Wahlkampf in Frankreich Le Pen rächt sich an Sarkozy
Für Marine Le Pen ist es ein Moment süßer Revanche: "Ich werde einen leeren Stimmzettel abgeben", ruft sie den Anhängern der Front National (FN) zu und gibt damit die Richtung vor, wen diese am Sonntag bei der Stichwahl ins Amt des Präsidenten wählen sollen.
Le Pens diskreter Hinweis zielt auf die Demontage des amtierenden Präsidenten - denn Nicolas Sarkozy hatte während des Wahlkampfs kräftig in den Lieblingsthemen der FN gewildert, während Le Pen dafür Schelte von dessen Partei bekam. Es gilt als sicher, dass Sarkozys Partei, die "Union pour un Mouvement Populaire" (UMP) nach einer Niederlage in Gaullisten, Konservative, Liberale und Zentrumspolitiker auseinanderfallen wird.
Für die FN-Chefin böte die Implosion der UMP die einmalige Gelegenheit als Leitfigur einer neuen Sammlungsbewegung bei den Parlamentswahlen anzutreten, um Frankreichs Rechte unter ihrer Führung zu vereinen. Dafür wäre die 43-jährige Tochter des Parteigründers Jean-Marie Le Pen sogar bereit, auf den Namen Front National zu verzichten. Und der neue Name steht schon fest: Allianz für eine nationale Sammlungsbewegung.

Präsidentschafts-Wahlkampf: Marine Le Pen plant neuen rechten Zusammenschluss
Seit dem ersten Wahlgang vor einer Woche sieht Marine Le Pen ihre Partei auf dem Weg zur Macht. Die Feinde sind ausgemacht: Oligarchie, Kommunisten, Multis und reichen Bosse des Unternehmerverbands wie deren politischen Vertreter.
Egal, wer am Sonntag zum Präsidenten gewählt würde - François Hollande oder Sarkozy - wäre als Präsident nicht mehr als "ein Angestellter des Währungsfonds, ein Befehlsempfänger der Europäischen Zentralbank und beauftragt seinen Tätigkeitsbericht bei der deutschen Kanzlerin Madame Merkel vorzulegen", wettert Le Pen. Bei solchen Kandidaten bestehe nur die "Illusion der Wahl", ein Patriot dürfe nicht für sie votieren. "Ihr seid freie Bürger, ihr werdet euch frei entscheiden", sagt Le Pen.
Die alten Herren sind in Anzug und Krawatte erschienen, die weißhaarigen Damen im Kostüm. Dazwischen junges Volk in Lederkluft, dazu gebeugte Militärs, das Revers ordengeschmückt, auf dem Kopf das Béret mit der Spange der Fallschirmspringer. Trikoloren, Transparente, die das Wahlergebnis ausweisen: "Vogesen 24,11 Prozent". Gewählte Volksvertreter treten an mit Schärpe, die sie als Regionalrat oder Bürgermeister ausweisen, eine Abordnung von Schülern und Schülerinnen haben sich T-Shirts übergestreift: "Stolz und stark Franzose zu sein."
Das jährliche Treffen von Frankreichs Rechtsradikalen beginnt an diesem Feiertag vor dem Louvre. Während gleichzeitig die Gewerkschaften zur machtvollen Demonstration durch die Stadt aufbrechen und Präsident Nicolas Sarkozy zur "großen Versammlung für die Arbeit" gegenüber vom Eiffelturm einlädt, zieht der FN vor das goldene Standbild der Jungfrau von Orléans - vor dem Reiterdenkmal legt die Führung ein Gebinde nieder, der Moment der Besinnung geht in lautstarken Parolen unter: "Wir sind bei uns", skandiert die FN-Jugend und: "Sarko, du bist raus, der FN kommt aus dem Haus."
Der Aufmarsch vor der Nationalheiligen gehört seit 1988 zu den Traditionsterminen des FN. Parteigründer Jean-Marie Le Pen, 83, Algerienkämpfer, Antisemit, vielfacher Präsidentschaftskandidat und Kenner von Frankreichs mythenreicher Geschichte, vereinnahmte die sagenumwobene Heilige - seit ihrem Feldzug gegen die Engländer 1429 Sinnbild der Nation - und erhob sie zur Galionsfigur der Rechten. "Sie ist hier um uns zu sagen, dass wir einer Gemeinschaft angehören, die uns alleine gehört", erklärt einer von Le Pens Mitstreitern.
Lange versammelte der Zug von den Tuilerien-Gärten bis zur Pariser Oper nur dieselbe Klientel von Militärs, extremistischen Skinheads und nostalgischen Restposten aus der Ära der Kolonialherrschaft. Seit Marine Le Pen von ihrem Vater die Führung übernahm, versuchte die gelernte Anwältin die rechtsextreme Formation auf einen rhetorisch weniger aggressiven Kurs zu bringen. Nach Jahrzehnten des polternden Rassismus, der ihrem Vater mehrere Verurteilungen einbrachte, die Partei jedoch in der Schmuddelecke des Rechtsextremismus isolierte, verordnete sie dem FN eine ideologische Runderneuerung. "Das war nötig", sagt Gérard Ciammi, seit 20 Jahren Kader im Departement Aude. Der 68-jährige angehender Kandidat der Parlamentswahlen im Juni weiß aus eigener Erfahrung: "Man wird ja sonst so leicht missverstanden."
Inzwischen hat der FN den islamischen Fundamentalismus als Hauptfeind ausgemacht, die Kräfte der Liberalisierung und die Technokraten der Brüsseler Institutionen. Damit erweiterte Marine Le Pen das rassistische Schmalspurprofil um eine national-protektionistische Aufgabe: Der FN gibt sich jetzt als Partei der Arbeiter und kleinen Angestellten in beinahe klassenkämpferischen Parolen.
Das wird auch vor dem Louvre deutlich: Dort drängen sich Landwirte, Arbeiter, Angestellte in Rente aus den vernachlässigten Regionen Frankreichs. Drillich, Kampfanzug und Runenschrift sind inzwischen tabu, FN-Kader wurden ausgemustert, die beim "Hitlergruß" ertappt wurden. Die Skins geben sich zivil, der Sicherheitsdienst tritt in schwarzen Anzügen auf. Respektabilität ist Trumpf.
Das gilt auch für den Diskurs von Marine Le Pen. Die FN-Frau, die bei der ersten Runde der Präsidentenwahl knapp 18 Prozent der Stimmen erreichte, will ihre Formation salonfähig machen. Sie spricht von Freiheit, Würde und sozialer Gerechtigkeit, nachdem Vater Le Pen seine Hommage an die Heilige Jeanne d'Arc vorbringen durfte. "Frankreich ist bedroht, wie zu Zeiten von Jeanne", wettert der Alte und bringt ein Hoch aus, auf Frankreich und seine Tochter Marine. Die Anhänger der Hoffnungsträgerin sehen die Republik bereits erfasst von einer "marineblauen Woge".