
Massenproteste nach Anschlag Libanons Tag des Zorns auf Assad
- • Libanon: Rätselraten über Bombenanschlag in Beirut
- • Unruhe in Libanon: Ministerpräsident Mikati bietet Rücktritt an
Hunderttausende Demonstranten werden erwartet, wenn Wissam al-Hassan am Sonntag zu Grabe getragen wird. Die libanesische Opposition hat zu einem "Tag des Zorns" aufgerufen. Hassan, Chef der Aufklärungsabteilung der libanesischen Polizei, starb am Freitag in Beirut bei einer gigantischen Explosion, die noch Hunderte Meter entfernt die Fensterscheiben zerstörte.
Der Tod Hassans hat den Libanon tief erschüttert. Bereits am Samstag zogen die Menschen in Scharen auf die Straßen. Sie steckten Mülltonnen in Brand und blockierten immer wieder wichtige Verkehrsadern in Beirut und Tripoli. Zwei Menschen wurden durch Schüsse von Soldaten verletzt. Auch die Politik reagiert: Das Kabinett unter Premier Nadschib Mikati bot seinen Rücktritt an, noch ist dieser jedoch nicht wirksam. In der Nacht zum Sonntag telefonierte Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon mit Präsident Michel Suleiman und sicherte dem Libanon Unterstützung zu.
Für die libanesische Opposition besteht kein Zweifel daran, wer für den Tod Hassans verantwortlich ist: das syrische Regime von Baschar al-Assad. Hassan galt als einer der wichtigsten libanesischen Gegenspieler von Damaskus. Seine Aufklärungsabteilung der Polizei wurde 2005 ins Leben gerufen als Gegengewicht zur libanesischen Militärpolizei. Diese gilt als verlängerter Arm Assads.
Der Anschlag, bei dem Hassan starb, war ein perfides und gründlich organisiertes Attentat. Mitten im belebten Stadtviertel Aschrafieh ging die Autobombe hoch - nur zehn Stunden nachdem Hassan aus Paris zurückgekehrt war. Die Attentäter hatten offenbar jeden Schritt genau überwacht.
Der Libanese hatte auf dem Rückweg von einem Treffen in Berlin mit deutschen Sicherheitsexperten seine Familie in Paris besucht, die aus Sicherheitsgründen nach Frankreich ziehen musste. Kaum jemand wusste im Libanon darüber Bescheid, dass Hassan zum Zeitpunkt des Anschlags bereits aus Europa zurückgekehrt war.
Hassan hatte viele Feinde
Im Laufe seiner Karriere hatte Hassan einige Erfolge verbucht - und sich viele Feinde gemacht. So deckte der Sicherheitsexperte radikal-islamistische Terrorzellen im Libanon auf, ein israelisches Spionagenetzwerk und zuletzt syrische Anschlagspläne: Michel Samaha, ein libanesischer Ex-Minister und enger Vertrauter Assads, hatte Sprengstoff ins Land geschmuggelt, um nach eigener Aussage Attentate im Auftrag von Damaskus auszuführen. Der Prozess rund um syrische Anschlagspläne im Libanon, den Hassan anstieß, gilt als besondere Blamage für Damaskus.
Hassan soll am Sonntag auf dem Märtyrerplatz mitten in Beirut neben Rafik Hariri beerdigt werden. Die Botschaft ist klar: Die Täter, die den Assad-kritischen Hariri 2005 mit einer Autobombe in die Luft sprengten, stecken auch hinter dem Anschlag auf Hassan. Ein Uno-Sondertribunal hatte für den Hariri-Mord 2011 gegen vier Mitglieder der mit Assad verbündeten Hisbollah in Absentia Anklage erhoben.
Obwohl Muslime normalerweise innerhalb von 24 Stunden nach ihrem Tod beerdigt werden müssen, wurde im Falle Hassans volle zwei Tage gewartet. Es hieß, man wolle seiner Familie Gelegenheit geben, aus Frankreich anzureisen. Viele Libanesen vermuten jedoch, dass die libanesische Opposition Zeit haben wollte, um ihre Anhängerschaft für die Trauerfeier zu mobilisieren.
Die Ermordung des Syrien-Kritikers Hariri hatte 2005 ein politisches Erdbeben ausgelöst - die von Washington "Zedernrevolution" getauften Massendemonstrationen. Millionen Libanesen gingen damals gegen das syrische Regime auf die Straße. Damaskus musste dem öffentlichen und internationalen Druck nachgeben und zog nach knapp 30 Jahren Besatzung seine Armee aus dem Libanon ab. Seinen Geheimdienst-Apparat beließ es jedoch im Land.
Tage der Entscheidung für den Libanon
Nun erhofft sich die libanesische Opposition eine Neuauflage der "Zedernrevolution". Lautstark fordert sie den Rücktritt der Regierung. Es geht um die Macht im Land, aber auch um die libanesische Haltung im Syrien-Krieg: Während die an der Regierung beteiligte Hisbollah-Partei das Assad-Regime unterstützt, helfen Mitglieder der oppositionellen Mustakbal-Partei den syrischen Rebellen.
Viele Libanesen fragen sich auch: Wer ist als Nächstes dran? Dem Anschlag auf Hariri 2005 folgten in Abständen von wenigen Monaten weitere Morde an bekannten Syrien-Kritikern. Das Land schwankt in diesen Tagen zwischen Angst und Wut. Die Stärke der Demonstration am Sonntag wird auch ein Gradmesser dafür sein, wie sehr sich die Libanesen haben einschüchtern lassen.
Für den zutiefst gespaltenen Libanon steht in diesen Tagen viel auf dem Spiel. Kommt es zu weiterer Gewalt - oder tritt Premierminister Nadschib Mikati tatsächlich zurück -, befürchten internationale Beobachter eine dramatische Verschlechterung der Lage.
Der Libanon steht bereits jetzt an der Schwelle eines Wiederaufflammens des eigenen konfessionellen Bürgerkriegs durch die anhaltende Gewalt im eng verknüpften Nachbarland Syrien. Steht Beirut in einer solch kritischen Situation wochen- oder gar monatelang ohne Regierung da, würde dies die Situation kaum entspannen.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, das Uno-Sondertribunal habe vier Mitglieder der Hisbollah für ihre Beteiligung am Hariri-Mord verurteilt. Richtig ist: Ein Urteil des Tribunals steht nach wie vor aus. Wir haben den Text korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.
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Trauer und Wut: Tausende haben in Beirut des ermordeten Geheimdienstchefs Wissam al-Hassan gedacht.
Ein Demonstrant auf einem Denkmal im Zentrum von Beirut: Sicherheitskräfte riegelten am Sonntag den Märtyrerplatz in der Innenstadt ab und errichteten Straßensperren. An strategisch wichtigen Punkten sind bewaffnete Soldaten postiert. Die Behörden rechnen mit möglichen Ausschreitungen am Nachmittag.
Brennende Reifen und Müllcontainer auf Libanons Straßen: Aufgebrachte Sunniten machten am Samstag ihrer Wut ob des Mordes an ihrem Glaubensbruder Hassan Luft. Bei der Explosion einer Autobombe im christlichen Viertel Aschrafija waren am Freitag in Beirut laut Regierungsangaben acht Menschen getötet und mehr als 80 verletzt worden.
Nach dem weltweit verurteilten Anschlag verstärkte die Regierung die Sicherheitsvorkehrungen und ließ Soldaten an strategisch wichtigen Plätzen Stellung beziehen, wie hier in der Stadt Sidon im Süden des Landes.
In Sidon belagerten aufgebrachte Demonstranten Straßen und zündeten Reifen an. Landesweit protestierten am Samstag zum nationalen Tag der Trauer insbesondere in den von Sunniten dominierten Regionen Menschen und forderten den Rücktritt von Ministerpräsident Nadschib Mikati.
Unterstützer der antisyrischen Bewegung 14. März im Zentrum von Beirut: Die Demonstranten hielten Plakate und riefen Parolen gegen die Hisbollah und das syrische Regime. Viele Demonstranten sind sich sicher, dass Damaskus hinter dem Bombenanschlag steckt.
In der nordlibanesischen Hafenstadt Tripoli zogen am Samstag Rauchwolken in den Himmel. Auch hier waren Reifen in Brand gesteckt worden.
Bewaffnete Sunniten fuhren durch die Straßen von Tripoli. Viele Menschen fürchten, dass es weitere Anschläge geben könnte.
Auch eine wichtige Autobahn nach Syrien wurde blockiert.
Auf dem Märtyrerplatz in Beirut hissten Demonstranten libanesische Flaggen.
Eine Frau trauerte an einem Bild von Wissam al-Hassan. Ihm soll der Anschlag nach Ansicht von Beobachtern gegolten haben. Hassan stand der antisyrischen Zukunftsbewegung des Oppositionspolitikers Saad al-Hariri nahe.
Etliche Menschen demonstrierten auf friedliche Weise: In dem christlichen Viertel Aschrafija, in dem am Freitag die Autobombe explodiert war, verteilte eine Frau weiße Rosen.
Ein Junge und sein Großvater zündeten Kerzen an, um der Opfer zu gedenken.
Präsident Michel Suleiman (l.) und Ministerpräsident Mikati kamen am Samstag zu einem Treffen in Beirut zusammen. Die libanesische Regierung hat ihren Rücktritt angeboten. Auf Bitten des Präsidenten bleibe die Ministerrunde für eine Übergangszeit im Amt, teilte Mikati mit.
Tatort Beirut: Bei der Explosion einer Autobombe im christlichen Viertel Aschrafija waren am Freitag acht Menschen getötet und mehr als 80 verletzt worden.
Wer hinter dem Anschlag steckt, war zunächst unklar. Ein mehrstöckiges Gebäude wurde schwer beschädigt.
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