Merkels Rückzieher Wie die Europäer Obamas Klima-Kampf torpedieren
Washington - Der Besucher ist so wichtig, dass er nicht einmal stehen muss. Wenn Barack Obama in diesen Tagen in Gesellschaft vor die Presse tritt, reihen sich selbst designierte Minister meist brav in einer Reihe hinter ihm auf - doch als der künftige Präsident in Chicago Al Gore empfängt, bittet er ihn artig an einen Tisch. Gore ist schließlich ein Friedens-Nobelpreisträger, ein Ex-Vizepräsident, viele feiern ihn als Retter des Weltklimas.

Designierter US-Präsident Barack Obama, Nobelpreisträger Al Gore: "Die Zeit des Zögerns ist vorbei"
Foto: DPAUnd die beiden Männer, mit dem designierten Vizepräsidenten Joe Biden an ihrer Seite, sprechen auch gleich über die ganz großen Themen: den globalen Klimakollaps, das Wohl des Planeten.
"Wir sind uns einig, dass die Zeit des Zögerns oder des Leugnens vorbei ist", beginnt Obama. Der designierte Präsident verspricht Zusammenarbeit beim Klimaschutz mit Demokraten und Republikanern, mit Bürgern und Industrie. "Das ist wichtig für die nationale Sicherheit." Obama will die Schadstoffemissionen der USA bis 2020 auf den Stand von 1990 senken - im vergangenen Jahr lagen sie rund 17 Prozent darüber. Für die USA ist das eine Revolution.
Gore schaut entschlossen drein. Im Hintergrund ragen drei US-Flaggen ins Bild. Nationale Klima-Aufbruchstimmung nach acht Jahren Bush-Blockade - manche Beobachter werten Gores Auftritt schon als Zeichen, er könne Klimabotschafter der neuen Regierung werden.
"Das kratzt an unserer Glaubwürdigkeit"
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel inszenierte sich auch mal als Klimaschützerin. Im August 2007 ließ sie sich im Eis von Grönland fotografieren. Kurz zuvor hatte sie beim G-8-Gipfel in Heiligendamm einen globalen Klima-Fahrplan vorangetrieben.
Doch diese Zeiten sind vorbei. Nun, da Ende der Woche die europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel über CO2 und Co. beraten sollen, verkündet sie: "Der EU-Gipfel wird keine Klimaschutzbeschlüsse fassen, die in Deutschland Arbeitsplätze oder Investitionen gefährden. Dafür werde ich sorgen."
Kein Wunder, dass angesichts solcher Töne die Verhandlungen über ein neues Uno-Klimaabkommen im polnischen Posen festgefahren sind - schon nach einer Woche. Merkels Klimaberater Hans Joachim Schellnhuber zürnt in der "Financial Times Deutschland": "Deutschland hat sich vergangenes Jahr massiv für den Klimaschutz eingesetzt; nun fordern wir mehr Sondertatbestände als andere Länder. Das kratzt an unserer Glaubwürdigkeit."
Auch viele Klimaschützer in den USA sind verwundert. Gerade übernimmt eine neue US-Regierung die Macht, die zu echten Anstrengungen im Klimaschutz bereit scheint - da drohen die Europäer nicht mehr mitzuziehen.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, derzeit auch EU-Ratspräsident, ringt zwar in Posen noch um eine Einigung, und nur der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi agitiert wirklich lautstark als Einzelkämpfer gegen strengere Klimavorschriften. Doch die Aufbruchstimmung, die im Frühjahr 2007 rund um den G-8-Gipfel zu spüren war, ist bei den allermeisten EU-Staaten verflogen.
"Es hängt vor allem an den Europäern"
Eigentlich hätte es "eine Traumhochzeit der Klimaschützer" werden können, sagt Peter Goldmark vom "Environmental Defense Fund" in New York, einer der bestvernetzten Klimaexperten der USA. "Auf Angela Merkel wartet mit Obama endlich ein Bräutigam im Weißen Haus. Nur ist nun nicht mehr klar, ob Merkel noch am Altar auf ihn wartet."
Goldmark hält Merkels Schwenk für verheerend - schließlich brauche Obama in seinem ersten Amtsjahr besonders viel Unterstützung. "Niemand erwartet mehr, dass es in Posen eine Einigung auf ein neues Abkommen gibt", sagt Goldmark. Ob wenigstens bis Ende 2009 ein Durchbruch gelingen könnte, hänge nun "vor allem von den Europäern ab".
Die künftige Rolle der USA in der Klimapolitik ist Goldmark zufolge derzeit nicht sicher vorherzusagen. "Der neu gewählte Kongress ist noch unberechenbar", sagt der Experte, "und das gesamte Land ist derzeit auf die Wirtschaftskrise fixiert. Nur eines wissen wir: Wenn Europa schwankt, wird jeder Fortschritt in Washington noch viel schwieriger." Denn Gegner einer scharfen Klimapolitik in den USA können bei Streitfragen künftig einfach auf die unentschlossenen Europäer verweisen.
Ökonomie vor Ökologie
Sowohl in den USA als auch in der EU hat die tiefe Wirtschaftskrise die Klimapolitik von der politischen Agenda verdrängt. Ökonomie geht in diesen Tagen für viele vor Ökologie, beides wird gegeneinander ausgespielt.
Der republikanische Senator James Inhofe aus dem US-Staat Oklahoma warnt, jede Art von Schadstoffbegrenzung sei ein "Todesstoß" für die angeschlagene US-Industrie. Sogar der Demokrat John Dingell donnert aus dem Repräsentantenhaus: "In Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs sind Kongressmitglieder extrem zögerlich, Firmen weitere Belastungen aufzubürden."
Im Kongress, der jeder Klimainitiative zustimmen muss, haben jetzt zwar die Demokraten eine überdeutliche Mehrheit - und seit kurzem leitet ein erklärter Klimaschützer den wichtigen Energie-Ausschuss im Repräsentantenhaus. Doch auch in Obamas Partei gibt es noch immer eine starke Gruppe namens "Dirty Democrats": Politiker aus Staaten mit mächtiger Kohle- oder Stahlindustrie. Sie stellen fast jeden vierten Senator der Demokraten. Und sie sehen die Klimavorstöße skeptisch.
Besonders umstritten ist, dass Obama ein Emissions-Handelssystem einführen will. In der EU gibt es das schon: Firmen müssen sich an einer Börse das Recht erkaufen, die Luft zu verschmutzen. Diese Emissionszertifikate wurden in Europa allerdings so günstig auf den Markt gebracht, dass sie nach Meinung vieler Experten eher den Energiekonzernen nutzten. Obamas Team plant deshalb, derlei Zertifikate in den USA zu versteigern. Kritiker geißeln diese Idee als eine Art Steuer auf den CO2-Ausstoß - was in der aktuellen Krise kein populäres Konzept ist.
Obama braucht Europa
Obama weiß, wie brisant diese Pläne sind. Der Demokrat hat im Wahlkampf kaum darüber geredet, sondern lieber versprochen, die Forschung nach alternativen Energien zu fördern. Dafür will er jetzt 15 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen.
Immerhin bekräftigte Obama kurz nach seinem Sieg in einer Videobotschaft an die US-Gouverneure: "Sobald ich Präsident bin, können Sie darauf zählen, dass die USA die Welt zu einer neuen Zusammenarbeit beim Klimaschutz führen werden." Auch John Podesta, der Chef von Obamas Machtübernahme-Team, sprach kürzlich bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington vor allem über neue Pläne für globalen Klimaschutz.
Der stärkste Verbündete des neuen Präsidenten im eigenen Land dürften im Übrigen die Bundesstaaten sein. Schon unter Bush preschten sie mit regionalen Initiativen voran. Zehn Bundesstaaten werden im Januar mit einem eigenen Emissionshandel beginnen.
Dann wird auch Obama im Amt sein.