Bewerbung ums höchste EU-Amt Der doppelte Schulz

Sozialdemokrat Martin Schulz: Umstrittene Doppelrolle
Foto: Patrick Seeger/ dpaWenn die Europäer Ende Mai ihr Kreuz gemacht haben, beginnt in Brüssel das große Pokern. Dann müssen sich das EU-Parlament und Staats- und Regierungschefs auf die Besetzung des Top-Postens einigen: den Präsidenten der EU-Kommission. Die Frage ist, ob wirklich einer der Spitzenkandidaten der Parteien, darunter für die Sozialdemokraten der Deutsche Martin Schulz, das einflussreiche Amt bekommt.
Dessen Nominierung soll im Licht des Parlaments-Wahlergebnisses erfolgen, so sehen es die europäischen Verträge vor. Doch was das genau bedeutet, kann mangels Präzedenzfall bislang niemand völlig schlüssig erklären.
Fest steht nur: Die Fraktionsvorsitzenden des alten EU-Parlaments werden sich am 27. Mai um 11.30 Uhr treffen, um erstmals die Lage zu sondieren. Vorstehen soll der Runde niemand Geringerer als Martin Schulz. In seiner bisherigen Rolle als Parlamentspräsident könnte der SPD-Spitzenkandidat also an zentraler Stelle über die mögliche eigene berufliche Zukunft diskutieren. Nach jetziger Planung will Schulz persönlich den Präsidenten des Europäischen Rats, Herman Van Rompuy, über den Inhalt des Treffens informieren, bevor der Rat später am Tag seine eigenen Konsultationen aufnimmt.
"Er kann nicht im Ernst glauben, dass er damit durchkommt"
Schulz' politischen Konkurrenten stößt dies übel auf. Sie kritisieren seit längerem, der Sozialdemokrat hätte schon zu Beginn seiner Kandidatur als Parlamentspräsident zurücktreten müssen und missbrauche sein Amt im Wahlkampf. Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, schimpft: "Es ist nach den Gepflogenheiten einer parlamentarischen Demokratie unvorstellbar, dass eine Person, die selbst Kandidat ist, eine Sitzung leitet, wo die Mehrheitsfindung für einen Kandidaten sondiert oder gar schon organisiert wird."
Sein CSU-Kollege Markus Ferber sagt: "Schulz kann nicht im Ernst glauben, dass er damit auch noch durchkommt." Vor wenigen Wochen hatte es schon einmal Vorwürfe gegen Schulz gegeben. Da ging es um die Handhabung seines Twitter-Kontos und angebliche Gefälligkeiten für Mitarbeiter.
Die Aufregung in der Union ist jetzt auch so groß, weil ihr eigener Spitzenkandidat Jean-Claude Juncker - unter Konservativen ohnehin umstritten - der illustren Sondierungsrunde nicht angehören wird, anders als etwa der Spitzenkandidat der europäischen Liberalen, Guy Verhofstadt. Doch auch Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Spitzenkandidat bei den Europawahlen, warnt: "Ich würde Schulz in dieser Rolle keinen Millimeter über den Weg trauen. Er muss dann ja eigentlich zwangsläufig in eigener Sache sprechen, obwohl er doch eigentlich die Institution vertreten soll."
Belgische Lösung?
Der Parteienzank hat einen ernsteren institutionellen Hintergrund: Unter Europas Staats- und Regierungschefs, allen voran bei Kanzlerin Angela Merkel, besteht nach wie vor Skepsis angesichts der neuen starken Rolle der europäischen Spitzenkandidaten. Noch ist keineswegs klar, ob die Staatenlenker nicht doch noch eigene Kompromiss-Kandidaten im kleinen Kreis durchsetzen wollen.
Auch gibt es in Brüssel bereits Auseinandersetzungen darüber, ob das Parlament oder der Europäische Rat nach der Wahl das Vorschlagsrecht für den Top-Posten der Kommission unterbreiten darf. Zeigt sich das Parlament nun zerstritten, mindert es seinen Einfluss in diesem Institutionenkonflikt, fürchten Brüsseler Beobachter.
Doch es lockt ein Ausweg, für den sich Kandidat Schulz aber zurücknehmen und von seiner Wahlheimat Belgien inspirieren lassen müsste. Wenn dort Koalitionsverhandlungen anstehen, ernennt der König einen sogenannten Informateur, der neutral zwischen den Parteien auslotet, wo sich Mehrheiten finden lassen. Nun könnte auch das Europäische Parlament einen Informateur bestellen, der unter den Staats-und Regierungschefs sowie im Parlament die Chancen der Anwärter für den EU-Kommissionsvorsitz sondieren soll.
Freilich sollte die EU sich nicht zu sehr am belgischen Vorbild orientieren. In dem Land dauert die Regierungsbildung bisweilen Monate oder gar Jahre.