Milliardär gegen Putin "Im schlimmsten Fall droht Bürgerkrieg"

Michail Prochorow: "Wir brauchen keine Revolution, sondern Evolution"
Foto: ? Tatyana Makeyeva / Reuters/ REUTERSSPIEGEL ONLINE: Herr Prochorow, Sie besitzen ein Milliardenvermögen. Bei der Präsidentschaftswahl im März fordern Sie Wladimir Putin heraus. Wo eigentlich steht geschrieben, dass ein erfolgreicher Unternehmer auch ein erfolgreicher Politiker sein kann?
Prochorow: Das ist kein Problem, wenn er außer Führungsqualitäten auch Erfahrungen im sozialen Bereich hat. Als ich an der Spitze des Bergbaukonzerns Norilsk Nickel stand, habe ich mich auch um die Kindergärten, die Energieversorgung und den Wohnungsbau gekümmert. Im Kleinen habe ich also das gemacht, was jetzt in größerem Maßstab auf staatlicher Ebene nötig ist. Es ist gut, wenn jemand Präsident wird, der im Leben schon etwas erreicht hat.
SPIEGEL ONLINE: Denken Sie nicht, dass in Politik und Geschäftswelt unterschiedliche Regeln gelten? Politiker müssen in der Öffentlichkeit um Stimmen ringen, Unternehmer treffen ihre Entscheidungen hinter verschlossenen Türen.
Prochorow: Auch viele politische Entscheidungen fallen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das ist eines der großen Probleme in Russland. Aber auch in westlichen Staaten mit ihrer längeren demokratischen Tradition steht es mit der Beteiligung der Bürger nicht immer zum Besten. Ein Unternehmer kann Geld verlieren und es wieder aufs Neue verdienen. Die Währung der Politik aber ist Vertrauen. Wenn du es einmal verloren hast, kannst du es nur schwer zurückgewinnen.
SPIEGEL ONLINE: Der Vertrauensverlust Wladimir Putins ist dramatisch. Wieso stürzte er innerhalb kürzester Zeit in der Wählergunst ab, nach offiziellen Umfragen von 70 Prozent auf unter 50 Prozent, internen Erhebungen zufolge sogar auf unter 40 Prozent?
Prochorow: Der Hauptfehler passierte am Parteitag der Regierungspartei "Einiges Russland" Ende September, als Medwedew und Putin verkündeten, einfach die Plätze zu tauschen. Das war zynisch. Das hat die Bürger richtig geärgert. Die kreative Klasse hat sich da gesagt: Moment mal, wir verdienen die Steuern. Deshalb verdienen wir Respekt und fordern Respekt ein. Die Menschen schweigen nicht länger, wenn über ihre Köpfe hinweg entschieden wird.
SPIEGEL ONLINE: Hat der Kreml Sie nun ins Rennen geschickt, um diesen Unmut zu kanalisieren?
Prochorow: Ich treffe meine Entscheidungen immer selbst. So bin ich es gewohnt. Ich war niemals irgendein Projekt von irgendjemandem.
SPIEGEL ONLINE: Beleidigt es Sie, wenn Ihr guter Bekannter, der frühere Ölbaron Michail Chodorkowski, der seit acht Jahren in Haft sitzt und dessen Unternehmen gleichsam verstaatlicht wurde, Sie ein Kreml-Projekt nennt?
Prochorow: Nein, ich bin nicht beleidigt und generell schwer zu beleidigen. Es ist meine Aufgabe, den Skeptikern, die mir das Kreml-Etikett umhängen, das Gegenteil zu beweisen. Ich bin mir sicher, dass ich Chodorkowski überzeugen könnte, wenn ich nur mit ihm reden könnte. Michail ist ein hervorragender, talentierter Manager. Er muss jetzt eine schwere Zeit erleben und sitzt im Gefängnis. Wenn ich Präsident werde, sorge ich dafür, dass er frei kommt.
SPIEGEL ONLINE: Sie treten dafür ein, dass jedes politische Amt maximal zweimal an die gleiche Person vergeben wird. Was soll dann aus Wladimir Putin werden, der im März zum dritten Mal in den Kreml einziehen will? Soll er vielleicht den Energiekonzern Gazprom führen und Medwedew vielleicht Präsident des Verfassungsgerichts werden?
Prochorow: Um solche Phantasien zu entwickeln, bin ich zu beschäftigt.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben an den Massenprotesten teilgenommen. Eine der Losungen dort war "Russland ohne Putin". Wie gefällt ihnen der Slogan?
Prochorow: Ich bin für ein Russland mit Putin, aber auch mit dem Schriftsteller Boris Akunin und dem Blogger Alexej Nawalny, die alle Putins Rücktritt forderten. Wenn die verschiedenen Seiten es nicht schaffen, aufeinander zuzugehen, kann es im schlimmsten Fall bis zum Bürgerkrieg kommen. Die Losung "Russland ohne Putin" ruft bei mir jedenfalls keine Begeisterung hervor. Wir brauchen keine Revolution, sondern Evolution.
SPIEGEL ONLINE: Warum treten Sie dann als Präsidentschaftskandidat gegen Putin an?
Prochorow: Eben weil wir Evolution brauchen, neue Köpfe und neue Ideen. Putin hat seine Verdienste. Insbesondere in den ersten Jahren seiner Herrschaft hat er das zerrissene Land geeint, die Steuergesetzgebung vereinfacht. Die Einkommen der Menschen stiegen. Genau diese neue Mittelschicht, diese gutverdienenden Bürger, wollen nicht länger auf ihre Bürgerrechte verzichten.
SPIEGEL ONLINE: Welche drei Maßnahmen würden Sie als Erstes ergreifen, wenn Sie zum Präsidenten gewählt werden?
Prochorow: Mir geht es darum, in Wirtschaft und Politik für Konkurrenz zu sorgen. Wenn Sie in unseren Großstädten in ein Geschäft gehen, können Sie zwischen Dutzenden Kühlschränken oder Teekesseln auswählen. In der Politik aber haben die Menschen keine Auswahl.
SPIEGEL ONLINE: Was konkret wollen Sie ändern?
Prochorow: Die Gründung neuer Parteien erleichtern. Die Sieben-Prozent-Hürde für das Parlament unbedingt auf drei Prozent senken. Die Amtszeit des Präsidenten von den beschlossenen sechs Jahren wieder auf vier Jahre beschränken. In der Wirtschaft werde ich die Monopole aufbrechen, beispielsweise Gazprom. Und ich werde, drittens, Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Kultur eine hohe Priorität einräumen. Sie sind viel wichtiger als hohe Militärausgaben. Gegenwärtig bedroht niemand unser Land.
SPIEGEL ONLINE: Die Russen lieben Oligarchen nicht. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, in den Kreml einzuziehen?
Prochorow: Vorurteile gegen reiche Unternehmer gibt es, aber sie werden weniger. Das Land liebt heute vor allem die Unehrlichen nicht.
SPIEGEL ONLINE: Die Wahlfälscher und korrupten Beamten.
Prochorow: Ja.
SPIEGEL ONLINE: Wie kommen Sie auf die Idee, dass die Reichen nun besser angesehen sind?
Prochorow: Weil Sie viele Arbeitsplätze schaffen, in ihr Land investieren, sich für Wohltätigkeitsprojekte engagieren und den Menschen helfen. Ich spreche im Wahlkampf viel mit einfachen Menschen. Immer wieder kommen Bürger auf mich zu und sagen: Eigentlich bin ich Kommunist, aber ich werde für dich stimmen, weil ich weiß, dass du nicht klaust. Jetzt ist der Moment, in dem erfolgreiche und wohlhabende Menschen an die Macht müssen und nicht diejenigen, die ihre Ämter benutzten, um sich zu bereichern.
SPIEGEL ONLINE: Wie weit nach oben reicht die Korruption, von der Sie reden? Sind auch Präsident Dmitrij Medwedew, Premierminister Wladimir Putin und Minister korrupt?
Prochorow: Gemach, gemach. Die Korruption ist ein Erbe der Sowjetunion, eine Folge der Mangelwirtschaft. Um Fleisch zu bekommen, musste man dem Metzger ein Bestechungsgeld zahlen. Wer eine Genehmigung brauchte, brachte dem zuständigen Beamten ein Geschenk mit und Ärzte bekamen Pralinen oder Schokolade. So entstand ein System, das auf Doppelmoral beruhte. Bei Gesprächen zu Hause in der Küche waren wir alle Dissidenten, aber am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit Anhänger der Kommunistischen Partei.
SPIEGEL ONLINE: Wir haben aber gefragt, ob heute der Fisch vom Kopf stinkt?
Prochorow: Auch von dort. Da sitzen Leute, die eine doppelte Moral haben.