Als Haushälterin von Manila nach Frankreich
Sie wickeln Babys reicher Familien – und sehen ihre eigenen Kinder jahrelang nicht
Sie putzen, führen Hunde aus und passen auf fremde Kinder auf, jeden Tag, jahrelang: Ein Fotoprojekt zeigt, wie Frauen von den Philippinen in Europa arbeiten, damit ihre Familien zu Hause ein besseres Leben führen können.
In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für globale Probleme.
In dieser Geschichte kommen sich Arm und Reich ganz nah. Und es kommen sich Frankreich und die Philippinen ganz nah, sonst getrennt durch 11.000 Kilometer und zwei Kontinente.
Es ist die Geschichte von Donna und Jhen, deren Nachnamen ungenannt bleiben sollen, zwei Frauen aus einer armen Gegend nahe der philippinischen Hauptstadt Manila, die seit Jahren in Paris leben und dort die Kissen reicher Familien aufschütteln. Und die des Fotografen Thomas Morel-Fort, der den Frauen in seinem Wohnviertel immer wieder begegnete, bis er es doch einmal wagte, Donna und Jhen anzusprechen und ihnen zuzuhören.
Er erfuhr, dass eines der Güter, das die Philippinen am häufigsten exportieren, die Arbeitskraft von Frauen ist. Der Großteil der Menschen, die von dort ins Ausland gehen, ist weiblich. Tausende verließen vor der Coronakrise jeden Monat ihre Heimat. Gingen weit weg, um als Reinigungskräfte, Kindermädchen oder Köchinnen für die Reichen in Singapur, Kuwait oder Paris zu arbeiten. So halten sie das Leben ihrer Familien in der Heimat am Laufen, mit dem Geld, das sie Monat für Monat dorthin zurückschicken.
Eine Philippinerin spült Geschirr auf einem Ausflugsdampfer der Seine in Paris
Foto:
Thomas Morel-Fort
Donna arbeitet von früh bis spät für wohlhabende Familien. Sie sorgt dafür, dass die Fenster geputzt, die Kühlschränke voll, die Kinder gewickelt sind, die Hunde draußen waren. Der Lohn kommt oft unregelmäßig, deshalb schläft sie bei Freundinnen auf dem Sofa. Eine Mietwohnung in Paris kann sie sich nicht leisten. Die Frauen verdienen, wenn sie jeden Tag arbeiten, zwischen 1500 und 2000 Euro im Monat, erzählt der Fotograf.
Jhen bügelt die Wäsche in Pariser Luxushotels und wird oft als Putzhilfe für Airbnb-Wohnungen gebucht. Seit der Coronakrise und dem Zusammenbruch des Tourismus in der Stadt sind ihr jedoch viele Aufträge weggebrochen.
Die Last, die diese Frauen tragen, sagt Morel-Fort, sei enorm. Denn ihr Antrieb sei es, ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Damit sie lernen können und eine gute Anstellung finden.
Jhens Familie auf die Philippinen: Mehrere Familien leben von dem Geld, das Donna und Jhen regelmäßig nach Hause schicken
Foto: Thomas Morel-Fort / Thomas-Morel-Fort
Ausgerechnet jene Arbeiten, die Frauen seit Jahrhunderten unten und mittellos halten, nämlich Haushalt, Kinder und Küche, sind es, die die Philippinerinnen ermächtigen, wenn nicht sich selbst, dann wenigstens die nächste Generation aus der Armut zu heben.
Familienleben als wackelige WhatsApp-Verbindung
Da ist zum Beispiel Nicole, Donnas Tochter. Sie konnte durch das Geld ihrer Mutter eine Ausbildung zur Krankenschwester abschließen und erfüllt sich damit den Traum, den schon Donna träumte: im Krankenhaus arbeiten. Oder Ron, Jhens Sohn. Er besuchte eine teure Privatschule, finanziert durch den Putzlohn seiner Mutter.
Fotograf Morel-Fort sagt, den Familien zu Hause fehle oft das Verständnis, welche Strapazen die Frauen in Europa auf sich nehmen. Es herrsche das Vorurteil, dass in Europa jedes Leben besser sei als auf den Philippinen.
Grüße aus der Heimat: Jhens Tochter Jennidel (rechts) und die Tante telefonieren mit Jhen in Paris
Foto: Thomas Morel-Fort / Thomas-Morel-Fort
Die Realität ist eine andere. Donna und Jhen leben illegal in Frankreich, sie sind ohne Rechte und abhängig von ihren Auftraggebern. Sie haben ihre Kinder seit Jahren nur auf Fotos und über Internettelefonate gesehen und gehört. Familienleben als wackelige WhatsApp-Verbindung.
Es gibt Geschichten von Arbeitgebern, die den Frauen ihre Pässe abnahmen, damit sie nicht abhauen konnten. Von körperlicher Gewalt, Erpressung. Und immer wieder sind die Arbeiterinnen der Verdächtigung ausgesetzt, Essen, ein Handy oder Geld gestohlen zu haben.
Morel-Fort baute über Jahre Vertrauen zu Donna und Jhen auf. Einmal heuerte er undercover selbst als Arbeiter bei Donnas Auftraggebern an, um über die Arbeitsbedingungen zu recherchieren. Über diese Zeit sagt er: »Wir hatten keine Minute für uns, wir arbeiteten hart, schliefen, arbeiteten.« Es habe keinen Tag Pause gegeben. Einmal habe dem Arbeitgeber die Farbe des Wassers im Pool nicht gefallen. Also hätten sie das Wasser auslassen und die ganze Nacht das Becken reinigen müssen.
Ein seltener Moment der Ruhe: Donna, Jhen und eine weitere Frau haben sich abends verabredet. Die philippinische Community in Paris ist groß
Foto: Thomas Morel-Fort
Dann, im Sommer 2019, besuchte der Fotograf die Familien von Donna und Jhen auf den Philippinen. Er machte die Reise, die sich Donna und Jhen seit Jahren ersehnen. Er erlebte zwei Großfamilien, alle abhängig von den Löhnen der Frauen in Europa.
Morel-Fort war bei Nicoles Abschlussfeier dabei, er machte die Fotos, als sie auf der Bühne ihr Krankenschwesterzertifikat in Empfang nahm. Der Fotojournalist sagt: »Als ich Donna zurück in Paris die Fotos schenkte, habe ich sie so glücklich wie noch nie gesehen.«
Sehen Sie in der Fotostrecke das Leben der Wanderarbeiterinnen und ihrer Familien:
Foto: Thomas Morel-Fort
Fotostrecke
Wanderarbeiterinnen in Frankreich: Ein Leben zwischen Manila und Paris
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel Globale Gesellschaft berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa - über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird über drei Jahre von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.
Die Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt das Projekt über drei Jahre mit einer Gesamtsumme von rund 2,3 Mio. Euro.
Ja. Die redaktionellen Inhalte entstehen ohne Einfluss durch die Gates-Stiftung.
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Der SPIEGEL hat in den vergangenen Jahren bereits zwei Projekte mit dem European Journalism Centre (EJC) und der Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation umgesetzt: Die "Expedition Übermorgen" über globale Nachhaltigkeitsziele sowie das journalistische Flüchtlingsprojekt "The New Arrivals", in deren Rahmen mehrere preisgekrönte Multimedia-Reportagen zu den Themen Migration und Flucht entstanden sind.
25 BilderWanderarbeiterinnen in Frankreich: Ein Leben zwischen Manila und Paris
1 / 25
Seit acht Jahren lebt und arbeitet Donna, 42 Jahre, in Paris. Sie kommt von den Philippinen, aus einer armen Bauernfamilie vom Land, 300 Kilometer von der Hauptstadt Manila entfernt. Sie träumte einst davon, Krankenschwester zu werden. Doch um ihren Kindern die Schule zu finanzieren, ging sie als Arbeiterin nach Paris. Dort kümmert sie sich um die Kinder und Haushalte reicher Familien.
Foto: Thomas Morel-Fort
2 / 25
Der Fotograf Thomas Morel-Fort lebt in Paris. In seinem Viertel beobachtete er, dass viele philippinische Frauen dort auf Kinder französischer Familien aufpassen, sie von der Schule abholen, mit ihnen auf den Spielplatz gehen. Irgendwann, 2014, sprach er eine der Frauen an. Und lernte Donna, die hier im Bild zu sehen ist, kennen und hörte sich ihre Geschichte an.
Foto: Thomas Morel-Fort
3 / 25
Es ist die Geschichte einer Frau, die ohne gültige Papiere seit Jahren in Frankreich arbeitet, beinahe unsichtbar für die Gesellschaft, ohne geregelte Arbeitszeiten und oft ohne Sicherheit, wann sie den nächsten Lohn erhält. Weil die Mieten in der Stadt sehr teuer sind, schläft Donna im Februar 2017 etwa auf der Couch einer Freundin.
Foto: Thomas Morel-Fort
4 / 25
Ein weiterer Job: die Hunde einer französischen Schauspielerin spazieren führen. Um nach Europa zu kommen, bezahlte Donna im Jahr 2011 einem Schleuser umgerechnet 13.000 Euro. Danach arbeitete sie erst einmal in Dänemark und Island, bevor sie nach Frankreich zog.
Foto: Thomas Morel-Fort
5 / 25
Ihre Familie hat Donna seit achtJahren nicht mehr gesehen. Wann sie zurück in ihre Heimat kann, weiß sie nicht. Es besteht die Gefahr, dass sie danach nicht mehr nach Frankreich einreisen darf – seit Jahren wartet sie auf einen legalen Aufenthaltstitel in dem Land.
Foto: Thomas Morel-Fort
6 / 25
Donna am Mikro in der Karaokebar. Eine Freundin hat den Keller eines japanischen Restaurants angemietet, um dort ihren Geburtstag zu feiern. Es ist ein seltener Abend voll Ausgelassenheit.
Foto: Thomas Morel-Fort
7 / 25
Im Mai 2016 arbeiten Donna und der Fotograf gemeinsam in der Sommerresidenz einer reichen Familie. Die Villa liegt in den Hügeln von Cannes. Fotograf Morel-Fort heuerte undercover als Arbeiter bei der Familie an. Und erlebte so anderthalb Monate am eigenen Leib, wie hart die Bedingungen sind. Er sagt: »Wir hatten keine Zeit für uns, wir arbeiteten, schliefen, arbeiteten. Auf den Lohn mussten wir lange warten.«
Foto: Thomas Morel-Fort
8 / 25
Den Frauen und Männern im Haushalt, fast alle von den Philippinen, sei auch vorgeworfen worden, Essen, Handys oder Geld gestohlen zu haben. Alle Angestellten wohnten in Räumen unterhalb des Swimmingpools der Ferienresidenz. Meist aßen sie alle zusammen in einer Garage. Von der schönen Umgebung rund um Cannes bekamen sie so gut wie nichts mit.
Foto: Thomas Morel-Fort
9 / 25
Abends checkte Donna die Nachrichten ihrer Liebsten aus der Heimat. Dabei entstand die Idee, dass Fotograf Morel-Fort Donnas Familie auf den Philippinen besuchen könnte. Das tat er dann auch, im Sommer 2019.
Foto: Thomas Morel-Fort
10 / 25
Tublay in den Philippinen, 2019: Hier lebt Donnas Familie, die nächste größere Stadt, Bagui City, liegt drei Autostunden entfernt. Als der Fotograf Donnas Familie besucht, ist der Internetempfang nur im Türrahmen des Hauses stabil genug, um WhatsApp-Anrufe mit Donna zu führen. Deshalb rücken dort Donnas Eltern und zwei ihrer Söhne eng zusammen. Bei den Telefonaten flossen, erinnert sich Morel-Fort, auch Tränen.
Foto: Thomas Morel-Fort
11 / 25
Die gesamte Familie im philippinischen Hinterland ist abhängig von dem Geld, das Donna Monat für Monat nach Hause schickt. Viele Generationen leben dort üblicherweise unter einem Dach – um gemeinsam besser über die Runden zu kommen. Jedoch fehle der Familie das Verständnis dafür, wie hart die Bedingungen sind, unter denen Donna seit Jahren in Europa lebt. Europa, das sei in ihrer Vorstellung: ein besseres Leben.
Foto: Thomas Morel-Fort
12 / 25
Jon, 45 Jahre, ist Donnas Ehemann. Gemeinsam haben sie vier Kinder. Ausgerechnet in der philippinischen Gesellschaft, sagt der Fotograf, wo er patriarchale Strukturen erlebt habe, seien wie Jon viele Männer vom Lohn ihrer Frauen abhängig. Im Gegenzug sind sie dafür verantwortlich, für die Kinder zu sorgen.
Foto: Thomas Morel-Fort
13 / 25
Donnas Vater Glen, hier wiegt er sein jüngstes Enkelkind, war sein Leben lang Bauer. Mit seiner Frau erntet er immer noch etwas Kaffee und Schnittblumen. Die Produkte verkauft er für wenig Geld an die Leute im Dorf.
Foto: Thomas Morel-Fort
14 / 25
Donnas Mutter Ritabei der Ernte von Kaffeebohnen. Oft übernehmen die Großeltern die Erziehung der Enkel, während die Mütter Geld verdienen. Auch Rita arbeitete früher im Ausland. Sie ging als Haushaltshilfe nach Taiwan – und blieb dort drei Jahre. Sie sei die Einzige, die wisse, welches Opfer Donna für ihre Familie aufbringe. Donnas Kinder – drei Söhne und eine Tochter – konnten zur Schule gehen, finanziert durch das Geld, das ihre Mutter jeden Monat überweist.
Foto: Thomas Morel-Fort
15 / 25
Nicole, Donnas Tochter, ist 19 Jahre alt. Hier ist sie auf dem Weg zur Universität in Bagui City, drei Autostunden von ihrem Dorf entfernt. Nicole lebt den Traum ihrer Mutter und beendete ihre Ausbildung zur Krankenschwester. Fotograf Morel-Fort war bei der Zeugnisvergabe dabei.
Foto: Thomas Morel-Fort
16 / 25
Der große Tag: Nicole erhält ihr Diplom. Sie will erst einmal in ihrer Heimat anfangen, als Krankenschwester zu arbeiten – später aber vielleicht ins Ausland gehen, wie ihre Mutter. Nicole ist die Erste in der Familie, die einen Abschluss an einer Universität erreicht hat.
Foto: Thomas Morel-Fort
17 / 25
Derweil in Paris: Auch Jhen arbeitet als Haushaltshilfe für französische Familien. Auch sie kommt von den Philippinen, aus dem Großraum Manila. Ihre Kinder, 15 und 17 Jahre alt, ließ sie dort zurück. Als der Fotograf sie 2016 zum ersten Mal trifft, lebt sie in einem Appartment, neun Quadratmeter groß, für das sie 440 Euro zahlt.
Foto: Thomas Morel-Fort
18 / 25
Jhen kümmert sich vor allem um die Wäsche in Hotels und putzt in Airbnb-Wohnungen. Seit in der Coronakrise der Tourismus auch in Paris beinahe ganz ausbleibt, hat sie daher viele Auftraggeber verloren. Nur drei bis vier Stunden pro Woche, so Morel-Fort, arbeite sie im Moment. Sie kann gerade nur wenig Geld nach Hause überweisen.
Foto: Thomas Morel-Fort
19 / 25
Jedes Jahr zu Weihnachten veranstaltet die philippinische Community in Paris eine Christmas-Party. Morel-Fort sagt, obwohl die meisten illegal im Land lebten, dulde die französische Gesellschaft die Wanderarbeiterinnen. »Diese Menschen sind beinahe unsichtbar, sie arbeiten, arbeiten, arbeiten, und dann verschwinden sie spätabends in die Randbezirke der Stadt, sie fordern nichts«, so Morel-Fort. Gleichzeitig seien die Frauen in vielen französischen Haushalten essenziell, um diese am Laufen zu halten.
Foto: Thomas Morel-Fort
20 / 25
Auch Jhens Familie besuchte der Fotograf. Er traf ihre Schwester, die damals, Mitte 2019, mit ihrem sechsten Kind schwanger war. Und er traf Jhens Kinder. Ihr Sohn etwa besuchte eine teure Privatschule, die Jhen bezahlte. Auch Jhens 17-jährige Tochter, Jennidel, war zu dem Zeitpunkt schwanger. Jhen fürchtete, dass dies den Schulabschluss ihrer Tochter gefährden könnte.
Foto: Thomas Morel-Fort
21 / 25
Jennidel im Unterricht. Sie ist eine der Besten ihres Jahrgangs. Was wird, sobald sie Mutter ist, weiß sie damals nicht. Auf den Philippinen ist Abtreibung streng verboten. Viele Familien bringt die frühe Mutterschaft einer Tochter in finanzielle Schieflage.
Foto: Thomas Morel-Fort
22 / 25
Ron, 20, ist Jhens Sohn. Er besuchte eine Privatschule. Seine Mutter zahlte auch den Wagen, an dem Ron auf dem Bild lehnt.
Foto: Thomas Morel-Fort
23 / 25
Die Familie isst oft gemeinsam zu Abend. Auch ihr fehlt das Verständnis, welche Strapazen Jhen auf sich nimmt, damit es der Familie in der Heimat halbwegs gut geht. Jhen war seit sieben Jahren nicht mehr zu Hause.
Foto: Thomas Morel-Fort
24 / 25
Jhens Nichte macht sich fertig für die Schule, während die anderen noch schlafen. Jhen wünscht sich, dass ihre Kinder gute Abschlüsse schaffen und so bessere Berufe ergreifen können.
Foto: Thomas Morel-Fort / Thomas-Morel-Fort
25 / 25
Privatsphäre: Fehlanzeige. In Ruhe mit der Mutter in Frankreich zu telefonieren ist beinahe unmöglich. Denn die Räume sind immer voll mit Familienmitgliedern, so der Fotograf.
Foto: Thomas Morel-Fort / Thomas-Morel-Fort
Seit acht Jahren lebt und arbeitet Donna, 42 Jahre, in Paris. Sie kommt von den Philippinen, aus einer armen Bauernfamilie vom Land, 300 Kilometer von der Hauptstadt Manila entfernt. Sie träumte einst davon, Krankenschwester zu werden. Doch um ihren Kindern die Schule zu finanzieren, ging sie als Arbeiterin nach Paris. Dort kümmert sie sich um die Kinder und Haushalte reicher Familien.
Foto: Thomas Morel-Fort
Der Fotograf Thomas Morel-Fort lebt in Paris. In seinem Viertel beobachtete er, dass viele philippinische Frauen dort auf Kinder französischer Familien aufpassen, sie von der Schule abholen, mit ihnen auf den Spielplatz gehen. Irgendwann, 2014, sprach er eine der Frauen an. Und lernte Donna, die hier im Bild zu sehen ist, kennen und hörte sich ihre Geschichte an.
Foto: Thomas Morel-Fort
Es ist die Geschichte einer Frau, die ohne gültige Papiere seit Jahren in Frankreich arbeitet, beinahe unsichtbar für die Gesellschaft, ohne geregelte Arbeitszeiten und oft ohne Sicherheit, wann sie den nächsten Lohn erhält. Weil die Mieten in der Stadt sehr teuer sind, schläft Donna im Februar 2017 etwa auf der Couch einer Freundin.
Foto: Thomas Morel-Fort
Ein weiterer Job: die Hunde einer französischen Schauspielerin spazieren führen. Um nach Europa zu kommen, bezahlte Donna im Jahr 2011 einem Schleuser umgerechnet 13.000 Euro. Danach arbeitete sie erst einmal in Dänemark und Island, bevor sie nach Frankreich zog.
Foto: Thomas Morel-Fort
Ihre Familie hat Donna seit achtJahren nicht mehr gesehen. Wann sie zurück in ihre Heimat kann, weiß sie nicht. Es besteht die Gefahr, dass sie danach nicht mehr nach Frankreich einreisen darf – seit Jahren wartet sie auf einen legalen Aufenthaltstitel in dem Land.
Foto: Thomas Morel-Fort
Donna am Mikro in der Karaokebar. Eine Freundin hat den Keller eines japanischen Restaurants angemietet, um dort ihren Geburtstag zu feiern. Es ist ein seltener Abend voll Ausgelassenheit.
Foto: Thomas Morel-Fort
Im Mai 2016 arbeiten Donna und der Fotograf gemeinsam in der Sommerresidenz einer reichen Familie. Die Villa liegt in den Hügeln von Cannes. Fotograf Morel-Fort heuerte undercover als Arbeiter bei der Familie an. Und erlebte so anderthalb Monate am eigenen Leib, wie hart die Bedingungen sind. Er sagt: »Wir hatten keine Zeit für uns, wir arbeiteten, schliefen, arbeiteten. Auf den Lohn mussten wir lange warten.«
Foto: Thomas Morel-Fort
Den Frauen und Männern im Haushalt, fast alle von den Philippinen, sei auch vorgeworfen worden, Essen, Handys oder Geld gestohlen zu haben. Alle Angestellten wohnten in Räumen unterhalb des Swimmingpools der Ferienresidenz. Meist aßen sie alle zusammen in einer Garage. Von der schönen Umgebung rund um Cannes bekamen sie so gut wie nichts mit.
Foto: Thomas Morel-Fort
Abends checkte Donna die Nachrichten ihrer Liebsten aus der Heimat. Dabei entstand die Idee, dass Fotograf Morel-Fort Donnas Familie auf den Philippinen besuchen könnte. Das tat er dann auch, im Sommer 2019.
Foto: Thomas Morel-Fort
Tublay in den Philippinen, 2019: Hier lebt Donnas Familie, die nächste größere Stadt, Bagui City, liegt drei Autostunden entfernt. Als der Fotograf Donnas Familie besucht, ist der Internetempfang nur im Türrahmen des Hauses stabil genug, um WhatsApp-Anrufe mit Donna zu führen. Deshalb rücken dort Donnas Eltern und zwei ihrer Söhne eng zusammen. Bei den Telefonaten flossen, erinnert sich Morel-Fort, auch Tränen.
Foto: Thomas Morel-Fort
Die gesamte Familie im philippinischen Hinterland ist abhängig von dem Geld, das Donna Monat für Monat nach Hause schickt. Viele Generationen leben dort üblicherweise unter einem Dach – um gemeinsam besser über die Runden zu kommen. Jedoch fehle der Familie das Verständnis dafür, wie hart die Bedingungen sind, unter denen Donna seit Jahren in Europa lebt. Europa, das sei in ihrer Vorstellung: ein besseres Leben.
Foto: Thomas Morel-Fort
Jon, 45 Jahre, ist Donnas Ehemann. Gemeinsam haben sie vier Kinder. Ausgerechnet in der philippinischen Gesellschaft, sagt der Fotograf, wo er patriarchale Strukturen erlebt habe, seien wie Jon viele Männer vom Lohn ihrer Frauen abhängig. Im Gegenzug sind sie dafür verantwortlich, für die Kinder zu sorgen.
Foto: Thomas Morel-Fort
Donnas Vater Glen, hier wiegt er sein jüngstes Enkelkind, war sein Leben lang Bauer. Mit seiner Frau erntet er immer noch etwas Kaffee und Schnittblumen. Die Produkte verkauft er für wenig Geld an die Leute im Dorf.
Foto: Thomas Morel-Fort
Donnas Mutter Ritabei der Ernte von Kaffeebohnen. Oft übernehmen die Großeltern die Erziehung der Enkel, während die Mütter Geld verdienen. Auch Rita arbeitete früher im Ausland. Sie ging als Haushaltshilfe nach Taiwan – und blieb dort drei Jahre. Sie sei die Einzige, die wisse, welches Opfer Donna für ihre Familie aufbringe. Donnas Kinder – drei Söhne und eine Tochter – konnten zur Schule gehen, finanziert durch das Geld, das ihre Mutter jeden Monat überweist.
Foto: Thomas Morel-Fort
Nicole, Donnas Tochter, ist 19 Jahre alt. Hier ist sie auf dem Weg zur Universität in Bagui City, drei Autostunden von ihrem Dorf entfernt. Nicole lebt den Traum ihrer Mutter und beendete ihre Ausbildung zur Krankenschwester. Fotograf Morel-Fort war bei der Zeugnisvergabe dabei.
Foto: Thomas Morel-Fort
Der große Tag: Nicole erhält ihr Diplom. Sie will erst einmal in ihrer Heimat anfangen, als Krankenschwester zu arbeiten – später aber vielleicht ins Ausland gehen, wie ihre Mutter. Nicole ist die Erste in der Familie, die einen Abschluss an einer Universität erreicht hat.
Foto: Thomas Morel-Fort
Derweil in Paris: Auch Jhen arbeitet als Haushaltshilfe für französische Familien. Auch sie kommt von den Philippinen, aus dem Großraum Manila. Ihre Kinder, 15 und 17 Jahre alt, ließ sie dort zurück. Als der Fotograf sie 2016 zum ersten Mal trifft, lebt sie in einem Appartment, neun Quadratmeter groß, für das sie 440 Euro zahlt.
Foto: Thomas Morel-Fort
Jhen kümmert sich vor allem um die Wäsche in Hotels und putzt in Airbnb-Wohnungen. Seit in der Coronakrise der Tourismus auch in Paris beinahe ganz ausbleibt, hat sie daher viele Auftraggeber verloren. Nur drei bis vier Stunden pro Woche, so Morel-Fort, arbeite sie im Moment. Sie kann gerade nur wenig Geld nach Hause überweisen.
Foto: Thomas Morel-Fort
Jedes Jahr zu Weihnachten veranstaltet die philippinische Community in Paris eine Christmas-Party. Morel-Fort sagt, obwohl die meisten illegal im Land lebten, dulde die französische Gesellschaft die Wanderarbeiterinnen. »Diese Menschen sind beinahe unsichtbar, sie arbeiten, arbeiten, arbeiten, und dann verschwinden sie spätabends in die Randbezirke der Stadt, sie fordern nichts«, so Morel-Fort. Gleichzeitig seien die Frauen in vielen französischen Haushalten essenziell, um diese am Laufen zu halten.
Foto: Thomas Morel-Fort
Auch Jhens Familie besuchte der Fotograf. Er traf ihre Schwester, die damals, Mitte 2019, mit ihrem sechsten Kind schwanger war. Und er traf Jhens Kinder. Ihr Sohn etwa besuchte eine teure Privatschule, die Jhen bezahlte. Auch Jhens 17-jährige Tochter, Jennidel, war zu dem Zeitpunkt schwanger. Jhen fürchtete, dass dies den Schulabschluss ihrer Tochter gefährden könnte.
Foto: Thomas Morel-Fort
Jennidel im Unterricht. Sie ist eine der Besten ihres Jahrgangs. Was wird, sobald sie Mutter ist, weiß sie damals nicht. Auf den Philippinen ist Abtreibung streng verboten. Viele Familien bringt die frühe Mutterschaft einer Tochter in finanzielle Schieflage.
Foto: Thomas Morel-Fort
Ron, 20, ist Jhens Sohn. Er besuchte eine Privatschule. Seine Mutter zahlte auch den Wagen, an dem Ron auf dem Bild lehnt.
Foto: Thomas Morel-Fort
Die Familie isst oft gemeinsam zu Abend. Auch ihr fehlt das Verständnis, welche Strapazen Jhen auf sich nimmt, damit es der Familie in der Heimat halbwegs gut geht. Jhen war seit sieben Jahren nicht mehr zu Hause.
Foto: Thomas Morel-Fort
Jhens Nichte macht sich fertig für die Schule, während die anderen noch schlafen. Jhen wünscht sich, dass ihre Kinder gute Abschlüsse schaffen und so bessere Berufe ergreifen können.
Foto: Thomas Morel-Fort / Thomas-Morel-Fort
Privatsphäre: Fehlanzeige. In Ruhe mit der Mutter in Frankreich zu telefonieren ist beinahe unmöglich. Denn die Räume sind immer voll mit Familienmitgliedern, so der Fotograf.