Mein Leben als Ausländer Bierchen aus der Tüte

Die Prohibition ist seit 70 Jahren Geschichte - doch die US-Bürger tun bis heute so, als könnten sie nur heimlich trinken. Auf der Straße oder im Park einen Schluck aus der Bierflasche? Skandalös! Wer nicht in die nächste Kneipe pilgern will, muss seinen Drink geschickt tarnen.
Bierflasche in Tütentarnung: "It's the law"

Bierflasche in Tütentarnung: "It's the law"

Foto: Corbis

Mein Kollege Reinhard Mohr beklagte in seinem köstlichen Buch "Meide Deinen Nächsten. Beobachtungen eines Stadtneurotikers" neulich, dass es für hippe Menschen in Berlin mittlerweile Mode sei, mit Bierflasche in der Hand durch die Straße zu laufen. Die Flasche am Mund ist cool geworden.

Hippe Berliner vermisse ich auch rund acht Jahre nach meinem Umzug in die USA immer noch nicht. Aber auf der Straße mal ein Bier trinken können - das schon.

USA

Wer in den mit einer offenen Flasche Alkohol auf der Straße herumläuft, erntet Blicke, als würde er dazu einen offenen Bademantel tragen - mit nichts drunter. Oder als sammele er auch sonst hauptberuflich Flaschen ein. Es gehört sich einfach nicht, in vielen Bundesstaaten ist es gar illegal.

Man könnte dafür in Handschellen enden oder von einem grimmigen Polizeibeamten dem Richter vorgeführt werden - fast so wie jener Korrespondent eines deutschen Nachrichtenmagazins, der seinen schnittigen Mietwagen auf einem leeren US-Highway auf 104 Meilen hochjubelt und der Polizeistreife grinsend zu erklären versucht, er sei nun mal im Land der Autobahn geboren (doch ich schweife ab und das ist eine andere, sehr traurige Geschichte).

Kleine, unschuldig aussehende, braune Papiertüten

Sobald sie ihre Wohnung verlassen, hüllen Amerikaner ihre hoch- und höherprozentigen Flaschen sorgsam in kleine braune Beutel, die aussehen wie die neutralen Umschläge, die Sexshops für ihren Versand benutzen. Sie tun sich auch sonst schwer mit dem Alkoholtransport. Als ich noch im schönen Cambridge im Bundesstaat Massachusetts lebte, eigentlich ein aufgeschlossener Ort, wollte ich einmal mit einer Freundin für eine Feier mehrere Kästen Bier im Auto transportieren.

Wir verstauten fröhlich unsere Getränke, da klopfte ein Einheimischer beharrlich an die Scheibe. Ob wir das Gesetz nicht kennen würden? Ein Kasten pro Wagen, mehr gehe nicht, das sei eine alte Vorschrift. Meine Freundin und ich schauten ihn mit großen Augen an. Er schüttelte streng den Kopf. Wir fuhren viel hin und her an diesem Tag.

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Blick aus der Ferne: Fehlt Ihnen etwas?

Foto: DPA/ NASA

Das wäre alles halb so schlimm, wenn man am nächsten Kiosk eine Straßenecke weiter zum Nachschütten einkehren könnte. Doch auch das ist gar nicht so einfach. In jeder amerikanischen Kneipe, die etwas auf sich hält, werden erst einmal die Ausweispapiere geprüft. Hat die Kundschaft denn überhaupt das vorgeschriebene Trinkalter von 21 Jahren erreicht? Die US-Amerikaner haben eine eigene Vokabel eingeführt, um diesen Vorgang zu beschreiben. "Getting carded" heißt der Ausweis-Check. Manchmal führt das zu so langen Schlangen, dass gleich zwei Menschen am Eingang die Kontrolle übernehmen müssen.

"Getting carded" ist die reinste Jobmaschine.

Nicht ohne meinen Ausweis

Wer sich nun auch nach vielen Jahren noch vor der Ablegung eines amerikanischen Führerscheinexamens drückt (was für weitere Probleme beim oben erwähnten Raser-Gerichtstermin sorgen wird, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte) und auch seinen ohnehin lädierten Reisepass nicht ständig spazieren führen möchte, bibbert vor diesem Moment.

Denn dann nestelt man den deutschen Personalausweis hervor, der zugegeben recht wenig hermacht.

"Was soll das denn sein?", bellt der Trinkalter-Überprüfungsbevollmächtigte.

"Ein deutscher Ausweis", entgegnet man tapfer. "Wir können damit sogar in andere Länder reisen. Er ist fälschungssicher und sicherer als jeder amerikanische Führerschein."

Glaubt mir, das ist die falsche Antwort. Kein Dokument ist sicherer als ein amerikanischer Führerschein. Man kann dann heftig den Kopf schütteln vor so viel Ignoranz und auf den Vorzügen deutscher Ausweistechnik beharren. Das bringt einem aber ziemlich sicher kein Bier ein.

Man kann auch darauf beharren, dass es mit Mitte 30 schmeichelhaft sei, für weniger als 21 Jahre alt gehalten zu werden, und dazu verschwörerisch mit den Augen zwinkern. Doch auch dabei bleibt die Kehle garantiert trocken.

"It's the law"

Die Amerikaner können über solche deutschen Probleme nur den Kopf schütteln. Neulich sah ich an einer Flughafengaststätte ein Schild: "We card everyone. Everyone. It is the law." Es ist das Gesetz.

Daher wunderte ich mich auch gar nicht mehr, als die blutjunge Kellnerin den Greis, der zusammengesunken auf dem Barhocker an der Theke saß, erst einmal um seinen Ausweis bat.

Der Mann sah aus, als erinnerte er sich noch lebhaft an die Zeiten, als sich die Kutscher über die ersten Autos aufregten. Doch ohne Murren und gar nicht erstaunt kramte der Greis seinen Ausweis hervor. Das Girl am Tresen guckte streng drauf, schließlich nickte sie. Der Greis blickte erleichtert, er nahm einen tiefen Schluck.

It's the law. Man muss sie einfach mögen.

Gregor Peter Schmitz ist seit September 2007 USA-Korrespondent von SPIEGEL ONLINE in Washington.

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