Mazedoniens Präsident Ivanov "Wir haben unsere eigenen Entscheidungen getroffen"

Mazedonien lässt kaum noch Flüchtlinge ins Land - und verschärft damit die Situation in Griechenland dramatisch. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE sagt Präsident Ivanov: In Krisenzeiten funktioniere Europa eben nicht.
Mazedoniens Präsident Gjorge Ivanov

Mazedoniens Präsident Gjorge Ivanov

Foto: Giorgio Onorati/ picture alliance / dpa

Die Situation in Griechenland eskaliert. Am Grenzübergang Idomeni setzt die Polizei Tränengas gegen Hunderte Flüchtlinge ein. Die Menschen versuchten, Sperranlagen zu stürmen, um nach Mazedonien zu gelangen. Das Nachbarland im Norden lässt kaum noch Flüchtlinge durchziehen.

Ähnlich wie Serbien und die EU-Staaten Kroatien, Österreich und Slowenien hatte Mazedonien kürzlich Tageshöchstgrenzen für die Einreise von Flüchtlingen eingeführt. Dass immer mehr Länder den Alleingang starten, kritisieren die Vereinten Nationen.

Im Interview mit SPIEGEL ONLINE verteidigt Mazedoniens Präsident Gjorge Ivanov die Politik seines Landes: "In Zeiten der Krise muss jedes Land seine eigenen Lösungen finden."

Lesen Sie hier das Interview mit Gjorge Ivanov:

SPIEGEL ONLINE: Tausende Flüchtlinge harren am Grenzübergang in Idomeni an. Afghanen werden zurück nach Athen geschickt, weil sie nicht weiterreisen dürfen. Haben Sie das so entschieden?

Ivanov: Solche Entscheidungen werden zusammen mit Polizeibehörden entlang der Balkanroute getroffen. Immer wenn ein Land weiter nördlich seine Grenze schließt, machen wir hier dasselbe. Derzeit gilt die Vereinbarung, nur Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak durchzulassen.

SPIEGEL ONLINE: Brechen Sie damit das Versprechen, den Status quo zumindest bis zum nächsten EU-Gipfel zu halten?

Ivanov: Sie müssen verstehen, dass sich die Situation nicht jeden Tag ändert - sie ändert sich stündlich. Wir passen uns an die Flüchtlingsströme im Norden an. Wir haben seit dem EU-Balkangipfel im Oktober 2015 in Brüssel klargemacht, dass wir nur 2000 Menschen gleichzeitig aufnehmen können und das auch nur vorübergehend und für eine kurze Zeit: Im Land können wir ihnen keine Unterkunft bieten. Wir halten diese Grenze ein.

SPIEGEL ONLINE: Griechenland sagt, die Maßnahmen an der Grenze seien überhastet, kontraproduktiv und zeugten von fehlender Solidarität.

Ivanov: Polizisten entlang des Balkankorridors telefonieren wöchentlich miteinander und entscheiden gemeinsam, wie sie mit der Situation umgehen. Jeder nimmt an diesen Konferenzen teil. Außer Griechenland.

SPIEGEL ONLINE: Viele in Europa haben Österreich und die Visegrád-Gruppe für ihre Alleingänge kritisiert. Kürzlich hatten Sie ein Treffen - unter Ausschluss Griechenlands und der EU-Kommission. War das in Ordnung?

Ivanov: Wir sind immer dafür, dass Griechenland dabei ist. Griechenland muss ein Teil der Lösung sein. Wir müssen die Zusammenarbeit intensivieren. Griechenland hat recht, wenn es auf die Nichteinladung reagiert. Das alles ist ein Problem für den gesamten Kontinent, nicht nur für die EU. Wir sind kein Mitgliedstaat, trotzdem tun wir alles als Teil der europäischen Lösung.

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SPIEGEL ONLINE: Wie passt das zu dem Treffen in Wien und zu den Verschärfungen an der Grenze?

Ivanov: Wir brauchen ein Krisenmanagement. Daran mangelt es der EU-Bürokratie leider. Die EU ist hervorragend in Friedenszeiten. Aber in Krisenzeiten konnten wir keine wichtigen Entscheidungen treffen, weil alle Staaten ein Vetorecht haben. Wir konnten nicht warten, bis Brüssel Entscheidungen fällt. Wir haben unsere eigenen Entscheidungen getroffen. In Zeiten der Krise muss jedes Land seine eigenen Lösungen finden. Wenn wir auf EU-Vorgaben gewartet hätten, wäre Mazedonien mit Flüchtlingen überschwemmt worden.

SPIEGEL ONLINE: Das ist eine harte Wortwahl. Angela Merkel wird für ihren liberalen Flüchtlingskurs kritisiert. Haben Sie dafür Verständnis?

Ivanov: Nein. Die Entscheidung von Frau Merkel, die deutschen Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, war eine menschliche Geste, die respektiert werden sollte. Die Menschen kommen, weil sie in kriegsgebeutelten Gegenden alles verloren haben. Manches kann man nicht kontrollieren. Wie geht man mit einer Flut um? Aufgeben? Nein, man versucht, das Wasser unter Kontrolle zu bringen.

SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie die Grenze schließen, wird Griechenland ein "Migrantenlager", wie Premier Alexis Tsipras es nennt.

Ivanov: Wir wollen nicht, dass sich die Situation in Griechenland verschlechtert und dass die Griechen die ganze Last alleine schultern müssen. Diese Krise wird eines Tages enden, aber wir werden für immer Nachbarn bleiben. Wir wollen diese Beziehung nicht opfern, weil EU-Institutionen nicht richtig funktionieren.

SPIEGEL ONLINE: Trotzdem machen Sie die Grenze dicht.

Ivanov: Geschlossene Grenzen liegen sicher nicht in unserem Interesse. Für uns wären die Konsequenzen ebenfalls groß. Wir bereiten uns aber auf alle Szenarien vor. Wir haben im Kosovo-Krieg 1999 erlebt, dass 360.000 Flüchtlinge nach Mazedonien kamen. Keiner unserer Nachbarn hat uns damals geholfen und nur einen Flüchtling aufgenommen. Wissen Sie, wie viel wir damals von der Geberkonferenz erhalten haben? Nichts. Während des Bosnienkriegs kamen wieder Flüchtlinge. Jetzt haben wir entschieden, nur ein Durchgangsland zu sein. Wir wollen verhindern, ein Migrantenlager zu werden, wenn die Grenzen geschlossen sind. Deshalb haben wir um gemeinsame Maßnahmen gebeten.

SPIEGEL ONLINE: Kann die Schließung der Balkanroute noch verhindert werden?

Ivanov: Wenn Österreich seine Obergrenze erreicht, wird das passieren.

SPIEGEL ONLINE: Wann könnte es so weit sein?

Ivanov: Vielleicht genau in diesem Moment.

SPIEGEL ONLINE: Um den Korridor offen zu lassen, muss die Verteilung der Flüchtlinge funktionieren. Bis jetzt ist davon nichts zu spüren.

Ivanov: Deshalb brauchen wir genau jetzt politische Entscheidungen. Bald wird es zu spät sein. Die österreichische Obergrenze von 37.000 wird erreicht sein.

SPIEGEL ONLINE: Ist es eine Lösung, die Balkanroute zu schließen?

Ivanov: Nein. Die Menschen werden immer andere Wege finden, um ihr Ziel zu erreichen. Die kriminellen Netzwerke werden dafür sorgen. Es wird neue Routen über Albanien oder Bulgarien geben, wenn das Wetter wärmer wird. Niemand will in Griechenland, Mazedonien oder Serbien bleiben. Das Ziel der Flüchtlinge ist Deutschland. Sie werden einen Weg dorthin finden. Ein gefährlicher Weg.

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