Ministerpräsident Rasmussen zum Karikatur-Streit "Wir Dänen fühlen uns wie im falschen Film"
SPIEGEL ONLINE:
Herr Ministerpräsident, Ihr Kulturminister Brian Mikkelsen freut sich darüber, dass die Dänen in ihrer Unbeugsamkeit eine "erste Runde im Kampf der Kulturen gewonnen" haben. Freuen Sie sich mit ihm?
Fogh Rasmussen: Ich kann kaum fassen, was sich zurzeit wegen der zwölf Karikaturen alles abspielt. Wir Dänen fühlen uns wie im falschen Film. Aber ich betrachte den Streit nicht als Kampf der Kulturen. Im Gegenteil, es muss jetzt darum gehen, genau diese Auseinandersetzung zu verhindern. Wir müssen zurückfinden zum Dialog, zu gegenseitigem Verständnis und zur Anerkennung der Meinungsfreiheit.
SPIEGEL ONLINE: Sie selbst haben bei Ihrem Regierungsantritt eine kulturelle Erneuerung, ja einen Kulturkampf in allen sozialen Bereichen Dänemarks angekündigt. Was haben Sie damit gemeint?
Fogh Rasmussen: Das ist ein Missverständnis, mir ging es damals um eine Wertediskussion in Dänemark. Gerade in der dänischen Gesellschaft haben Konsens und Dialog immer eine große Rolle gespielt. Aber natürlich gibt es dänische Grundwerte, die respektiert werden müssen. Innerhalb dieses Rahmens sind wir ein liberales und tolerantes Land, in dem jeder nach seiner Fasson und nach seiner Tradition leben kann. Das ist gute dänische Übung.
SPIEGEL ONLINE: Jetzt brennt der Danebrog in den Straßen arabischer Hauptstädte, Dänen müssen in der islamischen Welt um ihr Leben fürchten.
Fogh Rasmussen: Daheim pflegen Dänen ihre Konflikte einvernehmlich zu lösen. Deshalb ist es einfach surreal, diese Bilder von Gewalt im Fernsehen zu sehen. Aber als Ministerpräsident darf ich mich nicht von meinen Gefühlen gefangen nehmen lassen.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Regierung steht erstmals im Zentrum einer nicht für möglich gehaltenen internationalen Krise, die von Nordafrika bis Südasien reicht.
Fogh Rasmussen: Diese Proteste haben nichts mehr mit den zwölf Karikaturen zu tun, die von einer freien und unabhängigen dänischen Zeitung veröffentlicht wurden. Viele Interessengruppen in der islamischen Welt nutzen die Situation für ihre ganz eigenen Zwecke aus.
SPIEGEL ONLINE: Wen genau meinen Sie?
Fogh Rasmussen: Einige Länder wie Iran und Syrien nutzen die Aufregung, um von eigenen Problemen mit der internationalen Staatengemeinschaft abzulenken. Die Palästinenser, die nach ihrer Wahl tief gespalten sind, haben in Dänemark ein gemeinsames Feindbild entdeckt, das die Nation eint. Extremisten und Fundamentalisten instrumentalisieren den Konflikt, um ihre radikale Agenda durchzusetzen und neue Anhänger um sich zu scharen.
SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie persönlich gedacht, als Sie die Zeichnungen in der "Jyllands-Posten" zum ersten Mal gesehen haben?
Fogh Rasmussen: Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich sie zum ersten Mal sah. Plötzlich musste ich mich darum kümmern, weil die öffentliche Debatte losging. So ging es den meisten Dänen. Sie haben sich einfach nicht darum gekümmert.
SPIEGEL ONLINE: Immerhin standen sie in der größten dänischen Zeitung.
Fogh Rasmussen: In unserer Debattenkultur sind Karikaturen ein wichtiger Bestandteil. Sie sollen politischen Streit durch Humor und Ironie entschärfen. Es geht darum, klare Botschaften auszusenden und sie mit einem Augenzwinkern ein bisschen abzuschwächen. Deswegen lassen sich Dänen von Karikaturen auch nicht kränken. Bei uns hat doch niemand Interesse daran, Muslime zu beleidigen.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie den Konflikt nicht anfangs massiv unterschätzt?
Fogh Rasmussen: Zunächst war es nur eine innenpolitische Debatte, die wir durchaus ernst genommen haben. In meiner Neujahrsansprache habe ich deshalb klar gemacht, dass meine Regierung jeden Versuch verurteilt, religiöse oder ethnische Gruppen zu dämonisieren. Diese Botschaft wurde von arabischen Regierungen ja auch sehr begrüßt. Und wir hatten das Gefühl, die Sache hätte sich erledigt.
SPIEGEL ONLINE: Eine Fehleinschätzung, wie sich schnell zeigte.
Fogh Rasmussen: Plötzlich eskalierte die Situation, und wir wissen noch immer nicht genau, warum. Es ist aber klar, dass einige religiöse Führer aus Dänemark in islamische Länder reisten und dass dann auf einmal an allen Ecken und Enden Falschinformationen über uns verbreitet wurden. Da war Öl ins Feuer gegossen worden.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie nicht auch Fehler gemacht?
Fogh Rasmussen: Ich glaube nicht, dass wir etwas anders hätten machen können. Bis heute wird verbreitet, die Regierung habe eine Delegation von elf islamischen Botschaftern nicht angehört. Das ist falsch. Außenminister Per Stig Møller hat sich bereits im November mit ihnen getroffen. Das ist der normale Weg. Die Botschafter verlangten allerdings von mir, rechtliche Schritte gegen die Zeitung einzuleiten. Und ich habe höflich darauf hingewiesen, dass ich das in einem demokratischen Rechtsstaat nicht kann und nicht will.
SPIEGEL ONLINE: Warum hat Ihr schwedischer Kollege Göran Persson Sie dann kritisiert und behauptet, er hätte eine derartige Situation niemals so unterschätzt?
Fogh Rasmussen: Erstens ist er nicht in meiner Situation. Zweitens würde ich mich nie in innere Angelegenheiten Schwedens einmischen. Und drittens fühle ich mich immer besonders geehrt, von schwedischen Sozialdemokraten angegriffen zu werden. Dann kann ich sicher sein, dass wir politisch richtigliegen.
SPIEGEL ONLINE: Der religiöse Führer von 27 islamischen Gruppen in Dänemark wirft Ihnen vor, auf eine Petition mit 17.000 Unterschriften, in denen gläubige Muslime ihre Empörung zum Ausdruck brachten, überhaupt nicht reagiert zu haben.
Fogh Rasmussen: Das war auch so ein Missverständnis. Sie standen plötzlich unangemeldet vor meiner Tür. Ich war gar nicht da. Aber ich denke, ich habe alle Briefe und Botschaften beantwortet.
SPIEGEL ONLINE: Vor zwei Jahren, als Sie der niederländischen Drehbuchautorin des von Muslimen kritisierten Films "Submission" von Theo van Gogh einen Freiheitspreis verliehen, haben Sie anschließend die Führer der unterschiedlichen Ausländerorganisationen empfangen. Warum haben Sie diesmal anders reagiert?
Fogh Rasmussen: Damals ging es nicht um Religion, sondern um Integration, um unsere Einwanderungs- und Asylpolitik. Schon damals gab es zwischen religiösen und politischen Repräsentanten große Meinungsverschiedenheiten. Manche religiösen Führer spielen aber ein doppeltes Spiel: Auf Dänisch oder auf Englisch senden sie Botschaften der Verständigung aus, auf Arabisch tun sie das Gegenteil. Selbst gefälschte Zeichnungen, die niemals in Dänemark veröffentlicht wurden, kursieren jetzt in der arabischen Welt. Das hat nichts mit den Interessen der großen Mehrheit moderater Muslime in Dänemark zu tun.
SPIEGEL ONLINE: Fühlen Sie sich von der internationalen Staatengemeinschaft ausreichend unterstützt?
Fogh Rasmussen: Ich kann mich nicht beklagen. Alle unsere Partner, die EU, die Nato und auch die USA, haben sich mit uns solidarisiert. Das ist wichtig. Die islamische Welt muss zur Kenntnis nehmen, dass wir keinesfalls isoliert sind. Es geht nicht um einige Karikaturen, es geht um demokratische Grundwerte.
SPIEGEL ONLINE: Freut es Sie, dass Zeitungen in anderen Ländern aus Solidarität die Karikaturen nachgedruckt haben?
Fogh Rasmussen: Das müssen die Redaktionen unter sich ausmachen. Immerhin hat der Nachdruck eine wichtige Diskussion über die Interpretation von Meinungsfreiheit und Solidarität zwischen Journalisten weltweit ausgelöst. Ich kann nur immer wieder betonen, dass die Zeichnungen ja nicht von der Regierung, sondern von einer unabhängigen Zeitung veröffentlicht wurden. Deswegen können weder die Regierung noch das dänische Volk dafür verantwortlich gemacht werden.
SPIEGEL ONLINE: Erwarten Sie von der Europäischen Union eine machtvolle Gegenreaktion auf den Wirtschaftsboykott der arabischen Länder?
Fogh Rasmussen: EU-Kommissar Peter Mandelson hat unmissverständlich klar gemacht, dass der Boykott eines Mitgliedslands einem Boykott der gesamten EU gleichkommt. Es ist etwas anderes, sich mit dem kleinen Dänemark oder der mächtigen Gemeinschaft der 25 anzulegen, die die größte Wirtschaftskraft der Welt darstellt. Und es unterstreicht, dass die EU eben auch eine Wertegemeinschaft ist.
SPIEGEL ONLINE: Solidaritätsbekundungen allein werden den Boykott nicht beenden. Was muss noch passieren?
Fogh Rasmussen: Ich bin froh, dass EU-Chefdiplomat Javier Solana diese Woche zu einer diplomatischen Mission in den Nahen Osten aufbricht, wo er nicht nur Regierungen, sondern auch islamische Religionsführer treffen wird. Das wird uns sehr helfen. Gleichzeitig versuchen wir bilateral, den Konflikt zu entschärfen. Und es gibt erste Anzeichen der Entspannung.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Regierung hat vor zwei Jahren ein ambitioniertes Programm aufgelegt, das den Dialog und die Beziehungen mit den arabischen Ländern stärken sollte und jetzt gescheitert ist. Wie wollen Sie das neu beleben?
Fogh Rasmussen: Es ist schon paradox: Wir waren eines der ersten Länder, die ein solches Partnerschaftsprogramm gestartet haben, und wir gehören zu den größten Nettozahlern zum Beispiel an die Palästinenser. Und müssen nun mitansehen, wie dänische Flaggen verbrannt und gewalttätige Demonstrationen gegen uns organisiert werden. Die Arabische Initiative sollte in der Region Wirtschafts- und Gesellschaftsreformen voranbringen, und es ist schon befremdlich, dass wir nun am Pranger stehen. Damals haben wir uns als die Speerspitze der Modernisierung empfunden.
SPIEGEL ONLINE: Inzwischen werden auch in Ihrem Land Stimmen laut, die finanzielle Unterstützung etwa für die palästinensische Autonomiebehörde drastisch zu kappen.
Fogh Rasmussen: Wir werden unsere Politik nicht verändern. Es geht jetzt darum, die Gemüter zu beruhigen, und nicht, Gelder zu kürzen. Langfristig muss es in unserem ureigensten Interesse sein, unser gutes Verhältnis zur arabischen Welt wiederherzustellen.
SPIEGEL ONLINE: Können Sie davon auch Ihre politischen Partner von der Dänischen Volkspartei überzeugen, die mit immer neuen fremdenfeindlichen Attacken Stimmung gegen Muslime machen?
Fogh Rasmussen: Fremdenfeindlich haben Sie gesagt. Die Volkspartei vertritt harte Positionen zu Einwanderung und Kriminalität. In anderen Politikfeldern, etwa in der Sozialpolitik, steht sie aber eher links von meiner Partei und sogar von den Sozialdemokraten. Sie ist keine klassische rechte Partei.
SPIEGEL ONLINE: Für Dänemark mit seiner liberalen Tradition ist es eine völlig neue Situation, etliche Bürger unter Polizeischutz stellen zu müssen. Terroristen haben Dänemark in einigen Erklärungen gezielt ins Visier genommen.
Fogh Rasmussen: Wir haben unsere Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Aber diese Bedrohung ist nicht neu. Es gibt sie seit dem 11. September 2001 für die ganze Welt. Aber natürlich hat Dänemark jetzt zusätzlich eine Art traurige Berühmtheit erlangt.
SPIEGEL ONLINE: Angesichts der zunehmenden Übergriffe gegen Dänen und Drohungen gegen dänische Einrichtungen haben Sie nun auf einmal doch Erklärungen gefunden, die nach Entschuldigung klingen. Ist das nicht eine Kapitulation vor Gewalt?
Fogh Rasmussen: Niemand kann bestreiten, dass die Karikaturen viele Muslime in ihrem Glauben verletzt haben, und es ist richtig, dafür Verständnis zu zeigen. Die Regierung hat kein Interesse daran, den Islam oder eine andere Religion zu beleidigen. Alle Demonstranten müssen aber auch verstehen, dass die dänische Regierung keine Möglichkeit hat, die freie Presse zu maßregeln. Das ist das Hauptproblem: Wir reden hier aneinander vorbei.
SPIEGEL ONLINE: Kann dieses Aneinandervorbeireden dazu führen, dass Samuel P. Huntington mit seiner Warnung vor einem Kampf der Kulturen doch recht behalten könnte?
Fogh Rasmussen: Darüber habe ich lange nachgedacht, und wir dürfen die Gefahr nicht aus dem Auge verlieren. Leider gibt es Anzeichen für eine solche Entwicklung, das ist nicht zu leugnen, und ich bedauere das. Das unterstreicht aber nur, wie wichtig unsere Arabische Initiative vor zwei Jahren als Entspannungspolitik war. Doch wir sollten uns auch keine Illusionen darüber machen, dass es Extremisten gibt, die genau diesen Kampf der Kulturen wollen.
SPIEGEL ONLINE: Herr Ministerpräsident, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Interview führten die Redakteure Claus Christian Malzahn, Mathias Müller von Blumencron und Manfred Ertel.