Merkels größte Probleme Koch, Krise, Chaospartner

Angela Merkel ist gefordert wie nie. Europa braucht sie als Schrittmacher gegen Schuldenkrise und für Währungsstabilität, in Deutschland muss sie die Koalition endlich aufs Gleis setzen - und sich gegen Parteifreunde wehren. SPIEGEL ONLINE analysiert die größten Problemfelder der Kanzlerin.
Kanzlerin Merkel: Harte Tage für die Regierungschefin

Kanzlerin Merkel: Harte Tage für die Regierungschefin

Foto: MICHAEL SOHN/ AP

Kanzlerin

Stabilität des Euro

Berlin - Was für Tage liegen da hinter der . Griechenland schrammte nur knapp an einer Pleite vorbei, lange hatte Angela Merkel die konkreten Hilfszusagen der Europäer hinausgezögert; dann sagte sie 22,4 Milliarden Euro an deutschen Krediten zu. Sie bangte um die , versprach schließlich 123 Milliarden Euro für einen Rettungsschirm. Ihre CDU schmierte bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ab, die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat ist futsch.

Zwei milliardenschwere Rettungsaktionen und eine Niederlage - man sieht ihr das an, begegnet man Angela Merkel in diesen Tagen. Kaum ein Kanzler vor ihr musste Vergleichbares leisten. Es steckt ihr in den Knochen. Ihr Blick müde wie selten, die Lider schwer und manchmal halb geschlossen.

Es wird nicht leichter werden für die Kanzlerin. Eher schwerer. Und komplizierter.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise, der Kampf für die Stabilität der Währung und gegen die Schuldenmacherei der Staaten Europas - inklusive Deutschlands: Das wird ihre nächsten Jahre in der Politik bestimmen.

Rumoren in der CDU

Als Präsidialkanzlerin gibt sich Angela Merkel gern. Als Regierungsmoderatorin. Sie lässt Kontrahenten diskutieren, dann bindet sie die Meinungen zusammen und geht damit nach draußen. So hat sie es in den glückseligen Zeiten der Großen Koalition gemacht. Jetzt, mit Schwarz-Gelb, funktioniert das nicht mehr. Führungsstärke verlangen sie von ihr in der FDP. Und auch in der eigenen Partei rumort es gehörig.

Ohne Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen hat Merkel es noch mit zehn mächtigen Länderfürsten der Union zu tun. Wenn die wollen, können sie eine schwarze Phalanx sein, können Merkel das Regieren schwer und die Spielräume eng machen. Sie alle haben etwas zu verlieren: Sie fürchten den Gegenwind von der Bundesebene, fürchten das Rüttgers-Schicksal. Manch einer sucht jetzt das Heil in der eigenen Agenda: War der Kurs der Kanzlerin nicht immer schon zu modern? Muss nicht mehr getan werden für die konservative Stammbelegschaft? Zeigt Merkel eigentlich mal klare Kante?

Roland Koch

Mächtiger Wortführer der Ministerpräsidenten ist der Hesse . Mit mehreren Interviews hat er seit der NRW-Niederlage auf sich aufmerksam gemacht. Zuletzt hat er von Merkel Einsparungen verlangt - ausgerechnet bei den geplanten Ausgaben für Bildung, Forschung und der Kinderbetreuung. Die einen in der Union finden das ganz richtig, die anderen schreien auf. Der Kanzlerwahlverein CDU ist aufgewacht.

Koch ignoriert Merkels Basta-Versuch

Merkel hat eines ihrer seltenen Machtworte gesprochen, hat Koch in die Schranken gewiesen. Hat erklärt, dass es bei ihrer Schwerpunktsetzung auf Bildung und Familie bleibt. Aber was macht Roland Koch? Der legt noch einmal nach, beharrt auf seinen Vorschlägen, fordert im SPIEGEL Sparaktionen in "gewaltiger Größenordnung", ignoriert Merkels Basta-Versuch. Der CDU-Mann aus Wiesbaden prophezeit Merkel ein düsteres Szenario, sollte der Schuldenmacherei nicht endlich Einhalt geboten werden: Er bringt Steuererhöhungen ins Spiel.

Für Schwarz-Gelb in Berlin kommt das einem politischen Schlag in die Magengrube gleich. Hatte man sich doch eigentlich massive Steuersenkungen auf die Fahnen geschrieben. Nach der NRW-Wahl kassierte Merkel dieses Versprechen, zumindest mit Blick auf die kommenden zwei Jahre. Es ist kein Geld da. Und auch keine Mehrheit im Bundesrat.

Aber Steuererhöhungen?

Schon jetzt leidet Merkels Regierung unter einem dramatischen Ansehensverlust. In der letzten Infratest-Umfrage für den ARD-Deutschlandtrend sackten Union und FDP auf gemeinsam nur noch 39 Prozent ab. Davon entfielen 32 Prozent auf CDU und CSU sowie nur noch sieben Prozent auf die Liberalen.

Merkel kann dem Niedergang nicht zusehen. Sie muss handeln. Insbesondere auf drei Baustellen. SPIEGEL ONLINE zeigt sie.

Baustelle I - Das Sparprogramm

Die Kanzlerin stimmt die Bürger bereits auf den neuen Kurs der Regierung ein: drastisches Sparen. Deutschland habe seit vielen Jahrzehnten über seine Verhältnisse gelebt, sagte Merkel auf dem Ökumenischen Kirchentag in München. "Wir haben jedes Jahr mehr ausgegeben, als wir eingenommen haben." Das müsse sich ändern. "Wir müssen darauf achten, dass wir zu einem Leben kommen, bei dem wir nicht dauernd über unsere Verhältnisse leben."

Was bedeutet das konkret? Merkel schweigt bisher dazu.

Wolfgang Schäuble

Im Juni soll Finanzminister (CDU) nach SPIEGEL-Informationen ein Sparprogramm vorlegen. Nur eines hat Merkel nach den Interventionen von Parteifreund Koch deutlich gemacht: Bei Bildung, Forschung und Kinderbetreuung soll nicht gespart werden. "Ich halte nichts davon, diese zentralen Aspekte in Frage zu stellen", sagte Merkel der "Süddeutschen Zeitung".

Horst Seehofer

Unterstützung bekommt sie von der Schwesterpartei. CSU-Chef wies Kochs Forderungen zurück: "Das ärgert mich." Es habe keinen Sinn, "wenn jetzt jeder mit einzelnen Vorschlägen" in der Sparpolitik komme. Gleichzeitig setzt der Bayern auf eine "Philosophie des Sparens". Die Menschen würden fordern: "Bringt Eure Finanzen in Ordnung, raus aus den Schulden". So eine Stimmung im Lande habe er "noch nie erlebt", so Seehofer in der "Welt am Sonntag".

Wenn Merkel den Bildungsbereich verschonen will, wird sie bei anderen Haushaltsposten entsprechend härter sparen müssen. Denn das gesamtstaatlich mit mehr als 1,7 Billionen Euro verschuldete Deutschland soll eine Vorreiterrolle im europäischen Vergleich einnehmen. In Kürze will die Regierung eine Initiative für ein europaweit abgestimmtes Konsolidierungsprogramm in der Euro-Zone starten. So soll das Vertrauen in die angeschlagene Gemeinschaftswährung wieder hergestellt werden. Schäuble wird die Idee nach SPIEGEL-Informationen bei einer der nächsten Sitzungen der Euro-Gruppe vorbringen.

Für die anstehende Sanierung der öffentlichen Kassen in Deutschland will Merkel die Länder für ein gemeinsames Sparkonzept gewinnen. Als Forum dafür möchte sie den neu geschaffenen Stabilitätsrat von Bund und Ländern nutzen. Es habe keinen Sinn, dass Bund und Länder ihre Etats wie bisher weitgehend unabhängig voneinander gestalten, sagt ein Regierungsmitglied dem SPIEGEL - denn so könnten Einsparungen, für die Gesetzesänderungen notwendig sind, oft nur mit Zustimmung der Länder auf den Weg gebracht werden.

Klar ist schon jetzt: Durch die im Grundgesetz neu verankerte Schuldenbremse muss der Bund von 2011 an jedes Jahr zehn Milliarden Euro einsparen.

Baustelle II - Krisenkosten gerecht verteilen

Vor zwei Jahren der deutsche 500-Milliarden-Euro-Rettungsschirm für die Banken, jetzt der internationale 750-Milliarden-Euro-Schutzschirm für den Euro: Bisher unvorstellbare Summen an Steuergeld hat Merkel in ihrer Kanzlerschaft schon für die Krisenbewältigung bereitgestellt, in Form von Bürgschaften oder Krediten. Die Regierung ist bei privaten Banken eingestiegen, um sie zu retten. Was aber haben die Verursacher der Misere an Krisenbewältigung geleistet? Nicht wirklich viel bisher.

Da stellt sich die Gerechtigkeitfrage. Merkel muss sie beantworten. Schnellstmöglich. Bisher ist ihren Forderungen nach Regulierung der internationalen Finanzmärkte wenig Handfestes gefolgt. Wenigstens hat die schwarz-gelbe Koalition kürzlich eine nationale Bankenabgabe verabschiedet, die die deutsche Kreditwirtschaft verpflichtet, eine Milliarde Euro pro Jahr bereit zu stellen.

Doch diese Zahl wirkt lächerlich gering. Das weiß auch Merkel. Deshalb setzt sie jetzt auf weitergehende mögliche internationale Vereinbarungen. Etwa die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) favorisierte "Financial Activity Tax", eine Steuer auf Gewinne und Vergütungen der Banken.

Die deutsche Opposition dagegen fordert eine Steuer auf Finanztransaktionen. Die favorisieren auch Merkels bayerische Partner von der CSU. Da wird's dann kompliziert.

Baustelle III - Der nervöse Koalitionspartner und seine Projekte

Angela Merkel muss sich im Umgang mit der FDP etwas einfallen lassen. Starteten die Liberalen infolge ihres 14,6-Prozent-Rekordergebnisses bei der Bundestagswahl schier übermütig in die ersehnte schwarz-gelbe Regierung, so ist nun der Polit-Jammer groß.

In den Umfragen sind sie auf die Hälfte zusammengeschrumpft, Parteichef Guido Westerwelle gilt als unbeliebt beim Volk. Ungewöhnlich für einen Außenminister.

Nach dem Regierungsverlust in Nordrhein-Westfalen sind die Liberalen hochnervös. Denn es sind ihre Prestigeprojekte, die jetzt auf dem Spiel stehen. Die Steuersenkung? Hat die Kanzlerin nach dem Düsseldorfer Urnengang auf Eis gelegt. Die Kopfpauschale im Gesundheitssystem? Dafür fehlen jetzt die Mehrheiten im Bundesrat. Und CSU-Chef Seehofer gibt sich unerschütterlich in seiner Ablehnung des Prämienmodells: "Abstrakte Diskussionen" würden jetzt schaden. Es müsse darum gehen, die steigenden Ausgaben im Gesundheitssektor in den Griff zu bekommen.

Für die FDP ist das alles besonders schmerzhaft: Mit den Steuersenkungen ist den Liberalen nicht nur ein politisches Thema abhanden gekommen - sondern auch das Projekt. Denn jahrelang hatte sich die Westerwelle-Truppe auf die milliardenschweren Steuersenkungen reduzieren lassen. Jetzt ist da plötzlich nichts mehr.

Zudem ist das Vertrauensverhältnis zwischen Merkel und den Liberalen gestört. Das macht eine Episode am Rande der Euro-Rettungsaktion deutlich: Auf die Sondersitzung der Finanzminister entsandte die Kanzlerin für den erkrankten Wolfgang Schäuble ihren CDU-Innenminister Thomas de Maizière - und nicht den eigentlich zuständigen FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle. Ihm traute sie die Aufgabe nicht zu.

Wie nervös die Liberalen augenblicklich sind, zeigt auch ein Blick in die zweite Reihe. Dort richtet sich die Wut direkt gegen die Kanzlerin. Baden-Württembergs FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke machte Merkel mitverantwortlich für die NRW-Schlappe und warf ihr einen "dramatischen Mangel an politischer Führung" vor. Sie habe die Niederlage und den Verlust der Bundesratsmehrheit billigend in Kauf genommen. "Es wäre an Frau Merkel gewesen, die wesentlichen Inhalte des Koalitionsvertrags auf den Weg zu bringen." Stattdessen habe sie Reformen bei Steuern und Gesundheit verschleppt und sei ihrem Motto "Nirgendwo anecken" treugeblieben. "Für eine solche Strategie ist es durchaus praktisch, wenn man keine Mehrheit im Bundesrat hat", sagte der FDP-Politiker.

Auch Spartipps hat Rülke parat für die Kanzlerin - und nimmt sich ausgerechnet das Thema Hartz-IV-Kürzungen vor, das Merkel wiederum Gerechtigkeitsprobleme (Baustelle II) bescheren könnte. "Man muss den milliardenschweren Sozialhaushalt durchforsten", so Rülke. Es gebe "einen Wildwuchs an Förderprogrammen, das ist wirklich atemberaubend".

Feuer auch aus Niedersachsen: "Angela Merkel hat in den letzten Monaten nicht die Deutungshoheit der CDU über den Koalitionsvertrag gehabt", so FDP-Wirtschaftsminister Jörg Bode. Er mahnte mehr Geschlossenheit und ein Ende des "Stimmen-Wirrwarrs" bei Schwarz-Gelb an: "Wir führen in Berlin seit sechs Monaten Koalitionsverhandlungen."

Und kein Ende in Sicht.

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