Merkels Nahost-Reise Schweigen unter Freunden

Es wird wohl sein wie immer bei deutsch-israelischen Konsultationen: Kritische Töne sind im offiziellen Rahmen unerwünscht, wenn Kanzlerin Merkel und ihre Delegation in Israel landen. Dabei hoffen manche Menschen im Land auf mehr Offenheit.
Kanzlerin Merkel, Premier Netanjahu (Archiv): Beistand erwünscht, Kritik nicht erlaubt

Kanzlerin Merkel, Premier Netanjahu (Archiv): Beistand erwünscht, Kritik nicht erlaubt

Foto: Wolfgang Rattay/ dpa

Fragt man den Israeli Dror Moreh, was er sich von den Deutschen wünsche, hätte er denn einen Wunsch frei, dann folgt die Antwort prompt: "Mehr Kritik."

Dror Moreh ist ein vielfach ausgezeichneter Regisseur, seine Dokumentation "The Gatekeepers" wurde 2013 für einen Oscar nominiert. In seinem Film interviewt er sechs ehemalige israelische Geheimdienstchefs, und obwohl diese sechs Männer unterschiedlicher nicht sein könnten, ist ihre Botschaft dieselbe: Israel, sagen sie, die hauptberuflich damit beschäftigt waren, ihren Staat sicherer zu machen, müsse aufhören, Besatzungsmacht zu sein. Denn die Besatzung samt der damit einhergehenden Siedlungspolitik gefährdete Israels Sicherheit.

Moreh hält Deutschland für den engsten Freund Israels außer den USA, gerade deshalb hat er Erwartungen: "Wenn du siehst, dass dein bester Freund mit hoher Geschwindigkeit auf eine Wand zurast, musst du ihm ins Lenkrad greifen."

Moreh wünscht sich mehr gezielte Kritik aus Deutschland, an seiner Regierung und ihrem Handeln - und er ist damit nicht der einzige. Nun reist die deutsche Kanzlerin mit nahezu ihrem gesamten Kabinett für 24 Stunden zu Regierungskonsultationen nach Jerusalem. Es ist allerdings eher unwahrscheinlich, dass Angela Merkel ihrem israelischen Gegenpart, Premierminister Benjamin Netanjahu, gegenüber offen Kritik an seiner Regierung oder an deren Handeln übt. Wenn sie in der Vergangenheit mit Netanjahu Differenzen ausmachte, klang das hinterher etwa so: "Wir haben uns darauf geeinigt, uneinig zu sein."

Es geht nur um ein paar Abkommen

Statt um eine offene, den deutsch-israelischen Beziehungen förderliche Auseinandersetzung miteinander, wird es um ein paar Abkommen und Vereinbarungen gehen, von der sogenannten Ghettorente, die Tausende jüdische ehemalige Ghettoarbeiter endlich erhalten sollen, bis zur Übernahme konsularischer Beziehungen.

Dabei gäbe es in der Tat manches hier, mit dem man sich als geladener Gast des politischen Establishments auseinandersetzen könnte: Und wer hätte dabei einen besseren Stand als die Kanzlerin, der Staatspräsident Schimon Peres am Dienstag einen Orden verleihen wird, unter anderem für ihr "unablässiges Engagement für Israels Sicherheit und für herausragende moralische Führungsqualitäten". Gerade eine solche Ordensträgerin sollte - als Zeichen ihrer ehrlichen Freundschaft und Zugeneigtheit - deutlich sagen, was denn außer Iran, Hisbollah und Hamas, drei der ewigen Feinde, die von Netanjahu quasi im Stundentakt ins Feld geführt werden, einem friedlichen Dasein in der Region sonst noch abträglich ist.

Da wäre zuvorderst die Siedlungspolitik, die von einem Großteil der aktuellen Regierung als, ja: Staatsräson begriffen wird. Noch nie waren die Siedler so mächtig und so zahlreich im Kabinett und in der Knesset vertreten wie in dieser Legislaturperiode. Nur als Beispiel: Einer davon, der langjährige Siedlerführer Uri Ariel, ist zum Beispiel Wohnungsbauminister. Der Katze auch noch die Sahne geben, lautet eine hebräische Redewendung, wenn etwas gar zu offensichtlich ist. Wen wundert da, dass 2013 laut Peace Now das Jahr war, in dem mehr Bauvorhaben jenseits der Grünen Linie angekündigt wurden als je zuvor? Und während Netanjahu fleißig Bekenntnisse zu Friedensverhandlungen und zur Zwei-Staaten-Lösung von sich gibt

  • organisiert jener Uri Ariel Massengebete gegen den Frieden vor der Klagemauer,
  • nennt der israelische Verteidigungsminister Mosche Jaalon den US-Außenminister John Kerry, der sich federführend um eine Vereinbarung zwischen Israel und den Palästinensern kümmert, "messianisch und obsessiv",
  • sagt der Wirtschaftsminister Naftali Bennett, sobald es ernst würde mit den Verhandlungen, sprenge er die Koalition. Denn niemals gebe er das Westjordanland, das "jüdische Herzland" auf.

Als Ordensträgerin für die israelische Sicherheit böte sich hier zumindest die Frage an, wem es denn nun tatsächlich ernst ist mit einem friedlicheren Zusammenleben mit den Nachbarn.

Zumindest verwundert anmerken könnte Angela Merkel als Freundin Israels auch die Tatsache, dass Beistand zwar unbedingt erwünscht zu sein scheint; Kritik aber, selbst wenn sie recht leise und fragend daherkommt wie kürzlich bei Martin Schulz, nicht erlaubt ist.

Denn anders als der Regisseur Dror Moreh, der diese Kritik von Freunden für unverzichtbar hält, ist Netanjahu eher der Meinung seines Wirtschaftsministers, der früher sein Bürochef war. Bennett verbat sich explizit kritische Anmerkungen auf Deutsch. Freundschaft handelt aber nicht nur von geschenkten U-Booten, könnte die Kanzlerin da etwas schnippisch sagen - und damit den bös gemeinten Anwürfen von Bennett und anderen Mitgliedern seiner Siedlerpartei auf gleichem Niveau entgegentreten.

Denn fest steht doch, dass die historische Verantwortung, die Deutschland gegenüber Israel hat, die "special relationship", über die auch jetzt wieder anlässlich dieses Regierungstreffens gesprochen wird, sich viel eher auf das Land und die Menschen bezieht, die hier leben, als auf die jeweilige Regierung und deren Köpfe.

Dass man in Israel nicht unbedingt besser beraten ist, wenn man den Kopf einzieht, nickt und flüstert, mag Angela Merkel, die hier nie gelebt hat, nicht wissen.

"Hier muss man auch mal schreien und auf den Tisch hauen, auch als Freund", sagt Dror Moreh und hat natürlich recht.

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