sie ihn töten.
In Manbidsch fühlen sich die neuen Herrscher missverstanden. "Mich hat noch niemand kontaktiert, der nicht zurückdarf", so der Sprecher des neuen SDF-Militärrates, Schirwan Darwisch: "Die Dorfbewohner wurden von uns evakuiert - aber nur zu ihrem eigenen Schutz."
Schirwan Derwisch
Foto: YPGZur Kernfrage allerdings, ob die YPG sich nach ihrem Sieg wieder aus Manbidsch zurückziehen werde, was ein US-Regierungsvertreter schon im Juni versprochen hatte, fällt die Antwort vage aus: "Darüber werden wir reden, wenn wir unsere Kampagne abgeschlossen haben."
Zusammengefasst: Der Jubel war gewaltig, als die syrische Stadt Manbidsch zuletzt aus der Gewalt des IS befreit wurde. Doch nun folgt die Ernüchterung, viele hadern mit dem Verhalten der kurdischen Befreier. Diese streben ein zusammenhängendes Gebiet Westkurdistan im Norden Syriens an. Gerade die arabischen Bewohner berichten von Fehlverhalten und fürchten noch weitere Schikane.
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