
Flüchtlinge an der Grenze zu den USA "Wir müssen verhindern, dass die Soldaten schießen"


US-Grenzpersonal am Übergang zu Mexiko in Tijuana
Foto: Ramon Espinosa/ AP"Ansturm illegaler Ausländer", "Migrantenhorden", "Invasoren" - US-Präsident Donald Trump und die Republikaner haben im Wahlkampf vor den Midterms kaum einen Tag verstreichen lassen, ohne vor einer angeblichen "Karawane" von Menschen zu warnen, die auf die Grenze der USA zu Mexiko "marschiere". Konservative Sender, allen voran Fox News griffen das Thema auf - und stachelten ihrerseits die Wählerschaft mit Schauergeschichten über die nahenden, vermutlich zum großen Teil kriminellen, Neuankömmlinge auf.
Nun sind die Wahlen gelaufen - und rund 4500 Flüchtlinge aus Ländern Zentral- und Mittelamerikas, darunter viele Familien, haben die Grenze erreicht. In etwa nochmal so viele werden in den kommenden Tagen erwartet. Trump schickte seinerseits Soldaten in die Region und betont immer wieder, die Menschen nicht ins Land lassen zu wollen.
SPIEGEL ONLINE sprach im Auffanglager im Sportstadion von Tijuana mit dem Aktivisten Irineo Mujica darüber, was die Menschen jetzt für Möglichkeiten haben und was die aktuelle Entwicklung für künftige Migrationsbewegungen bedeutet.
Irineo Mujica, 47, ist Mexiko-Direktor der mexikanisch-amerikanischen Migranten-Organisation "Pueblo sin Fronteras" ("Volk ohne Grenzen"). Seine Organisation begleitet die Zentralamerikaner seit dem Start Mitte Oktober in Honduras und hat mit den Behörden in Mexiko unterwegs immer wieder über Transportmöglichkeiten und freies Geleit der Menschen verhandelt.
SPIEGEL ONLINE: Herr Mujica, viele Mitglieder des Migrantenzugs haben Tijuana erreicht? Wie ist die Lage in dem Grenzort?
Mujica: Tijuana ist eine Migrantenstadt, hier gibt es Infrastruktur, hier gibt es Anwälte und Organisationen, die helfen können. Hier sind die Menschen verglichen mit anderen Orten relativ sicher. Und auch der Weg nach Tijuana ist nicht so gefährlich wie der in die anderen Grenzstädte, die vielleicht näher liegen.
SPIEGEL ONLINE: Man hat hier den Eindruck, es herrscht unter den Migranten relative Ratlosigkeit, wie es jetzt weitergeht, und bei den Hilfsorganisationen zugleich ziemliches Durcheinander. Lokale, regionale und internationale Gruppen sind hier aktiv. Auch die Stadt Tijuana mischt mit. Es wirkt alles ein wenig unkoordiniert.
Mujica: Das liegt daran, dass es so viele Flüchtlinge sind, die unterschiedliche Hilfe brauchen. Wir alleine schaffen das nicht, wir sind schlicht überfordert. Daher sind hier die mexikanische Menschenrechtskommission, Pueblo sin Fronteras, das Uno-Flüchtlingshilfswerk, das Rote Kreuz und jede Menge lokale Organisationen, die den Menschen mit Rat und Hilfe zur Seite stehen.
SPIEGEL ONLINE: Was passiert denn konkret?
Mujica: Es wird Anleitung gegeben für diejenigen, die in den USA Asyl beantragen wollen, es wird auch erklärt, was es bedeutet, sich in Mexiko als Flüchtling registrieren zu lassen. Es gibt eine Art Jobbörse. In ganz Mexiko stehen 20.000 Arbeitsplätze für die Migranten zur Verfügung. Manche der Zentralamerikaner suchen sich schon jetzt hier Arbeitsplätze in Tijuana. Aber die Mehrheit von ihnen hat immer noch den festen Wunsch, in die USA zu gelangen. Sie wissen nur nicht, wie sie es am besten machen sollen. Es gibt auch Gerüchte, Drittstaaten wie Kanada oder Japan würden den Menschen Perspektiven bieten.
SPIEGEL ONLINE: Es werden hier in den kommenden Tagen insgesamt bis zu 9000 Migranten erwartet. Was sind die Gefahren einer solchen großen Zahl von hilfsbedürftigen Menschen?
Mujica: Das hier ist nun die harte Realität. Den Flüchtlingen wird spätestens jetzt klar, dass sie diese Grenze, anders als die Übergänge zuvor, nicht so problemlos überwinden können. Da drüben in Sichtweite steht die Grenzmauer zu den USA. Die Menschen sind so nah an ihrem Traumziel und ihm doch so fern. Die Gefahr ist, dass sie jetzt die Nerven verlieren und in großen Gruppen versuchen, die Grenze ohne Papiere zu überwinden. Und dass dann die US-Soldaten tatsächlich schießen. Das müssen wir unbedingt verhindern. Das ist das Horrorszenario. Die Zeit drängt. Es ist für niemanden gut, wenn die Menschen hier monatelang festhängen.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt eine Diskussion darüber, ob diese Menschen schutzbedürftige Flüchtlinge sind - oder Migranten, die ein besseres Leben suchen. Wie sehen Sie das?
Mujica : Diese Menschen sind alle Flüchtlinge. Sie fliehen aus der Heimat vor einer unerträglichen Situation der Gewalt, in der die Jugendbanden den Staat als Ordnungsmacht verdrängt haben und die Bevölkerung terrorisieren. Sie fliehen auch, weil sie keine Perspektive daheim sehen. Sie können nicht genug Geld verdienen, um ihre Familien zu ernähren. Diese Flüchtlingsbewegung aus Honduras, Guatemala und El Salvador gibt es ja schon seit Jahren. Nur war sie nie so konzentriert wie jetzt.
US-Grenzpersonal am Übergang zu Mexiko in Tijuana
Foto: Ramon Espinosa/ APSPIEGEL ONLINE: Werden wir in Zukunft also noch öfter solche massenhaften Flüchtlingsbewegungen sehen?
Mujica : Wenn die Fluchtursachen daheim nicht beseitigt werden und nichts gegen die Gewalt und die Ausbeutung der Migranten durch das Organisierte Verbrechen hier in Mexiko getan wird, die ihnen den Marsch durchs Land in kleinen Gruppen zur Hölle macht, wird das weiter so bleiben.
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Tijuana, Mexiko: Rund 4500 Mitglieder eines Flüchtlingszugs, die allermeisten aus Ländern Zentral- und Mittelamerikas, haben die Grenze erreicht. In etwa nochmal so viele werden in den kommenden Tagen erwartet.
US-Grenzposten blicken auf Tijuana: Präsident Donald Trump hatte zuletzt Tausende Soldaten in die Region geschickt - um sich im Wahlkampf als obersten Grenzhüter des Landes darzustellen.
Familien warten in einem Auffanglager in Tujuana: Die Trump-Regierung hat deutlich gemacht, dass sie die Menschen nicht ins Land lassen will.
Über mehrere tausend Kilometer waren die Mitglieder des Zuges in Richtung USA gereist. Von dem großen Verbund hatten sie sich mehr Sicherheit auf ihrem Treck versprochen. In den konservativen US-Medien wurden sie als "Invasoren" verteufelt - ein Sound, der direkt aus dem Weißen Haus kommt.
US-Grenzkräfte bei einer Übung: Wie es nun mit den wartenden Menschen weitergeht, ist noch offen.
Gruppe an einer Essensausgabe. Helfer Irineo Mujica sagte SPIEGEL ONLINE: "Die Gefahr ist, dass sie jetzt die Nerven verlieren und in großen Gruppen versuchen, die Grenze ohne Papiere zu überwinden. Und, dass dann die US-Soldaten tatsächlich schießen. Das müssen wir unbedingt verhindern."
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