Christian Neef

Platzecks Russland-Empfehlungen Wohlfeil, banal, naiv

Angela Merkel verweigert sich dem Dialog mit Russlands Führung? Ein absurder Vorwurf, doch Matthias Platzeck erhebt ihn immer und immer wieder. Seine politische Naivität in Bezug auf Putin ist kaum zu überbieten.
Russischer Präsident Putin: Gröbste Beleidigungen

Russischer Präsident Putin: Gröbste Beleidigungen

Foto: Alexei Nikolsky/ AP/dpa


Matthias Platzeck, der ehemalige Ministerpräsident Brandenburgs und Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, hat SPIEGEL ONLINE in Moskau ein Interview gegeben. Darin widmet er sich seiner Lieblingsthese: dass der russische Präsident Wladimir Putin ausgegrenzt werde, man mit ihm aber endlich das Gespräch suchen müsse. Und dass Angela Merkel, die Kanzlerin, leider genau dies nicht tue.

Man mag diese Vorwürfe für das Ritual eines SPD-Mannes halten. Auch sein Parteifreund und Partei-Vize Ralf Stegner erhebt diese Vorwürfe. Bei Platzeck aber verwundert eines immer wieder: die politische Naivität, wenn es um Russland geht.

Reden ist immer gut, daran zweifelt niemand. Die Forderung allein ist wohlfeil und banal. Entscheidend ist, worüber man zu reden gedenkt - und ob auch die andere Seite reden will. Dass Angela Merkel sich dem Dialog mit Russlands Führung verweigert - dieser Vorwurf Platzecks ist an Absurdität nicht zu überbieten. Ihr Außenminister Steinmeier war in Moskau, er geht immer wieder auf seinen russischen Kollegen Lawrow zu. Und auch Merkel besuchte Putin - gleich nach der monströsen russischen Waffenschau zum 70. Jahrestag des Sieges. Was ihr im Westen nicht nur Lob eintrug.

Honoriert das die russische Seite? Nein. Es hagelt weiter Belehrungen, mitunter auch gröbste Beleidigungen. In maliziösem Ton wies Putins Sprecher dieser Tage die deutsche Kanzlerin zurecht, sie kenne sich auf dem Gebiet der Terminologie nicht sonderlich gut aus: In Sachen Krim habe sie von "Annexion" statt von "Wiedervereinigung mit Russland" gesprochen. Nicht diese Wiedervereinigung sei eine Verletzung der Weltordnung, wie Merkel behaupte, sondern dass die EU beim "Staatsstreich in Kiew" behilflich gewesen sei. Auch Steinmeier musste sich, als er in Moskau war, auf einer Pressekonferenz vom russischen Außenminister öffentlich als Gehilfe eines Staatsstreichs beschimpfen lassen.

Honoriert man so Versuche, trotz aller Meinungsverschiedenheiten mit dem anderen ins Gespräch zu kommen? Eine solche Bereitschaft des Westens mit Moskau sehe er nicht, behauptet Putins Sprecher. Mit Sarkasmus, Arroganz, Rechthaberei und bewusster Verdrehung der Tatsachen reagieren der Kreml und seine Medien gegenwärtig auf alles, was der Westen unternimmt. Putin selbst spielt virtuos auf dieser Klaviatur. Ob Krim, Ostukraine oder Fifa - seine Kommentare dazu haben mit der Wirklichkeit oft nicht mehr viel gemein.

Die russische Führung will nicht reden

Das beste Beispiel war vor wenigen Tagen der neuerliche Gewaltausbruch in dem kleinen Ort Marinka bei Donezk. Moskau ließ verbreiten, die Ukrainer seien an den neuen Gefechten und den Toten schuld. Dabei liegt Marinka auf dem Territorium der Ukrainer, das umkämpfte Donezk ist 40 Kilometer entfernt. Warum sollten die Ukrainer ihren eigenen Ort beschießen, in dem es keinerlei Separatisten gibt? Die OSZE hat denn auch bestätigt, dass Donezker Freischärler die Gefechte ausgelöst hätten.

Was aber tut Moskau? Es verschweigt einfach die Ursache der Gefechte. Dafür kritisiert es lautstark die Ukrainer, sie hätten erneut schwere Waffen an die Front gebracht. Nun ja, zur Abwehr der Separatisten. Das Abkommen von Minsk war ein Fehlschlag, es legt allein der Ukraine und dem Westen Verpflichtungen auf, die zudem kaum zu erfüllen sind. Moskau nutzt die Situation, um die andere Seite Tag für Tag in schlechtes Licht zu rücken. Es tut nichts für eine Entspannung.

Ganz egal, um welchen Streitpunkt es derzeit geht: Die russische Führung will nicht reden. Sie will rechthaben. Sie will, dass der Westen allein ihre Sicht der Dinge akzeptiert, zu politischen Kompromissen ist sie nicht bereit. Das zeigt auch das Verhalten Moskaus in internationalen Organisationen, die eigentlich für den Dialog geschaffen worden sind.

Platzeck beruft sich mit seiner Sicht auf 35 Jahre DDR-Erfahrung. Ich habe noch ein paar Jahre mehr in der DDR gelebt, aber ich lebe darüber hinaus seit insgesamt 15 Jahren auch in Russland. Ich weiß, dass bei autoritären Führungen klare Ansagen hilfreicher sind als der ständige Versuch, die andere Seite zu beschwichtigen. Nur das führt in Russland mitunter zum Einlenken, zu einem wirklichen Gespräch. Es gibt auch Zeiten, in denen man Gesprächslosigkeit aushalten muss.

Abweichende Meinungen sind nicht erwünscht

Hat es je einen absurderen Vorschlag gegeben als jenen, den Matthias Platzeck in Sachen Krim unterbreitet hat? Die Annexion der Krim müsse "nachträglich völkerrechtlich geregelt werden, sodass sie für alle hinnehmbar ist", forderte er. Dafür sei eine Wiederholung des Referendums vom vergangenen Frühjahr ein geeigneter Weg.

Jeder halbwegs Sehende weiß, was dabei herauskäme. Viele Krim-Bewohner, die gegen die gewaltsame Übernahme der Halbinsel durch Russland waren - vor allem Studenten und Unternehmer -, sind nach Lemberg oder Kiew geflüchtet, der letzte große Fernsehsender der Krimtataren wurde geschlossen. Abweichende Meinungen sind jetzt auf der Krim so erwünscht wie in Moskau selbst - nämlich gar nicht. Wer die neuen Machthaber kritisiert, ist angeblich Spion oder Agent. Unter diesen Bedingungen ein faires Referendum hinzukriegen, ist unmöglich. Von einem früheren Ministerpräsidenten, der zudem ein paar Monate lang auch mal SPD-Vorsitzender war, darf man mehr Realismus erwarten.

Diese Woche traf ich in Moskau mit einem namhaften Professor zusammen, der auch an Russlands wichtigster Diplomaten-Hochschule lehrt. Seine Aussagen waren deprimierend. Putin und seine Führung seien mental nicht mehr erreichbar, sie hätten sich von der Wirklichkeit abgekoppelt, sagt der Professor. Die politische Kultur in Russland habe sich seit 500 Jahren nicht geändert.

Die verlogenen Fernsehnachrichten schalte er gar nicht mehr ein. Noch schlimmer aber sei der Zynismus vieler Leute im Putin-Team. Der Professor zitierte einen russischen Vizepremier, der beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos diesen Januar vor der Härte und Entschlossenheit Russlands gewarnt und sich hinterher im kleinen Kreis vor Lachen ausgeschüttet hatte - weil die Westler ihm jedes Wort geglaubt hätten.

Das spricht Bände über Moskaus "Gesprächsbereitschaft" und über die Aufrichtigkeit des Kreml.

G7-Gipfel in Elmau - das Beste auf SPIEGEL ONLINE
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren