Midterm-Wahlen in den USA Die perfekte Welle

Derzeit halten Republikaner die Mehrheit im Swing State Iowa. Bei den Midterms könnten die Demokraten hier einen ihrer größten Erfolge feiern. Das liegt auch an einem Ex-Baseballprofi und dem Rassisten Steve King.
Wahlkämpfer JD Scholten und Bernie Sanders

Wahlkämpfer JD Scholten und Bernie Sanders

Foto: imago/ ZUMA Press

Der Widerstand in Iowa braucht viel Geduld und sehr viel Benzin. 45 Minuten sind Jane Shuttleworth und ihre vier Mitstreiter, die sich an diesem Mittwochabend im Oktober zusammengefunden haben, über die schnurgerade Landstraße gefahren, vorbei an Mais- und Sojafeldern bis nach Allendorf. Nun stehen sie hier in diesem Kaff, das kaum mehr als ein paar Dutzend Einwohner und einen Speicher hat, halten ihre Schilder hoch und warten.

Hoffentlich kommen dieses Mal mehr Menschen als Ziegen vorbei, hatten sie vorher noch gescherzt. Nach einer Stunde werden sechs Autofahrer, ein Anwohner und ein Hund ihre Plakate gesehen haben. "Familien gehören zusammen", "Es gibt keinen Planeten B" und "Scholten für Kongress", steht darauf geschrieben.

Seit über einem Jahr fährt die "Podunk Resistance Group" jeden Mittwoch in eine andere Stadt, ein Dorf oder Ansammlung von Häusern im Nordwesten Iowas. Zu Beginn ging es ihnen darum, ihren Mitmenschen in ihrem Wahlkreis zu zeigen: Ihr seid nicht allein. Gemeint ist: Es gibt Demokraten in dieser konservativen Gegend.

Iowa ist eigentlich ein klassischer Swing State, mal war die Mehrheit für die Demokraten, mal für die Republikaner. Der Nordwesten aber ist seit Jahren fest in Republikaner-Hand . Hier im 4. Distrikt leben überwiegend Weiße, Farmer und Arbeiter, Amerikas Unter- und Mittelklasse. Es sind treue, überzeugte Republikaner. Mit wenigen Ausnahmen - zum Beispiel Barack Obama 2008 - lagen bei Wahlen hier die konservativen Kandidaten vorn. Donald Trump gewann 2016 mit 27 Prozentpunkten Vorsprung vor Hillary Clinton.

Auch der Republikaner Steve King setzte sich bei seiner Wiederwahl zum Abgeordneten im US-Repräsentantenhaus 2016 mit mehr als 20 Prozentpunkten Vorsprung durch. Seit 16 Jahren schon halten die Wähler im 4. Distrikt Iowas ihm die Treue - obwohl der 69-Jährige vor allem mit Rassismus, Hetze gegen Migranten, Verbindungen zu Neonazis und seinen Reisen auf Steuerzahlerkosten zu Europas Rechten und Rechtspopulisten  statt mit seiner Arbeit an Gesetzen von sich Reden macht. 2015 nannte ihn InsideGov das "unproduktivste Kongressmitglied".

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Und trotzdem: "Viele trauen sich hier nicht zu sagen, dass sie nicht die Republikaner wählen", sagt Shuttleworth. Aber es gibt Hoffnung für die US-Demokraten: Die letzten Umfragen deuten auf eine blaue Welle in Iowa - sowohl im Gouverneursrennen als auch in drei der vier Wahlkreise fürs Repräsentantenhaus liegen die Demokraten knapp vor den Republikanern. Und selbst im 4. Distrikt könnte es eng werden  für Amtsinhaber King, sein Vorsprung beträgt nur noch wenige Prozentpunkte. (Lesen Sie hier, warum die Midterm-Wahlen so wichtig sind.)

Der Fluch der blauen Welle

Der Mann, der die blaue Welle perfekt machen könnte, steigt drei Stunden südlich von Allendorf auf dem Parkplatz der Universität Iowa in Ames aus seinem großen Wohnmobil. JD Scholten ist 38 Jahre alt, ehemaliger Baseballprofi, ein ruhiger sympathischer Typ, der allein wegen seiner Größe von knapp zwei Metern auffällt. Vor mehreren Hundert Zuschauern will er hier in der Alumni-Halle um Stimmen werben. Es ist eine der dankbareren Wahlkampfveranstaltungen, eine vergleichsweise liberale Stadt in seinem Wahlkreis, mehr als Hundert Zuschauer sind gekommen.

Kandidat JD Scholten in seinem Wahlkampfwohnmobil

Kandidat JD Scholten in seinem Wahlkampfwohnmobil

Foto: JD Scholten Campaign

Obwohl nicht der große Redner, hat Scholten mittlerweile eine Routine für solche Auftritte entwickelt, sie sind seine einzige Chance. "Wenn die Leute mich nur im Radio hören oder im TV sehen, dann gewinne ich keine Stimme", sagt er. Die blaue Welle klinge, als sei der Wahlerfolg ein Selbstläufer, sagt er. "Daran glaube ich nicht."

Um noch mehr Menschen zu erreichen, hat er sich das Wohnmobil gekauft und fährt seit 15 Monaten durch seinen Wahlkreis. Der RV "Sioux City Sue" ist sein Zuhause und seine mobile Wahlkampfzentrale zugleich. Er sei der einzige Kandidat, der häufiger auf einem Walmart-Parkplatz schlafe als im eigenen Bett, scherzt er. Am 6. November will er in jedem der 39 Counties mindestens dreimal gewesen sein.

Foto: SPIEGEL ONLINE (Quelle: US-Repräsentantenhaus)

Scholten fährt, King schweigt

Scholten wusste von Beginn an, dass sein Rennen aussichtslos sein könnte. "Sicher republikanisch", war die Vorhersage der Statistiker für den 4. Distrikt. Trotzdem zog er von Seattle zurück nach Iowa. In seiner alten Wahlheimat war er nur einer von vielen, die Widerstand gegen Trump leisteten, in Iowa könnte er vielleicht etwas bewegen - wenigstens King nicht widerstandslos gewinnen lassen.

Wahlkämpfer Scholten: Mit allen Menschen reden

Wahlkämpfer Scholten: Mit allen Menschen reden

Foto: JD Scholten Campaign

Scholten ist einer der demokratischen Kandidaten, der weiter um Ausgleich, um ein Miteinander bemüht ist. "Ich habe alle eingeladen, Demokraten, Unentschiedene und Republikaner, bitte geht respektvoll miteinander um", sagt er zu Beginn jeder Wahlkampfveranstaltung. Auch an diesem Abend in Ames hetzt er nicht gegen Präsident Trump oder King - obwohl er viel an der Politik beider zu kritisieren hat. Er will mehr sein, als "der, der gegen King antritt, er trägt seine Ideen immer wieder vor: Mindestlohn auf 15 Dollar pro Stunde anheben, Gesundheitsversorgung Medicare für alle, ein faires Einwanderungsgesetz. Er werde sich für alle aus Iowa einsetzen, wolle in die für den Staat so wichtigen Ausschüsse für Energie und Landwirtschaft."Standing tall for all", ist sein Motto. Unterstützung bekommt er von Parteigrößen - und sogar Bernie Sanders reiste nach Iowa, um mit Scholten um Stimmen zu werben.

Von King hingegen fehlt in diesem Wahlkampf jede Spur. Er scheint sich seiner Wählerstimmen sicher. Interviews lehnt er ab, sein Team kann noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob der Kandidat gerade im Bundesstaat ist. Abgesehen von einem medienwirksamen Treffen mit Donald Trump, regelmäßigen Tweets und Facebookeinträgen ist es ruhig um ihn. Eine Debatte mit Scholten? Ausgeschlossen. Für Aufsehen sorgt er mit der Unterstützung eines White Nationalists in Kanada und seinen Äußerungen zum Attentat von Pittsburgh.

Amtsinhaber Steve King: Viel Hetze

Amtsinhaber Steve King: Viel Hetze

Foto: AP/ The Des Moines Register

King dürfte seinen Herausforderer und die Lage in seinem Wahlkreis unterschätzt haben. Vieles deutet darauf hin, dass Scholtens Strategie aufgeht. Große Zeitungen wie der "Des Moines Register" haben sich für ihn ausgesprochen , zuletzt entzogen drei wichtige Agrarfirmen King ihre Unterstützung. Ein herber Rückschlag in dem ländlichen Iowa. Bis Mitte Oktober hatte Scholten 1,7 Millionen Dollar an Spendengeldern eingesammelt - mehr als doppelt so viel wie King. Am deutlichsten aber sind die Umfragen: Fast zwei Monate gab es keine Erhebungen für den 4. Distrikt, Ende Oktober dann wurden Ergebnisse veröffentlicht - Scholten ist bis auf einen Prozentpunkt an King herangekommen. Seitdem haben 32.000 Spender Scholten insgesamt noch eine Million Dollar gegeben.

Ob es am Ende für einen Riesenerfolg in Iowa reicht? Scholten bleibt da lieber vorsichtig. Er weiß: Die Treue und Loyalität gegenüber den Republikanern sind in seinem Wahlkreisgroß, viele mögen Trumps und Kings Rhetorik und Taten ablehnen, aber die Republikaner sollten an der Macht bleiben. Immerhin listen die Statistiker von "RealClearPolitics" den Wahlkreis nur noch als "tendiert zu Republikanern", schon das ist ein Erfolg für Scholten und die Demokraten.

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