
Reise der Kanzlerin nach China Merkel im Land der Maßlosen
Ein "freundliches Gesicht", um es mit einem Ausdruck Angela Merkels zu sagen, hat China dem Westen schon seit Längerem nicht gezeigt. Die letzten bunten Bilder, die aus dem oft grauen Peking um die Welt gingen, waren die von einer Militärparade - zum 70. Jahrestag des Kriegsendes im vergangenen September.
So grob und unfreundlich, wie sich die Volksrepublik seit Wochen international präsentiert, erschien China aber seit Langem nicht mehr. Ob es die politische, die ökonomische, die Militärmacht oder der selbsternannte "Rechtsstaat" China ist - Pekings Führung hat Gefallen daran gefunden, selbstbewusst bis an die Grenze der Arroganz aufzutreten.
Das unterscheidet die Stimmung vor dem neunten China-Besuch der Bundeskanzlerin an diesem Sonntag von der bei ihren vorangegangenen acht Reisen. Die Atmosphäre ist deutlich abgekühlt zwischen China und dem Westen.
Dass das auch auf der deutschen Seite so empfunden wird, hängt vor allem mit den Wirtschaftsbeziehungen zusammen, einem Aspekt, der bislang meistens für gute Stimmung sorgte. Die Chinesen investieren heute mehr denn je in Deutschland. Allein seit Jahresanfang haben sie so unterschiedliche Unternehmen wie den Spezialmaschinenbauer Krauss-Maffei und den Flughafen Hahn übernommen, weitere Milliardenübernahmen werden erwartet. Und nun plant ein chinesischer Konzern, seine Beteiligung am Augsburger Roboterhersteller Kuka zu erhöhen, einem Kronjuwel moderner deutscher Industrie.
Abschottung durch schärfere Gesetzte
Viele europäische Unternehmer aber fühlen sich, wie auch ihre amerikanischen Kollegen, in China immer weniger willkommen. Die Chinesen gewähren Ausländern nicht annähernd so guten Zugang zu ihren Märkten, wie Europäer und Amerikaner das umgekehrt tun. Manche Sektoren der chinesischen Wirtschaft sind Ausländern grundsätzlich verschlossen, andere stehen nur ausländisch-chinesischen Gemeinschaftsunternehmen, sogenannten Joint Ventures, offen. Indem Peking seit einem Jahr außerdem seine Gesetze zur nationalen Sicherheit verschärft, schottet es sich weiter ab.
Gleichzeitig pocht China darauf, dass ihm Europa den Status einer Marktwirtschaft zuerkennt, der Peking beim Beitritt zur Welthandelsorganisation vor 15 Jahren versprochen wurde. Das würde bedeuten, dass es für die Europäer fast unmöglich wird, sich gegen die Dumpingpreise zu wehren, mit denen China zum Beispiel den Stahlmarkt überschwemmt. Sollte die EU Chinas Erwartung enttäuschen, hat die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua letzte Woche bereits mit einem "ausgemachten Handelskrieg" gedroht.
Damit ergreift Peking in der Wirtschaftspolitik einen Ton, den es in außenpolitischen und Menschenrechtsfragen schon länger pflegt. China verbittet sich jede Kritik an seinen umstrittenen Gebietsansprüchen im Südchinesischen Meer. Wer widerspricht, kann damit rechnen, dass seine Diplomaten in Peking einbestellt werden - auch der deutsche Gesandte wurde im April vorgeladen.
Noch gereizter reagiert Chinas Führung, wenn es jemand wagt, Pekings Menschenrechtspolitik zu kritisieren, die Verschärfung seiner Gesetze zur Arbeit ausländischer Nichtregierungsorganisationen oder das Vorgehen der Sicherheitskräfte in Tibet oder der Unruheprovinz Xinjiang.
Die Überschreitung der Linie
Einen ungewöhnlich rüden Auftritt bot Chinas Außenminister Wang Yi letzte Woche in Ottawa, als sich eine kanadische Journalistin nach einem in China inhaftierten Landsmann erkundigte. Obwohl die Frage gar nicht an ihn, sondern seinen kanadischen Kollegen gerichtet war, maßregelte Wang die Journalistin: Ihre Frage sei "voller Vorurteile", "arrogant" und "inakzeptabel". Ob sie denn überhaupt schon einmal in China gewesen sei?
Selbst besonnene China-Experten wie Sebastian Heilmann, Chef der Berliner Denkfabrik "Merics", sehen in Pekings "kontrolliert-aggressivem" Auftreten inzwischen "eine rote Linie überschritten". Mit der "deutschen Linie, China zu 'Mäßigung' zu mahnen", sei Peking nicht mehr beizukommen, wenn es um die Behandlung ausländischer Unternehmen, aber auch um den zivilgesellschaftlichen Austausch mit Chinesen geht.
Vereinzelt wächst unter Ausländern, auch ausländischen Unternehmern in China die Neigung, die Chinesen so zu behandeln, wie sie ihrerseits die Ausländer behandeln. Der diplomatische Begriff für dieses Prinzip lautet "Reziprozität": Wenn ein chinesisches Unternehmen europäische Flughäfen kaufen kann - warum sollen dann Europäer nicht auch einen chinesischen Flughafen kaufen können?
Marktzugang verbessern
"So etwas wäre derzeit ausgeschlossen", sagt der Deutsche Jörg Wuttke, als Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking bekannt für seine freimütige Kritik an Chinas Wirtschaftspolitik. Er drängt darauf, dass Peking und Brüssel sobald wie möglich ein Investitionsabkommen unterzeichnen, das den Marktzugang für die Europäer in China deutlich verbessert.
Trotzdem warnt Wuttke davor, sich vom übersteigerten Selbstbewusstsein der Chinesen anstecken zu lassen und Gleiches stets mit Gleichem zu vergelten. Viele Beteiligungen und Übernahmen chinesischer Unternehmen in Europa funktionierten gut. Einzelne Unternehmen wie den schwedischen Autohersteller Volvo gäbe es heute vermutlich gar nicht mehr, wenn sie nicht ein chinesischer Investor übernommen hätte.
Tatsächlich übertreffen die deutschen Investitionen in China die der Chinesen in Deutschland nach wie vor deutlich, und China ist ein Markt, auf den gerade deutsche Unternehmen wohl noch auf Jahrzehnte hin angewiesen sind.
Chinas wirtschaftliche Größe und politisches Gewicht sind Tatsachen, an denen selbst die Chinesen nicht wirklich etwas ändern können. Aber es wäre einfacher, wenn sie etwas bescheidener damit umgingen.
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