McCains Vize Sarah Palin Das Problem, das aus der Kälte kam

Erst galt sie als brillante Wahl - dann wurde sie zur schweren Belastung für John McCain. Die republikanische Vize-Kandidatin Sarah Palin verstörte mit ihren Auftritten selbst Konservative. Trotzdem träumt sie angeblich schon von ihrer eigenen Präsidentschaftskandidatur 2012.

Chicago - Am Ende sagte sie gar nichts mehr. In der Stunde der Niederlage überließ Sarah Palin das Reden John McCain. Der verlor in seiner Rede vor enttäuschten Anhängern in Phoenix immerhin einen Satz über seine Vize-Kandidatin: "Wir werden alle mit großem Interesse verfolgen, was sie künftig für Alaska leisten wird, für die republikanische Partei und für dieses Land." Applaus gab es zwar, aber die Palin-Euphorie, die noch kurz nach ihrer Nominierung herrschte, ist nach den Pannen der vergangenen Wochen merklich abgeflaut.

Sarah Palin: "Ich mache dies ja nicht umsonst"

Sarah Palin: "Ich mache dies ja nicht umsonst"

Foto: AP

Sarah Palin war Ende August wie aus dem Nichts auf der Wahlkampf-Bühne erschienen - buchstäblich die Frau, die aus der Kälte kam. In einem Überraschungscoup selbst für viele Insider präsentierte McCain die Gouverneurin aus Alaska erst bei einer Kundgebung in Dayton im Schlüsselstaat Ohio (den McCain am Dienstag verlor) und dann Anfang September mit einem triumphalen Auftritt auf dem Wahlparteitag der Republikaner in St. Louis.

Dabei war Palins Aufstieg weniger Zufall als Kalkül. Das Wochenblatt "New Yorker" enthüllte, wie Palin ihren Karrieresprung clever einfädelte, indem sie schon im Sommer 2007 prominente konservative Kolumnisten in Alaska bewirtete - die dann wiederum in Washington diskret für sie warben.

Fazit: McCain - dessen erste Vize-Wahl, der Ex-Demokrat Joe Lieberman, von Parteirechten verhindert wurde - nahm sie auf sein Ticket, obwohl er sie persönlich noch kaum kannte.

Palin manipulierte also eben jene "Washington-Elite" für ihre Zwecke, die sie dann im Wahlkampf so populistisch-lautstark beschimpfte. "Sie wurde von Anfang an unterschätzt", sagte Paulette Simpson, die Chefin der Alaska Federation of Republican Women, dem "New Yorker". "Sie ist sehr schlau. Sie ist ehrgeizig."

Diese Diskrepanz zwischen dem Trugbild des dumm-braven Püppchens und der eiskalten Karrierefrau, die dahinter steckte, prägte Palins Laufbahn. Sie wusste diese zwei Gesichter stets gut zu nutzen. Auf ihrem rasanten Weg von der Schulsportlerin zur Schönheitskönigin zur Bürgermeisterin bis schließlich zur populären Gouverneurin ging sie über politische Leichen - stets mit einem Lächeln. Stolz bezeichnete sie sich bei ihrer Rede in St. Louis als "Pitbull" - mit Lippenstift.

In dieses Bild der Widersprüche passte auch ihre viel diskutierte Großfamilie, die noch vor dem Parteitagsdebüt Wahlkampfthema wurde: Ihre 17-jährige Tochter Bristol, so stellte sich heraus, war schwanger. Ob das McCain-Team vorab davon wusste, ist bis heute nicht vollends klar. Palin jedenfalls schaffte es, auch dieses Reizthema zu ihrem PR-Vorteil zu drehen: "Keine Familie erscheint typisch, und so ist das auch mit uns."

Beliebt, knallhart - und attraktiv: Die Basis war begeistert. Frauen und, mehr noch, Männer wurden über Nacht zu Fans. Die Christlich-Konservativen, die McCain lange missbilligten, jubelten. Palin schien ein brillanter, wenn auch riskanter Schachzug, um Barack Obama, der Hillary Clinton ja verschmäht hatte, tief ins Fleisch zu schneiden. Nicht nur "Time" und "Newsweek" machten sie zum Covergirl, sondern auch die gesamte US-Klatschpresse.

Doch bald wendete sich das Blatt. Palins Image war schnell seziert. Es passte zwar nett ins republikanischen "Outdoor"-Ideal des einfachen Amerikaners: Sie jagt, fischt und schießt, sie ist gegen die Abtreibung und rühmt den freien Waffenbesitz, und ihr Sohn Track dient im Irak. Doch McCains Hauptargument bis dahin - seine langjährige Polit-Erfahrung - wurde von Palins Präsenz auf dem Ticket unwiderruflich ausgehebelt.

Die immer gleichen Reden vom Teleprompter

Daran änderte auch der Trick nichts, die beiden als Gespann fröhlicher "Mavericks" (Querdenker) zu verkaufen. McCain und Palin entwickelten nie die nötige "Chemie", weder auf der Wahlbühne noch hinter den Kulissen.

Das rächte sich. McCains Strategen kapselten Palin - gegen ihren Willen - von der Presse ab, ließen sie nur die immer gleiche Rede vom Teleprompter ablesen. Eine Reihe sorgfältig inszenierter TV-Interviews gingen dann atemberaubend daneben, ebenso Palins Gesprächstournee mit Staatschefs am Rande der Uno-Vollversammlung im September.

Am schlimmsten war Palins Verhör durch CBS-Star Katie Couric (siehe Video): Zwei Karrierefrauen trafen aufeinander, und nur eine überlebte. Auf ewig in Erinnerung bleiben wird, wie Palin ihre außen-und sicherheitspolitischen Kompetenz zu begründen versuchte: "Man kann Russland vom Land hier in Alaska wirklich sehen."

Nach der TV-Blamage begannen sich die ersten Konservativen offen zu distanzieren: "Palin ist ein Problem", schrieb die Kolumnistin Kathleen Parker. "Sie ist eindeutig überfordert." Es war der Anfang vom Ende: Immer mehr Parteifreunde legten Palin den Verzicht nahe, und sie wurde zur täglichen Last für McCain.

Vor allem aber wurde sie zum Gespött der Late-Night-Komiker. Tina Fey (siehe Video oben, mit Clinton-Imitatorin Amy Poehler), die ihr ähnlich sieht, veralberte sie Woche für Woche in der legendären Ulk-Show "Saturday Night Live", bescherte der Sendung die besten Quoten seit Jahren - und machte Palin zur nationalen YouTube-Lachnummer. Ein präventiver Auftritt Palins in "SNL" (siehe Videos unten) machte das nur schlimmer.

Die US-Medien stürzten sich unterdessen auf Palins erzkonservativen Ansichten und ihre auf den zweiten Blick gar nicht so weiße Weste.

Das Ende des "Ich bin wie ihr"-Images

So ermittelte das Parlament von Alaska wegen Ethikverstößen gegen sie und warf ihr in einem geharnischten Schlussbericht Machtmissbrauch vor. Darauf alarmiertet Palin die Personalkommission des Staates, die pünktlich zum Wahltag befand, sie habe ihr Amt bei der Entlassung des Sicherheitschefs von Alaska nicht missbraucht.

Viele ihrer Wahlkampf-Behauptungen entpuppten sich als Mythen - etwa, dass sie die "Brücke nach Nirgendwo" verhindert habe, ein berüchtigtes Symbol für Steuerverschwendung.

Nur die Basis blieb ihr treu - und adelte sie zum Wahlkampf-Phänomen. Palins Auftritte zogen stets viel mehr Menschen an als die McCains. Wobei es oft eine rowdyhafte Menge war: Vereinzelt waren am Rande ihrer Reden rassistische Schmährufe auf Obama zu hören.

In ihrer einzigen TV-Debatte mit dem demokratischen Vize-Kandidaten Joe Biden schlug sich Palin zwar wacker. Doch der Skandal um die 150.000 Dollar, die die Partei für Palins Garderobe ausgab, zerstörte ihr "Ich bin wie ihr"-Image endgültig. Mit gezielten Indiskretionen begannen McCains Wahlstrategen darob, sich gegenseitig den schwarzen Peter zuzuspielen: Sie sei ein "Leichtgewicht", eine "Diva", die "Amok" laufe.

Ungeachtet dessen denkt Palin über den Tag hinaus. Es wird spekuliert, dass sie bereits für die Zukunft plane. Sprich: eine Neubewerbung in 2012. Doch dann nicht als Vize, sondern als Top-Präsidentschaftskandidatin. So jedenfalls interpretierten einige ihre flotte Bemerkung von Ende Oktober: "Ich mache dies ja nicht umsonst." Ihr Sprecher dementierte sofort.

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