Merkels Asien-Reise Aussteigerin unter Einsteigern

Kanzlerin Merkel, Orchidee "Dendrobium Angela Merkel": Dekorativ und anpassungsfähig
Foto: Michael Kappeler/ dpaAngela Merkel ist wirklich schön anzusehen. Sie blüht prächtig in weiß und violett, dazu einen Tick grün. Stolz und aufrecht steht sie da auf dem Tisch, an diesem feucht-heißen, tropischen Donnerstagmorgen im botanischen Garten von Singapur. Daneben, im weißen Blazer, auch ein wenig stolz, die echte Angela Merkel, die Patin von Dendrobium Angela Merkel. Gerade eben hat die Bundeskanzlerin ein Schildchen mit ihrem Namen in den Topf mit der Orchidee gesteckt. Ab sofort heißt sie so wie sie.
Es ist eine besondere Ehre: Die Orchidee ist die Nationalblume Singapurs, immer wieder gerne benennt man hier ein Exemplar nach großen Gästen des kleinen Stadtstaates. Die Queen wächst und gedeiht im VIP-Garten neben Lady Di und Nelson Mandela und Helmut Kohl. Gerhard Schröder sollte 2003 auch eine bekommen, aber er sagte lieber ab, wegen der damaligen Seuchengefahr durch SARS. Jetzt ist Merkel dran: Sie hat den Besuch in Singapur schon mehrfach absagen müssen, nun gibt sie ihren Namen für ein hübsches Pflänzchen her - übrigens eine Kreuzung aus einer natürlich gewachsenen Orchidee und jener, die dem indonesischen Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono gewidmet ist. Dendrobium Angela Merkel ist nicht nur dekorativ, sie gilt auch als ziemlich widerstands- und anpassungsfähig.
Eigenschaften, die auch die Namensgeberin derzeit gut gebrauchen kann. Denn Merkel muss gerade kämpfen, um die eigenen Reihen, um die Opposition, um die Bürger, um ihre Glaubwürdigkeit. Die jüngste Forsa-Umfrage sieht die Union auf einem Jahrestief - und die Grünen bedrohlich nah. Der geplante Atomausstieg der schwarz-gelben Koalition treibt die Parteien genauso um wie die Bürger.
Angela Merkel verfolgt ihr Großprojekt bis in die Ferne Asiens. Nicht allein, weil die Kanzlerin auf ihrer Reise natürlich stets über die neusten heimatlichen Entwicklungen in Sachen Energiewende informiert wird. Die politische Entscheidung, bis spätestens 2022 in Deutschland komplett auf Kernenergie zu verzichten, sorgt auch in ihren Gastländern Indien und Singapur für große Aufmerksamkeit. Nur, von einer Vorreiterrolle, wie sie die deutsche Regierungschefin noch am Montag unmittelbar nach der Verkündung der Eckdaten des Ausstiegs angepriesen hat, kann dabei keine Rede sein.
Singapur will nukleare Option prüfen
Nicht einmal in Singapur, flächenmäßig kleiner als Berlin. Knapp über fünf Millionen Menschen leben hier, die Wirtschaft wächst, im vergangenen Jahr waren es satte 14,5 Prozent. Im Zentrum der Stadt sind die Zeichen des Booms zu bewundern, Wolkenkratzer schießen aus dem Boden, am Wasser steht das gigantische Riesenrad "Singapore Flyer", ein Stück weiter der spektakuläre, milliardenschwere "Marina Bay Sands"-Komplex: drei 55-stöckige Türme, die Mega-Hotel und Kasino beherbergen, in fast 200 Metern Höhe verbunden durch einen "Skypark" von mehr als einem Hektar Fläche.
Der Regierungssitz ein paar Kilometer weiter landeinwärts mutet wegen des britischen Landhaus-Flairs zwar altmodischer an. Bescheidener ist er deswegen nicht. Der Garten des Hauses besteht aus einem Golfplatz. Im Inneren steht am Mittwochnachmittag der Premierminister Singapurs unter einem prächtigen Kronleuchter und bekommt von einer Journalistin einer heimischen, staatlichen Zeitung die Frage nach dem Atom gestellt. Das sei ja in Deutschland gerade eine große Diskussion, sagt die junge Frau, und will wissen, was denn Lee Hsien Loong davon hält.
Nun steht in Singapur bislang kein Atomkraftwerk. Aber das könnte sich in nicht allzu ferner Zukunft ändern. Immer wieder hat die Regierung angedeutet, dass sie mittel- und langfristig dem Atomclub beitreten könnte. Erst im Herbst vergangenen Jahres nannte der Premier die Kernenergie einen "wichtigen Teil bei der Lösung der Energieprobleme der Menschheit".
Singapur habe sich noch nicht entschieden, sagt Lee Hsien Loong nun bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel. Aber die Nutzung der Atomkraft sei weiterhin eine Option, die man prüfen müsse. Sein Land müsse alles über diese Energieform wissen, denn sie werde nicht verschwinden. "Und selbst, wenn wir selbst keinen Strom aus Nuklearenergie erzeugen, dann werden es unsere Nachbarn tun, und dann müssen wir verstehen, welche Konsequenzen das für uns hat", sagt der Regierungschef mit freundlicher Stimme.
Eigentlich bekam Singapur die Konsequenzen erst vor wenigen Wochen zu spüren, als das AKW im japanischen Fukushima explodierte, wahrlich keine Welten entfernt. In Lebensmittelimporten aus dem Katastrophengebiet wurden in Singapur erhöhte Strahlenwerte entdeckt, die Einfuhr bestimmter Produkte anschließend verboten. Lehren hat man daraus offenbar nicht gezogen, obwohl ein Gau in einem Kraftwerk im kleinen, aber dicht besiedelten Stadtstaat dramatische folgen haben könnte.
Indien will Atomkraft stark ausbauen
Merkel schweigt zu den Atomvisionen Lees. Ihr missionarischer Eifer in Sachen Ausstieg war schon tags zuvor bei ihrer ersten Station in Indien erschlafft. In Delhi machte Premierminister Manmohan Singh deutlich, dass auch er die Atomkraft "auf absehbare Zeit unverzichtbar" hält. Das Riesenreich will seine Kapazität in Nuklearenergie bis 2020 von derzeit rund fünf 20 Gigawatt steigern. Zuletzt war gar davon die Rede, die Leistung bis 2032 auf mehr als 60 Gigawatt auszubauen, das größte AKW der Welt ist in Planung.
Merkel versuchte zumindest auf öffentlicher Bühne erst gar nicht zu widersprechen, sie weiß, dass der Energiehunger Indiens gigantisch ist. Jedem Land stehe es frei, selbst über seinen Energiemix zu bestimmen, sagte sie beim gemeinsamen Auftritt mit Singh. Die Vorreiterrolle in der Energiepolitik bleibt vorerst ein Wunschgedanke und Merkel auf ihrer Asien-Reise eine Aussteigerin unter Einsteigern. Am Donnerstagnachmittag hält sie als erste Frau überhaupt die traditionsreiche "Singapore Lecture". Noch einmal streift sie in ihrem Vortrag im Ritz Carlton Hotel kurz das Potential, dass sie bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der beiden Länder auch im Bereich der Erneuerbaren Energien sieht. Auf Sinn oder Unsinn der Atomkraft geht sie nicht ein. In der anschließenden Fragerunde kommt das Thema dann doch zur Sprache. Merkel aber mag keine direkten Ratschläge geben, geschweige denn, offen vor den asiatischen Atomplänen zu warnen. Sie rechtfertigt ihre politische Entscheidung, verweist auf das Restrisiko und mahnt höchste Sicherheitsstandards für alle Kraftwerke an.
Am Nachmittag wird Merkel in Berlin zurückerwartet. Ursprünglich wollte sie noch nach Vietnam weiterreisen. Ein Staat übrigens, der sich fest vorgenommen hat, zur Nuklearnation zu werden. 2020 soll mit russischer Hilfe der erste Atommeiler fertig sein, sieben weitere im Jahrzehnt darauf folgen. Die Kanzlerin hat den Abstecher nach Hanoi schon vor einigen Wochen abgesagt, weil sie absehen konnte, dass sie in diesen Tagen zu Hause gebraucht wird.
Für den Atomausstieg.