Reaktion auf Mohammed-Film in Pakistan "Damit das Blut kocht"

Imam Ghazi: "Wie kann man da tatenlos bleiben?"
Foto: Hasnain KazimEr sieht wieder einmal die Chance für eine islamische Revolution. Abdul Aziz Ghazi sitzt auf dem bunten Teppich in seinem Büro in der Roten Moschee in Islamabad und lächelt zufrieden. Er trägt ein blütenweißes Baumwollhemd, das bis zum Knie reicht, dazu eine ebenso weiße Hose. Für das Foto hat er sich ein weißes Tuch zum Turban gebunden. Er weiß: Es kommt auch auf die Außenwirkung an.
Ghazi, Anfang 50, ist der Imam der berühmt-berüchtigten Roten Moschee in Islamabad, einem Gotteshaus, in dem Radikale ein- und ausgehen, auch Taliban. Was dort gepredigt wird, hallt weit über die Stadtgrenzen hinaus. Ghazi ist deshalb ein mächtiger Mann. Sein Ziel ist die Herrschaft des Islam, zuerst in Pakistan, dann in der ganzen Welt.
Da kommt ihm das Video aus den USA, in dem der Prophet Mohammed dargestellt wird als mörderischer, sexhungriger Kinderschänder mit vielen Frauen, gerade recht. Ghazi will die Wut über den Film nutzen, um seinem Ziel näher zu kommen. Bei der traditionellen Freitagspredigt will er die Gläubigen in dieser Woche aufrufen, gegen den Film zu protestieren - "wenn es sein muss, auch mit Gewalt".
Aber erfüllt er damit nicht genau das Klischee vom gewaltbereiten, hasserfüllten Muslim, der sich provozieren lässt? Der protestiert, ohne genau zu wissen, wogegen? Wäre es nicht sinnvoller, die Sache einfach zu ignorieren? Oder wenigstens gewaltfrei zu demonstrieren?
"Wie kann man das hinnehmen?"
"Ich habe den Film gesehen", sagt er. "Wie kann man da tatenlos bleiben? Ich weiß, wogegen wir kämpfen. Man sieht, wie der Prophet Mohammed, Friede sei mit ihm, mit verschiedenen Frauen Sex hat. Man sieht sie nackt. Wie kann man das hinnehmen?" Er sei ja bereit, alles zu verzeihen, nur drei Dinge dürfe niemand ungestraft beleidigen: "Gott, den Propheten und den Koran." Um ihn herum sitzen einige Schüler von ihm, draußen steht ein Bodyguard mit Maschinenpistole, sie alle nicken stumm.
Ghazi will die Gläubigen am Freitag auffordern, sich selbst ein Bild zu machen. "Schaut euch unbedingt das Video an, es lohnt sich." Warum sollen die Menschen sich den Film ansehen, wenn er doch so beleidigend ist? "Damit das Blut kocht", sagt er und grinst. Die pakistanische Regierung hat genau aus diesem Grund den Zugang zu YouTube vorsorglich gesperrt. Aber Ghazi weiß: "Es gibt andere Wege im Internet, an den Film zu kommen." Dann erklärt er, Menschen wie ihm liege es im Blut zu kämpfen. "Welchen Wert hat ein Leben, wenn man nicht bereit ist, für Gott und für unsere Ehre zu kämpfen und notfalls zu sterben?"
Konkret will er in seiner Predigt empfehlen: Wer kämpfen könne, solle nach Afghanistan gehen und sich dem Kampf gegen die Nato, die stellvertretend für den Westen stehe, anschließen. Wer das nicht könne, solle die pakistanische Regierung bekämpfen, denn die sei ebenfalls nur "ein Stellvertreter Amerikas". "Weshalb sonst erfüllen unsere Politiker alle Wünsche Washingtons, lassen Drohnenangriffe zu und akzeptieren die Tötung unseres Bruders Osama Bin Laden? Doch nicht, weil sie zu schwach sind, nein: Sie sind im Geiste die Brüder der Amerikaner! Sie verraten ihr eigenes Volk!"
Es scheint, als habe der Islamist Ghazi nur auf eine Provokation der Islamhasser gewartet. Auf Provokation folgt Gewalt, woraufhin neue Provokationen neue Gewalt bewirken. Das Tragische ist: Die einen repräsentieren nicht "den Westen", die anderen nicht "die Muslime" - und doch bestimmen sie das Geschehen. Der Film, der den Islam als "Krebsgeschwür" bezeichnet, und die Reaktionen sind ein Lehrstück: Eine gezielte Provokation unter dem Deckmantel der Meinungs- und Pressefreiheit bewirkt Gewalt unter dem Deckmantel der Wiederherstellung der Ehre. In vielen muslimischen Ländern hat das Video bereits antiwestliche Proteste entfacht, es gab mehrere Tote.
Die französische Satirezeitung "Charlie Hebdo" legte am Mittwoch nach. Trotz des Aufruhrs der vergangenen Tage veröffentlichte das Blatt neue Mohammed-Karikaturen. Frankreichs Regierung hat als Reaktion die Sicherheitsvorkehrungen im Ausland verstärkt.
Hasspredigten fallen auf fruchtbaren Boden
Ghazi, einen Mann, der mal Verbindungen zu den Taliban und zum Terrornetzwerk al-Qaida bestreitet, dann wieder damit prahlt, kann man nicht ignorieren. Denn auch wenn er zu einer Minderheit gewaltbereiter Muslime gehört, hören viele Menschen auf das, was er zu sagen hat. In Pakistan gelten die Eliten als korrupt, die feudalen Strukturen machen einen sozialen Aufstieg unmöglich, viele Menschen leben in Armut. Der Krieg in Afghanistan und zuvor im Irak sowie die andauernden Drohnenangriffe der USA werden als Feldzug des Westens gegen den Islam wahrgenommen. Da fallen Hasspredigten wie die von Ghazi auf fruchtbaren Boden. Seine Botschaften versteht jeder: Nur der Islam könne all die Probleme lösen, nur der Islam tilge Korruption, sorge für sozialen Frieden und für Gerechtigkeit.
Vor fünf Jahren, im Sommer 2007, trieben es die Geistlichen der Roten Moschee zu weit. Ihre Koranschüler agierten immer selbstherrlicher, verbreiteten Angst und Schrecken, terrorisierten Ladenbesitzer, die CDs verkauften, Internetcafés, Friseursalons und entführten angebliche Prostituiertete aus Bordellen. Sie verlangten, die Regierung solle das islamische Recht anwenden, und drohten mit einem Bürgerkrieg. Daraufhin stürmten Soldaten das Gebäude.
Bei anschließenden Gefechten kamen mehr als 100 Menschen ums Leben, darunter Ghazis Bruder, mit dem er die Moschee führte. Als Ghazi versuchte, in eine Burka gehüllt zu flüchten, wurde er gefasst. Die Extremisten erklärten dem Staat den Krieg, in den Wochen nach den Ereignissen in der Roten Moschee kam es überall im Land zu Anschlägen. Ghazi verbrachte zwei Jahre im Gefängnis, bei seiner Rückkehr in die Rote Moschee feierten ihn Tausende Menschen.
In den vergangenen drei Jahren ist der gebürtige Belutsche aufgestiegen zu den einflussreichsten Hasspredigern des Landes. Gerade lässt er die 2007 von der Armee zerstörte Koranschule, die neben der Moschee stand, in einem anderen Stadtteil von Islamabad wieder aufbauen. Diesmal mitten in einem Wohngebiet, wo sie nicht mehr so leicht angegriffen werden kann.