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Gemeinsames Militärmanöver Präsident Putin demonstriert Macht mit China

297.000 Soldaten, 1000 Flugzeuge: Russland startet das größte Militärmanöver seit Ende des Kalten Krieges. Erstmals nehmen chinesische Soldaten an der Gefechtsübung des Nachbarn teil - als Signal vor allem an die USA.

Der Zeitplan ist genau abgestimmt: Wenn an diesem Dienstag russische und chinesische Soldaten im Fernen Osten Russlands gemeinsam ins Manöver ziehen, wird Präsident Wladimir Putin den chinesischen Staatschef Xi Jinping in Wladiwostok auf dem vierten Östlichen Wirtschaftsforum begrüßen. Die Bilder der Soldaten und Hände schüttelnden Präsidenten werden um die Welt gehen - und sie sind vor allem eine Botschaft an die USA.

Es ist das erste Mal, dass China an einer russischen Militärübung dieses Ausmaßes und Art teilnimmt, bei der es insbesondere gilt, Moskaus Verteidigungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.

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Großmanöver "Wostok": Moskaus neuer Partner Peking

Foto: SERGEI CHIRIKOV/ EPA-EFE/ REX/ Shutterstock

"Beispiellos" nennt Verteidigungsminister Sergej Schoigu das strategische Manöver und verweist allein auf die Größe der Gefechtsübung an der russischen Süd- und Ostflanke in Sibirien und in der Pazifikregion. Die Übung wird bis zum Wochenende andauern.

297.000 Soldaten seien bei "Wostok-2018" (Osten-2018) im Einsatz, 1000 Flugzeuge wie Suchoi Su-34 und Su-35-Jagdbomber, Kampfhubschrauber und Drohnen, 80 Schiffe der Pazifik- und Nordmeerflotte, darunter Fregatten mit Kaliber-Raketen, die in Syrien zum Einsatz kamen, Luftlandetruppen, bis zu 36.000 Panzer, verkündete Walerij Gerassimow, der Generalstabschef der russischen Streitkräfte, vor internationalen Militärs.

Walerij Gerassimow (2.v.l.)

Walerij Gerassimow (2.v.l.)

Foto: SERGEI CHIRIKOV/ EPA-EFE/ REX/ Shutterstock

Schoigu und seinen Militärs ist es wichtig zu betonen, dass "Wostok" das größte Manöver seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist - größer als "Sapad-1981" (Westen-1981), das bis zu 150.000 Soldaten sowie Staaten Osteuropas und Partner des Warschauer Paktes einbezog. Es war das größte Manöver, das die Sowjetunion durchführte.

"Wostok" findet hinter dem Ural statt und damit außerhalb des Geltungsbereichs der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Moskau ist somit nicht verpflichtet, Militärbeobachter der Organisation einzuladen. Es hat dies aber dennoch nach Angaben der Nato getan. Ende Oktober sollen bei einem der größten Manöver des Bündnisses seit Ende des Kalten Krieges in Norwegen 40.000 Soldaten aus 30 Nato-Ländern und Partnerstaaten zusammen trainieren.

Der Verteidigungsexperte Alexander Golts hält die vom russischen Generalstab genannten Zahlen für das Manöver für überzogen, schließlich würde damit ein Drittel der gesamten russischen Armee in Bewegung gesetzt, schreibt er auf dem Onlineportal Jeschednewnij Journal . Da im Osten Russlands gar nicht so eine große Anzahl an Militärtechnik vorhanden sei, hätte diese eigentlich dorthin aus dem europäischen Teil transportiert werden müssen: "Der Versuch würde alle Transportwege über Wochen blockieren", glaubt er.

Chinas Sonderrolle

Jenseits der von Moskau verkündeten angeblichen Superlative ist das Manöver aber eben wegen der Beteiligung Chinas bemerkenswert. Auch wenn Peking nur 3200 Soldaten der Volksbefreiungsarmee, 900 Panzer, Geschütze, 30 Flugzeuge und Helikopter ins Nachbarland Russland östlich des Baikalsees auf das Militärgelände Tsugol schickt, markiert dies eine neue Ebene der militärischen Zusammenarbeit.

Bisher hatte China, das von Moskau inzwischen auch mit S-400-Luftabwehrsystemen und Kampfflugzeugen vom Typ Su-35 beliefert wird, nur an kleineren Übungen wie Marinemanövern oder Antiterrortrainings mit Russland teilgenommen.

Russischer Raketenwerfer (Archiv)

Russischer Raketenwerfer (Archiv)

Foto: MAXIM SHEMETOV/ REUTERS

Dass die Volksrepublik neben der Mongolei nun an einem Großmanöver Russlands beteiligt wird, sei ein starkes Zeichen, das Moskau aussende, sagte Wasilij Kaschin von der Higher School of Economics in Moskau der Zeitung "Wedomosti". "Chinesische Soldaten nehmen an einem strategischen Manöver teil, haben Zugang zu Fragen der strategischen Planung."

Dies war bisher nur Russlands engen Verbündeten wie Weißrussland vorbehalten. "Damit zeigt Russland, dass es China nicht mehr länger als militärische Bedrohung ansieht", so Alexander Gabuew vom Moskauer Carnegie Center.

US-Rivalen rücken zusammen

Diese engere Kooperation wird vor allem vom US-Verbündeten Japan mit Argwohn gesehen, der sowohl mit Peking als auch Moskau im Konflikt liegt. Chinas pazifischer Hauptgegner streitet mit Russland um die strategisch und wirtschaftlich bedeutenden südlichen Inseln des Kurilen-Archipels. In Moskau betonte man, die Kurilen seien vom Manöver "Wostok" ausgenommen. Zudem empfing Putin den japanischen Premier Shinzo Abe noch vor dem chinesischen Staatschef in Wladiwostok.

Und dennoch verfolgt man in Tokio genau, wie Moskau und Peking immer weiter zusammenrücken - zwei Länder, die den Druck Washingtons und des Westens spüren. US-Präsident Donald Trump hatte angekündigt, den Handelskrieg gegen China, der zweitgrößten Volkswirtschaft, auszuweiten. Russland hat sich seit 2014 mehr und mehr Peking zugewandt, nachdem die USA und Europa wegen der Krim-Annexion und des Krieges in der Ostukraine Sanktionen gegen Moskau verhängten. Washington hat die Strafmaßnahmen inzwischen ausgeweitet. Der Westen treibt so die beiden großen Autokratien Eurasiens zusammen.

Präsident Xi Jinping (l.) und Wladimir Putin

Präsident Xi Jinping (l.) und Wladimir Putin

Foto: DMITRI LOVETSKY/ AFP

Putin und Xi treffen sich in Wladiwostok bereits das dritte Mal in diesem Jahr. In der lange von Feindseligkeiten geprägten Geschichte der beiden Nachbarstaaten bedeutet dies eine gute Phase der Beziehungen. Aber eine echte Allianz auf Augenhöhe, die Putin für Russland immer wieder einfordert, ist dies bisher nicht. Zu unterschiedlich sind die Strategien:

  • militärisch: China baut zwar vor allem seine Kriegsmarine aus, aber langfristig sieht sich Peking mehr als Wirtschafts- denn als Militärmacht. Bis heute verfügt China nur über knapp 300 nukleare Sprengköpfe, Russland dagegen über 7000. Anders als Moskau vermeidet es Peking, sich in militärische Abenteuer zu stürzen, erst recht im Nahen Osten. Zum Leidwesen Moskaus hat Peking nie Russlands Annexion der Krim anerkannt.
  • wirtschaftlich: Das rohstoffreiche Russland hat bisher nicht wie erhofft von Chinas wirtschaftlicher Stärke profitieren können. Zwar ist in den vergangenen sieben Monaten der Handel zwischen den beiden Ländern um mehr als 25 Prozent gewachsen, auf knapp 60 Milliarden Dollar, so hat Peking wegen des Handelsstreits mit Washington mehr Sojabohnen aus Russland importiert als je zuvor. Auf Gipfeltreffen verkündete Investitionen in Russland blieben aber oftmals aus. Der geplante Einstieg des chinesischen Konzerns CEFC China Energy mit neun Milliarden Dollar bei Russlands größtem Ölkonzern Rosneft etwa wurde nie realisiert.

Russische Geostrategen besorgt vor allem Chinas wachsender Einfluss im eigenen Land. Dass China heute den westlichen Pazifik zunehmend als seinen strategischen Vorhof definiert, trifft Russland an seiner schwächsten Flanke - dem riesigen, aber wirtschaftlich weitgehend kraftlosen und dünn besiedelten Osten.

Mitarbeit: Katja Kuznetsowa
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